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Theodor Leipart, der Vorsitzende des
Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB), reagierte auf
die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler mit der Parole
"Organisation, nicht Demonstration das ist die
Parole der Stunde". Die Rettung der eigenen Organisation
war also oberste Maxime der Gewerkschaften im deutschen
Faschismus. Der Höhepunkt dieser Anpassungsfeiern waren
die 1.Mai-Feiern von 1933, die die Gewerkschaften als "Tag
der nationalen Arbeit" feierten bevor sie alle
einen Tag später verboten und zerschlagen wurde. Jakob
Moneta hat die Machtergreifung Hitlers und die Zerschlagung der
Gewerkschaften als 18-jähriger engagierter Sozialist
miterlebt.
Wie hast du die 1.Mai-Feiern des Jahres 1933
erlebt?
Wir waren überrascht, zu sehen, dass die
Gewerkschaftsführung dazu aufgerufen hat, an diesen
Demonstrationen vom 1.Mai 1933 teilzunehmen. Wir hatten ja 1932
in Köln eine 1.Mai-Demonstration, wo die KPD und die SAP
(Sozialistische Arbeiterpartei) zusammen und getrennt von der
Sozialdemokratie demonstriert haben. Letztere war nicht bereit,
zusammen mit der KPD zu demonstrieren. Damals begann die KPD
gerade mit ihrer Losung "Wer hat uns verraten
Sozialdemokraten" und die SAP, die ja für die
Einheitsfront war, ging daraufhin aus der Demonstration raus
und machte einen Linksschwenk.
Es
demonstrierten in Köln, wo ich damals lebte, also etwa
1500 SAPler, 8000 oder mehr Kommunisten und die
Sozialdemokraten mit 30004000 Leuten. Damals begannen die
Diskussionen um die Frage der Einheitsfront, mit der wir
glaubten, den aufziehenden Faschismus besiegen zu können
und zu müssen. Als dann 1933 dazu aufgerufen wurde, am
nationalen Tag der Arbeit mit zu demonstrieren, da war mir
klar, dass es vorbei war. Das war ein Sieg der Nazis, der uns
umgeworfen hat. Einen Tag später wurden die
Gewerkschaftshäuser besetzt, das Vermögen der
Gewerkschaften beschlagnahmt und die Gewerkschaften
zerschlagen.
Bis heute wird ja immer wieder behauptet, dass es
keine andere Chance gegeben habe. Aber das stimmt einfach
nicht, dafür gibt es überzeugende Zeugnisse, wie ich
ebenfalls nicht müde werde, immer wieder zu betonen.
Wilhelm Hoegner, Reichstagsmitglied der SPD und nach dem
Zweiten Weltkrieg bayrischer Ministerpräsident, hat seine
Erinnerungen Flucht vor Hitler unmittelbar nach seiner
Emigration in die Schweiz geschrieben. Der Lektor der Exil-SPD-
Verlags lehnte 1937 eine Veröffentlichung ab, weil
"die unerbittliche Wahrheit" noch nicht ausgesprochen
werden dürfe.
Erst 40 Jahr später erschienen die
Erinnerungen, in denen Hoegner schreibt: "Der schwerste
Schlag des Jahres 1932 war die Preisgabe der roten Feste
Preußen gewesen. Die deutsche Sozialdemokratie hatte sie
am 20.Juli 1932 kampflos geräumt. Dabei war der Versuch
eines Widerstands gegen den Staatsstreich des Reichskanzler
Papen und seiner Regierung der Barone gar nicht aussichtslos …
In den Berliner Großbetrieben warteten die Vertrauensleute
der freien Gewerkschaften fiebernd auf das Zeichen zum Beginn
des Generalstreiks. Bei der Erbitterung der Zentrumspartei
gegen den abtrünnigen Katholiken Papen wären auch die
christlichen Gewerkschaften im Rheinland und in Westfalen in
den Streik hineingerissen worden. Ebenso wäre trotz aller
Verhetzung gegen die Sozialdemokratie, genau wie beim Kapp-
Putsch, auch die Kommunisten in die Front gegen die
Verfassungsbrüche mit eingeschwenkt … Aber die deutsche
Sozialdemokratie besaß schon damals nicht mehr die Kraft
zu einer entschlossenen Tat. Es reichte gerade noch zu einer
kraftmeierischen Geste aus."
Gegen
Hitlers Ernennung zum Reichskanzler war nach Meinung unserer
Gewerkschaftsführer nichts zu machen. Sie war angeblich
legal. Hoegner beschreibt, wie manche andere auch, dass die
sozialistische Überzeugung noch tief in Millionen Herzen
verwurzelt war, während schon die Gewerkschaftshäuser
brannten. Unter einer entschlossenen Führung wären
wir unüberwindlich gewesen. Da diese aber vor den letzten
schweren Schlüssen zurückschreckte, blieben wir zur
Ohnmacht verurteilt.
