SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 22

Vom Seelenheil der Bourgeoisie

Kolumne von Thies Gleiss

Muss mensch sich Sorgen machen? Die kleinen Scheißer aus der ideologischen Front des Kapitals entleeren sich zurzeit mit einer Mächtigkeit, dass die gängige Erklärung, die kübelweise Absonderung von Haudraufparolen hätte nur etwas mit der ständig wachsenden Anzahl von vor die Mäuler gehaltenen Mikrofonen zu tun — Radikalität aus Angst vor medialer Langeweile also, wie noch zu Zeiten des "Heißen Stuhls" von RTL —, nicht mehr ausreicht, um diesen Verlust an Diskretion beim Charme der Bourgeoisie zu begründen.
Nachdem er jüngst in analytischer Hochform festgestellt hatte, dass sein "Sport" ein grundsätzliches Problem hätte, weil das Schießen aus Sicherheitsgründen von drei Seiten nicht fernsehgerecht aufbereitet werden könne, man deshalb alles nur von hinten sehe, wollte der Präsident des Deutschen Schützenbunds und Schatzkanzler des Nationalen Olympischen Komitees, Josef Ambacher, es trotzdem mal von einer der gefährlichen Seiten probieren und gab folgenden Witz zum Besten: "Frage: Wann geht es in Deutschland wieder aufwärts? Antwort: Wenn Bundeskanzler Stoiber auf der Beerdigung von Fischer die Witwe von Schröder fragt, wer Trittin erschossen hat." Sein Amt als NOK-Funktionär ist er daraufhin los geworden, Schützenpräsident darf so einer bleiben.
Ein anderer Schütze und anderer Präsident, Michael Rogowski vom Bundesverband der Deutschen Industrie, eröffnete den jüngsten "Berliner Wirtschaftsclub"-Abend mit noch besserer Laune: "Man müsste Lagerfeuer machen und erstmal die ganzen Flächentarifverträge verbrennen und das Betriebsverfassungsgesetz dazu und dann das Ganze schlank neu gestalten." Das Manager-Magazin hatte diesem Mann kürzlich noch ein Sprachproblem diagnostiziert.
Wenn das Schießen von vorne gefilmt wird, hat auch der Guido Westerwelle Probleme, ein 5%-Bürschchen aus einer 40000-Mitglieder-Partei. Für ihn sind die Gewerkschaften eine "Landplage" und ihre Funktionäre wären "Sonnenkönige der Verkrustung", die endlich "entmachtet" gehörten. Da darf der arme Tropf aus dem Sauerland, Friedrich Merz, nicht fehlen: "Die rot-grüne Regierung frisst den Gewerkschaften aus der Hand", "die Gewerkschaften müssen Macht und Einfluss abgeben" und als Kampfparole für diese Ziele: "Wenn man einen Sumpf austrocknen will, darf man nicht die Frösche fragen."
Sumpf trockenlegen, Plagen bekämpfen und Verträge verbrennen, Funktionäre entmachten — wenn der deutschen Bourgeoisie der Mut fehlt, am großen Gemetzel zur Neuaufteilung Welt im American style teilzunehmen, den Krieg nach innen scheut sie nicht, und trotz 500000 schönen deutschen Wörtern, bleibt ihre Wortwahl beim Kriegsgeschrei seit 150 Jahren die gleiche.
In einer Umfrage vom Handelsblatt hatten zwei Drittel der befragten Unternehmer die Meinung vertreten, die Arbeit der Gewerkschaften sei erfolgreich, und lediglich ein Viertel der Unternehmen war dagegen mit dem eigenen Verband zufrieden. Frei nach dem Marx‘schen Bonmot über die Kritik der Waffen und die Waffe der Kritik arbeiten die Kapitalideologen deshalb an einer Neuziehung der Frontlinien. Durften die vielzitierten "Jungen Wilden", die Koch, Wulf, Merz, Westerwelle und wie die Zombies sich noch nennen deshalb in früheren Zeiten ihre Blähungen, die angeblich der Modernisierung dienten, vor den Salons der alten herrschenden Clique absondern, damit die sich nicht nur an den eigenen Gasen benebelt, so ist ihr jetziger Auftrag, den zu erfüllen sie sich auch ohne Leinenzwang und Peitsche beeilen, vor die Türen des Klassengegners kräftige Haufen zu kacken, in der Hoffnung, dass der eine oder andere Repräsentant der Gewerkschaften hinein tritt oder noch besser hinein fällt. Und leider auch nichts Neues: immer wieder wird die Hoffnung erfüllt.
Doch hinter den Kaspern und Pionieren werden die Kampfreihen fest geschlossen: "Die Arbeit muss billiger werden", oder in besserer Übersetzung: "Löhne müssen sinken" — das ist der wahre Inhalt des "Neoliberalismus". Wenn ein Teil der Löhne zu "Nebenkosten" erklärt wird, das schnellere Kündigen und Auswechseln des Personals als Mittel gegen die Erwerbslosigkeit gefeiert und die Schaffung von prekären Arbeitsverhältnissen zur "Ich-AG" wird — dann sind die ersten Ziele schon erreicht, mit der Schwächung der Kampforgane der Arbeiterklassse wäre die zweite Etappe im Krieg nach innen vollzogen. Auch die dritte ist bereits in Geschichtsbüchern nachzulesen.



Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04