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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2003, Seite 24

Stefan Heym (1913—2001)

Streiter gegen jede politische Reaktion

Der am 10.April 1913 als jüdischer Kaufmannssohn in Chemnitz geborene Helmut Flieg, der sich später Stefan Heym nannte, war ein Kämpfer gegen Reaktionäre diverser Couleurs. Als 18-Jähriger publizierte er ein Gedicht gegen den Export von Reichswehroffizieren nach China, das im Chemnitzer Staatsgymnasium so viel Ärger erregte, dass es ihn ausstieß. Im liberaleren Berlin konnte er die Reifeprüfung ablegen und ein Germanistikstudium beginnen.

Wider Faschismus und US-Imperialismus

Den Nazis fiel der junge Mann bald als Gegner auf. Im März 1933 suchte die Gestapo nach ihm. Er floh in die Tschechoslowakei. Um die Familie über die geglückte Flucht zu informieren, schickte Flieg eine Postkarte aus Prag mit der Unterschrift "Stefan Heym". Er nutzte das Pseudonym auch für Artikel. 1935 vermittelte ihm eine jüdische Studentenverbindung ein Stipendium in den USA. Dadurch war sein Studienabschluss in Chicago möglich, wo er mit einer Arbeit über Heines Atta Troll den Magistertitel erwarb. Fortan schlug sich Heym als Kellner, Tellerwäscher, Buchverkäufer und Korrektor durch, bis er 1937/39 in New York die antifaschistische Wochenzeitung Deutsches Volksecho redigierte.
Anfang der 40er Jahre schrieb er sein erstes Buch, das 1942 unter dem Titel Hostages (Geiseln) herauskam. Dank mehrerer Neuauflagen, durch Nachdrucke u.a. durch Readers Digest, Ausgaben in anderen Ländern und einem Hollywood-Film wurde es zum Bestseller. Hostages handelt von Prager Bürgern unterschiedlicher Herkunft, die die SS wegen eines nicht begangenen Mordes an einem Wehrmachtsoffizier verhaftet und umbringt. Vor allem der mit schwejkschen Zügen ausgestattete Held Janoschik vertritt die Widerstandsbewegung, Gestapochef Reinhardt das faschistische Terrorregime.
1958, als Der Fall Glasenapp in der DDR erschien, zeugt das Buch von Heyms Fähigkeit, glaubhafte Charaktere und dramatische Situationen zu gestalten, wobei kolportagehafte Elemente die Spannung fördern. Schon damals zählte offenbar Balzac zu seinen Vorbildern.
1943 musste er zur US-Army. Zuvor forschte das FBI nach, ob Heym Kommunist wäre. Sein Leben lang parteilos, fand er damals Gnade. Er wurde Sergeant, später Leutnant einer Kompanie für psychologische Kriegführung und nahm 1944 an der Invasion in der Normandie teil. Durch Flugblatt- und Rundfunkpropaganda suchte Heym Deutschlands Bevölkerung und Soldaten vom Erfordernis rascher Kapitulation zu überzeugen. Nach Kriegsende war er Mitgründer und Redakteur des Besatzerblatts Neue Zeitung, wurde aber bald entlassen, aus der Armee ausgeschlossen und nach New York zurückversetzt, weil er den Kalten Krieg nicht mitmachen wollte.
September 1948 kam sein zweiter Roman, The Crusaders, heraus, der 1950 unter dem Titel Kreuzfahrer von heute in der DDR, 1966 als Der bittere Lorbeer in der BRD erschien. Das Werk, Böll zufolge "eines der besten und bedeutendsten Kriegsbücher", war ein Welterfolg. Mit einer Vielzahl von Vorgängen verdeutlicht der Autor die doppelgleisige US-Politik, die gleichermaßen antifaschistisch-demokratisch wie imperialistisch war. Heyms Einstellung bewog den McCarthy-Ausschuss, sich für ihn auf bedrohliche Art zu interessieren. Zugleich tobte der Koreakrieg. Unter Protest verließ Heym deshalb 1951 die USA und gab sein Offizierspatent und den Bronze-Star-Orden zurück. Im Januar 1952 trafen seine Frau und er in Ostberlin ein. Gleich anderen Linken sahen sie im DDR-Staat ein Gemeinwesen, das mit reaktionären Traditionen endgültig gebrochen hatte.