Dass diese Stimmung mehrheitlich da war,
zeigen ja auch die Betriebsrätewahlen vom Frühjahr
33, die bereits unter dem Hitlerfaschismus noch eine
Vierfünftelmehrheit für die demokratischen
Gewerkschaften ergaben. Es lag also nicht an den quantitativen
Verhältnissen, dass die Gewerkschaften in den
entscheidenden Monaten eine solch unentschlossene Politik
machten. Noch in den Wahlen vom März 33 erhielten
die Nazis bekanntlich einen Stimmenanteil von 43,7% und in den
letzten freien Betriebsrätewahlen vom April 33
erhielten sie nur 11,7% der Betriebsdelegierten. Das beweist,
dass all jene lügen, die die Schuld den angeblichen
Massen, die zu den Nazis übergelaufen seien, anlasten.
Warum ist es dann nicht zu vergleichbaren Prozessen
wie jenen in Österreich ein Jahr später gekommen.
Auch dort schreckte die Führung vor dem Kampf zurück,
aber große Teile der Arbeiterschaft erhoben sich 1934
trotzdem.
Die Österreicher hatten ja schon das
deutsche Beispiel vor sich. Das spielte eine große Rolle.
Doch auch dort gab es keine organisierte Mobilisierung der
Arbeitermassen, das waren einzelne von den mittleren
Führern, die dann ja auch später hingerichtet
wurden.
Aber denk an Frankreich. Dort sind die Gewerkschaften
und Sozialisten in die Offensive gegangen mit der Volksfront.
Das begann auf der Straße. Da haben Sozialisten und
Kommunisten getrennt demonstriert und es kam immer wieder die
Losung "Unité, Unité" (Einheit).
Man darf
nicht vergessen, dass die französische KP schon aus der
deutschen Erfahrung gelernt hatte. In Deutschland spielte
dagegen die Sozialfaschismustheorie einen große Rolle: Die
Sozialdemokraten wurden von den Kommunisten Sozialfaschisten
genannt, und umgekehrt nannten die Sozialdemokraten die
Kommunisten rote Faschisten. Man darf auch nie den großen
Unterschied zwischen Deutschland und Italien oder Frankreich
vergessen. In Deutschland war die Arbeiterbewegung sehr straff
organisiert und sie glaubte an ihre Führung. Mit dem
Zusammenbruch der Führung war deswegen für sie alles
gestorben.
Wie haben sich diese Ereignisse im kleinen, im
Alltag niedergeschlagen?
Nur ein kleines Beispiel: Wir hatten im SJV, im
Sozialistischen Jugendverband der SAP, wo ich aktiv war, eine
Genossin, die mir irgendwann sagte, ich müsse unbedingt
mit ihr nach Hause gehen und mit ihrem Vater reden. Ihr Vater
war sein Leben lang Sozialdemokrat und wählte nun die
Nazis. Dann kam ich in eine Wohnung, da war alles
ausgeräumt. Da standen nur ein Bett, ein Tisch und
Stühle, das war alles. Da habe ich mit ihm gesprochen und
er hat mir erzählt: Ich bin Ingenieur, Facharbeiter und in
der ganzen Welt gewesen. Ich bin jetzt seit drei Jahren
arbeitslos jetzt muss es anders werden und der einzige,
der uns Arbeit verspricht ist der Hitler. Ich war völlig
erschlagen. Aber das waren vor dem Hintergrund dessen, was ich
gerade erzählt habe, einzelne, die damals schon
umgeschwenkt sind.
Man kann sicherlich keine direkten Parallelen von
damals nach heute ziehen. Aber eine ist mir aufgefallen. Ein
Schlüsselelement der damaligen konservativen und
faschistischen Propaganda war ja die abfällige Rede von
Weimar als einem vermeintlichen Gewerkschaftsstaat. Die
aktuellen Angriffe von neoliberalen CDUlern oder FDPlern
benutzen eine ausgesprochen ähnliche Diktion.
Du hast Recht, wir stehen nicht vor einem neuen Faschismus,
das kann man nicht vergleichen. Aber die Rechten haben in der
Tat dieselben Argumente wie damals.
Aber liegt nicht auch eine Parallele darin, dass die
heutigen Gewerkschaften diesem Gerede vom vermeintlichen
Gewerkschaftsstaat wenig entgegen zu setzen haben?
Das
ist nicht vergleichbar. Damals waren die Gewerkschaften
diejenigen, die als erstes kapituliert haben. Heute ist es ja
umgekehrt. Heute ist es so, dass die Gewerkschaften zumindest
offiziell so tun, als ob sie dagegen sind. Und du siehst ja,
dass es Wirkung zeitigt. Sie sind eine objektive Macht, und es
ist die Frage, ob sie diese Macht auch einsetzen.