Konflikte mit der DDR-Politbürokratie

Anfangs wurde Heym nicht enttäuscht. Leser seiner Werke schätzten ihn. Dem Regime war er ein wertvoller Mitstreiter, es verlieh ihm u.a. den Nationalpreis. Als Heym für den Geschmack der Bürokraten zu kritisch wurde, änderte sich das Verhältnis. Am 12.Mai 1957 veröffentlichte er in der Serie "Offen gesagt" der Berliner Zeitung den Appell der 18 BRD-Atomwissenschaftler gegen nukleare Bewaffnung im Wortlaut, also auch das Bekenntnis seiner Verfasser zur "Freiheit, wie sie heute die westliche Welt gegen den Kommunismus vertritt", das DDR- Medien sonst unterschlugen. Er fragte "unsere redaktionellen Schönfärber", ob sie nicht sähen, "dass der Göttinger Appell seine riesige Schlagkraft erst dadurch gewinnt, dass sich der Satz von der westlichen Freiheit darin befindet?" Die Agitationsabteilung des SED- Zentralkomitees machte der Artikelserie den Garaus, damit Freiheitsgedanken gleich welcher Art nicht bekannt würden.
Noch stärker verdross Heym die Bürokratie durch den Roman über den 17. Juni, den er 1958 in Erstfassung mit dem Titel Der Tag X vorlegte. Er war um wahrheitsgemäße Darstellung der für das Ulbricht-Regime bedrohlichen Vorgänge bemüht. Die Zensur verbot den Druck ebenso wie später den der Zweitfassung 15 Tage im Juni. Die SED-Spitze nahm es übel, dass Heym überall sein Buch propagierte. Das MfS meinte, er verfolge die "Absicht, eine der Politik der Partei schadende öffentliche Fehlerdiskussion ins Leben zu rufen". Ulbrichts Kronprinz Honecker wandte sich im Dezember 1965 vor dem ZK gegen Tag X und des Autors Ansicht, Schriftsteller und Wissenschaftler müssten die Gesellschaft mit führen. 1974 ließ Heym 5 Tage im Juni im Westen drucken. Die Bürokratie sorgte bis zum Ende ihrer Herrschaft dafür, dass das Buch in der DDR nicht erschien.
Im Streit wandte Heym inzwischen die Taktik an, verstärkt durch Vorträge zu agieren und Publikationsmöglichkeiten im Ausland zu nutzen. Er forderte die Desinfizierung des von Stalin verlassenen Raums und strikten literarischen Realismus. Die Stasi legte für ihn den operativen Vorgang "Diversant" an: Er sei "gesellschaftsgefährlich".
Heyms Roman Lassalle wies die Zensur zurück, obwohl sein Autor über die Titelgestalt genauso urteilte, wie Marx und Bebel es taten. Die Politbürokratie nahm Heym übel, das Machtstreben eines Arbeiterführers, sein Taktieren mit der Reaktion und seine Arroganz gegenüber Arbeitern angeprangert zu haben. Als der Verfasser dieses Buch unerlaubt im Westen publizierte, wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt.
Unter Honecker begann 1971 eine Phase liberaleren Regierens. Zwei neue ungenehmigte Westpublikationen Heyms, die Novelle Die Schmähschrift und der König David Bericht, blieben ungeahndet. In Erstgenannter behandelte er den Protest des Schriftstellers Defoe gegen repressives Dunkelmännertum. Der Bericht geißelte obrigkeitliche Geschichtsfälschungen zugunsten skrupelloser Machtpolitik und parodierte stalinistische Methoden. Honecker, um Unterstützung durch die Intelligenz bemüht, ließ indes zu Heyms 60.Geburtstag verkünden, Schmähschrift, König David Bericht und Lassalle würden gedruckt, was 1973/74 auch geschah.
Mit der Ausbürgerung Biermanns im November 1976 endete die liberale Regentschaftsphase. Stephan Hermlin, Heym und andere Schriftsteller und Künstler verwandten sich für die Rücknahme des Entscheids. Sie ließen ihre in der DDR unterdrückte Petition im Westen verbreiten. Das Regime antwortete mit einer massiven Gegenoffensive. Von seiner zweiten Frau Inge unterstützt, die demonstrativ die SED verließ, setzte Heym sich zur Wehr. 1979 brachte er in München mit Collin ein Buch heraus, das die Verfolgung Paul Merkers und Walter Jankas 1957 zum Gegenstand hatte. Die Folge waren 9000 Mark Strafe wegen Devisenvergehens. Sie hatte nicht den vom Regime erhofften Effekt.
Ungebeugt veröffentlichte der Kriminalisierte 1981 Ahasver und 1984 Schwarzenberg im Westen. Letztgenanntes Buch erörtert in literarischer Überhöhung am Beispiel des 1945 unbesetzt gebliebenen Erzgebirgsabschnitts, wie deutsche Arbeiter sich anschicken, die Utopie einer progressiven Staatsmacht zu realisieren. Das MfS las aus dem Manuskript heraus, was nicht drinstand: Antisozialismus und Friedensfeindlichkeit.
Ein anderes Stasi-Papier verwies auf die Nutzung von Lesungen in kircheneigenen Räumen, Gesprächsrunden im BRD-Fernsehen, Reisen in kapitalistische Länder und persönlichen Kontakten durch Heym und hielt fest, dessen "operative Bearbeitung" müsse sich weiter darauf konzentrieren, "Beweise dafür zu erarbeiten, dass H. vom Gegner bewusst in seine ideologische Zersetzungstätigkeit einbezogen wird", zugleich auch bereit und willig ist, als feindlicher Stützpunkt "im Sinne der politischen Untergrundtätigkeit wirksam zu werden". Das klang nach Vorbereitung zum Schauprozess.
Doch war die DDR-Politbürokratie dazu nicht mehr fähig. 1989 dankte sie ab und gab durch bedingungslose Öffnung der Westgrenze den eigenen Staat preis. Der Tribun Heym indes stand mit an der Spitze derer, die die DDR bewahren, demokratisieren und stärken wollten.