Nimm das
Beispiel des Machtkampfs zwischen Berthold Huber und
Jürgen Peters in der IG Metall. Der Huber, den man von
oben einsetzen wollte, ist ja ein aus dem [maoistischen] KBW
kommender "Reformer", einer, der seinen Weg zum
"Genossen der Bosse" gemacht hat. Während der
die Kapitulation von vornherein beabsichtigt, ist dies bei
Peters doch noch anders. Der hat noch mehr Verbindungen zu
jenen Betriebsfunktionären, die noch kämpfen wollen.
Ob er sich wirklich durchsetzen wird, ist noch eine andere
Frage, denn im neuen verkleinerten Vorstand werden sicherlich
viele Anhänger von Huber sitzen.
Wie könnten, wie sollten Gewerkschafter in
einer solchen Situation wie heute wieder in die Offensive
kommen?
Diese wichtige Frage stellte sich, um ein wenig
zurückzugehen, bereits in den 20er Jahren. Nach dem
Verebben der revolutionären Nachkriegswelle, gab es
große diesbezügliche Diskussionen, bei denen Lenin
auf einem Kongress der Kommunistischen Internationale für
eine Resolution zu Teil- und Übergangsforderungen
intervenierte. Der IV.Weltkongress verurteilte
gleichermaßen entschieden die Bestrebungen, die
Einführung von Übergangsforderungen als Opportunismus
darzustellen, was verschiedene Ultralinke getan haben, wie auch
alle Versuche, die grundlegend revolutionären Aufgaben
durch Teilforderungen zu vertuschen oder zu ersetzen. Letzteres
ist besonders wichtig, denn es bedeutet, dass nicht einfach die
eigenen Ziele über Bord geworfen werden, sondern dass es,
gerade um sie zu verwirklichen, nötig ist, sie durch
Übergangsforderungen zu vermitteln.
Ich denke,
wir sind heute an einem Punkt angelangt, uns hieran wieder zu
erinnern und zu sagen, dass wir mit dieser
Gesellschaftsordnung, solange der Kapitalismus so bleibt wie er
ist, keinen Blumentopf gewinnen können. Um aus diesem
System heraus zu kommen, brauchen wir
Übergangsforderungen. Auch in den Betrieben sind die Leute
heute für mehr Lohn, weniger Arbeitszeit und anderes
immer aber als vereinzelte Forderungen. Was wir nicht
haben, ist ein zusammenfassendes und weiter treibendes
Übergangsprogramm, dass solche Teilforderungen mit den
sozialistischen Zielvorstellungen vermittelt.
Woran denkst du konkret?
Eine heutige Übergangsforderung wäre meines
Erachtens mindestens die verallgemeinerte 35-Stunden-Woche,
eigentlich sogar die 30-Stunden-Woche mit Lohnausgleich.
Arbeitszeitverkürzung, Urlaubsausdehnung, Rentensystem
all dies waren bspw. in den 50er Jahren erfolgreiche
Mittel, dem technologischen Freisetzungsprozess zu begegnen und
Vollbeschäftigung zu schaffen. Heute tun wir so, als ob
dies alles gar nicht möglich ist.
Dass man
heute durch die Verringerung der Löhne und
Arbeitseinkommen neue Arbeitsplätze schaffen kann, ist
dagegen ausgeschlossen, ist ein neoliberales Märchen, dass
seit 20 Jahren nichts gebracht hat.
Schröder hat in seiner Ruck-Rede sowohl die
Kriegsfrage als auch die Frage des Sozialabbaus
zusammengedacht. Ich habe nicht den Eindruck, dass die
Gewerkschaften beide Fragen gleichermaßen in einem
Zusammenhang denken. Hinter beidem steckt das Recht des
Stärkeren, das neoliberale Denken gleichsam als Faustrecht
mal nach außen, mal nach innen.
Ja, aber gerade hier musst du sehen, dass wir heute eine
ganz andere Situation haben als 1933. Die Tatsache, dass es
gelungen ist, Millionen Menschen auf die Straßen zu
bekommen, vor allem die Jugend, ist, egal wie weit der
Schröder mit uns geht oder was er im Hinterkopf hat, ein
sehr großer Erfolg. Du siehst, wie schnell sich
Situationen ändern können. Gerade die Menschen in den
Betrieben sind heute nicht sehr kampfbereit, aber man kann dort
wieder hinkommen. Und unsere Aufgabe ist es, die Alternativen
wieder aufzuzeigen und zusammenzutragen.
Das
Gespräch für die SoZ führte Christoph
Jünke.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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