Gegen Reaktionäre der Wendezeit und danach

"Die Macht gehört nicht in die Hände eines Einzelnen oder ein paar weniger oder eines Apparats und einer Partei", erklärte er am 4.November 1989 beim Meeting der 500000: "Alle müssen teilhaben an dieser Macht und wer immer sie ausübt oder wo immer, muss unterworfen sein der Kontrolle der Bürger, denn Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut … Übernehmt die Herrschaft."
Im Oktober hatte Heym geschrieben, eine bessere DDR sei notwendig, "schon als Gegengewicht gegen die Daimler-Messerschmitt-Bölkow-Blohm-BASF-Hoechst-Deutsche-Bank-Repu-blik auf der anderen Seite der Elbe". Am 28.11. verlas er den Aufruf "Für unser Land". Am 9.12. bekannte er im Berliner Lustgarten, seit seiner Jugend habe er sich für einen Sozialismus eingesetzt, der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und soziale Gerechtigkeit bedeutet, "und ich habe erlebt, wie viele für diese Sache sich geopfert haben und gestorben sind, und ich bin dagegen, dass jetzt, wo durch diese Revolution hier zum ersten Mal es möglich wird, auf einem Stück deutschen Bodens einen solchen menschlichen, demokratischen Sozialismus zu machen, das Land DDR so mir nichts dir nichts aufgegeben werden soll".
In der erweiterten BRD setzte Heym die Arbeit wider reaktionäre Dunkelmänner fort. Nicht nur durch neue Bücher, darunter Sammelbände mit Essays und Geschichten, den wenig gelungenen Roman Radek und den weit besseren, schon 1966 geplanten Die Architekten. Er trat auch durch politische Aktivitäten hervor, wandte sich gegen Treuhand und Gauck-Behörde, war Mitinitiator der Komitees für Gerechtigkeit.
Zur Bundestagswahl 1994 kandidierte er für die PDS um ein Direktmandat in Berlin, wurde gewählt und sollte statt des Rechtskonservativen Dregger Alterspräsident im Parlament werden. Bundesinnenminister Kanther (CDU) reichte ein Dokument der Gauck-Behörde ein, das beweisen sollte — es aber keineswegs tat —, Heym habe sich 1958 als Stasi-Informant angedient. In den Massenmedien wurde dies aufgegriffen, konnte aber leicht widerlegt werden.
Am 10.11.1994 eröffnete Alterspräsident Heym den Bundestag mit einer Rede, die auf ein wesentliches Ziel gerichtet war: Aus- statt Abbau des Sozialstaats und zu diesem Zweck eine "Koalition der Vernünftigen". Die CDU/CSU dokumentierte durch stummes und bockiges Verharren auf den Plätzen, dass sie nicht zu jenen gehörte. Presseamtschef Vogel (CDU) verweigerte die Aufnahme der Rede ins Bulletin. Wie weiland die DDR-Zensur begründete er das mit politischer Abneigung. Im Bundestag blieb Heym bis September 1995. Dann legte er aus Protest gegen eine geplante Diätenerhöhung sein Mandat nieder.
1999 knapp dem Tode entronnen blieb der Schriftsteller unermüdlich tätig. Er verfasste einen neuen Roman, gab dem Architekten den letzten Schliff und stellte Nachruf 2, die Fortsetzung der 1998 erschienenen Autobiografie, fertig. Seinen Nachlass übermittelte er der Universität Cambridge, da Deutschland nach wie vor nicht zu trauen sei. Im Dezember 2001 reiste Heym zum Heine- Kongress nach Israel. Am 16.12. verstarb er dort an Herzversagen.
Der Schulförderverein des einstigen Staatsgymnasiums Chemnitz e.V., das Heym besuchte, protestierte gegen den Rathausbeschluss, der Schule seinen Namen zu geben: Er habe die Anstalt "unehrenhaft verlassen", sich in seinen Erinnerungen abfällig über sie geäußert und sei ein "unverbesserlicher Sozialist" gewesen.
Die Jüdische Gemeinde Berlin beschloss, dem Willen des Verstorbenen nach einem Grabstein allein mit Namen, Geburts- und Sterbedatum nicht zu entsprechen. Aufzustellen sei vielmehr ein Stein mit Davidstern und hebräischer Inschrift. Erst im Februar 2003 bequemte sich die Gemeinde zu dem Kompromiss, beide Grabsteine gleichzeitig zu dulden. Wer hätte das besser als Heym beschrieben?

Manfred Behrend

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