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In aller Eile haben die DGB-Gewerkschaften und der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) am 20.2.03 Eckpunkte eines
Tarifvertrags vereinbart, der für die Leiharbeitsbranche und die (neu geschaffenen, den Arbeitsämtern angegliderten) PersonalServiceAgenturen
(PSA) gelten soll. Spätestens zum 30.6.03 soll der Tarifvertrag unter Dach und Fach sein. Doch schon zum 1.3.03 trat ein Tarifvertrag in Kraft, den die
Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit (CGZP) und die PSA mit der Interessengemeinschaft Nordbayerischer Zeitarbeitunternehmen (INZ)
abgeschlossen hat.
Die INZ hat nach eigenen Angaben etwa 40 Mitgliedsunternehmen mit 10000
Beschäftigten. Bei den 1600 BZA-Mitgliedsunternehmen sind 100000 von insgesamt 260000 bundesweit tätigen Leiharbeitskräften
beschäftigt. Während im Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) 300000 Beschäftigte organisiert sind, sind es im DGB 7,7 Millionen.
Mit der Einrichtung von PSA im Rahmen der Hartz-Gesetze werden Erwerbslose zwar als die
große Zielgruppe für die Leiharbeit auserkoren. An den Tarifverhandlungen beteiligt waren sie jedoch nicht. Wie die folgenden vier Beispiele zu
den Vereinbarungen zwischen DGB und dem Bundesverband Zeitarbeit zeigen, werden sie aber die großen Verlierer sein.
Ein Leiharbeitnehmer erhält, wenn er von einem Entleihbetrieb für eine einfache
Facharbeitertätigkeit eingesetzt wird, die keine Zusatzkenntnisse oder Erfahrung erfordert, einen Regelstundensatz von 10,60 Euro (Entgeltgruppe 3).
Wenn der Einsatz in einem Betrieb erfolgt, in dem ein günstigerer Flächentarifvertrag gilt, wird zusätzlich zu diesem monatlichen
Grundentgelt ein Zuschlag gezahlt. Der wird zwischen der zuständigen Einzelgewerkschaft und dem Unternehmerverband vereinbart. In Hessen bspw.
liegt der tarifliche Grundlohn für Facharbeiter laut IG Metall bei 11,51 Euro, also 9% höher als der Regelstundensatz für entsprechende
Leiharbeitskräfte. Würde die Differenz aufgrund einer Zusatzvereinbarung ausgeglichen, gäbe es gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Einem Facharbeiter im Alter von 40 Jahren wird zusammen mit anderen Kollegen betriebsbedingt gekündigt. Der Betrieb, in dem er bisher arbeitete,
gliedert einen Teil der Produktion aus und beschäftigt jetzt teilweise Arbeitskräfte vom hauseigenen Verleiher. Dem Gekündigten wird
mitgeteilt, dass er bei diesem Verleiher eingestellt werden kann, allerdings nur als Ungelernter.
Der Betrieb weiß natürlich, dass er eine Fachkraft ist und auf dem Arbeitsmarkt
nicht als schwer vermittelbar gilt. Der Kollege geht auf das Angebot ein, weil er nicht arbeitslos sein will. Er erhält gemäß den DGB/BZA-
Eckpunkten den Regelstundensatz aus der Entgeltgruppe 1 für Tätigkeiten, die eine kurze Anlernzeit erfordern, also 8,40 Euro. Erst ab dem 8.Monat
erhält er den Branchenzuschlag. In der Zeit vom 1.1.05 bis 31.12.07 gibt es den Zuschlag ab dem 5.Monat. Diese Fristen gelten nur für die
Entgeltgruppen 1 und 2.
Der normale tarifliche Grundlohn für Ungelernte liegt in Hessen laut IG Metall bei 9,67
Euro. Der nunmehr im alten Betrieb als Leiharbeitskraft tätige Facharbeiter erhält für 7 Monate 13% weniger als fest Angestellte, die die
gleiche Tätigkeit ausüben.
Ein Facharbeiter wird mit 50 Jahren erwerbslos. Er erhält 750 Euro Arbeitslosengeld. Nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit ist für ihn nach
geltendem Arbeitslosenrecht ein Nettoarbeitsentgelt von 750 Euro zumutbar. Er wird vom Arbeitsamt zu einer PSA geschickt, die ihm in einem Entleihbetrieb
eine Tätigkeit anbietet, die nur eine kurze Anlernzeit erfordert. Da es keinen Berufs- oder Tätigkeitsschutz gibt, muss er diese Arbeit annehmen, will
er keine Sperrzeit riskieren. Vom Alter her gilt er auf dem Arbeitsmarkt als "eingeschränkt vermittlungsfähig".
Obwohl nach einer Untersuchung die meisten Leiharbeitskräfte einen Berufsabschluss
haben, werden über ein Viertel als Hilfskräfte eingesetzt (1995 waren es noch 18,5%, am 30.6.2001 aber schon 27,4%).
Der von der Agentur verliehene Facharbeiter erhält schließlich den
Mindeststundensatz von 6,85 Euro aus der Entgeltgruppe 1. Das ergibt bei einer 35-Stunden-Woche einen Bruttomonatslohn von 1038 Euro. Dieser wird ihm
nach den vereinbarten Eckpunkten zwischen DGB und dem Bundesverband Zeitarbeit für die ersten sechs Monate des
Beschäftigungsverhältnisses gezahlt. Erst danach, also im 7.Monat, bekommt er den Regelstundensatz von 8,40 Euro (ebenfalls Entgeltgruppe 1).
Ab dem 8.Monat wird auch der Branchenzuschlag gezahlt.
Zu beachten ist hierbei, dass im Durchschnitt nur ein Fünftel aller
Leiharbeitskräfte länger als sechs Monate arbeitet. Erst ab Januar 2008 greift die gesetzliche Regelung, wonach gleicher Lohn für gleiche
Arbeit im Entleihbetrieb bereits nach sechs Wochen gilt.
Der von der PSA angestellte Facharbeiter arbeitet also zu einem Entgelt, das 29% unter dem
üblichen Tarif liegt. Alle düsteren Vorankündigungen sind in diesem Beispiel Realität geworden.
Wird derselbe Facharbeiter von der Interessengemeinschaft Nordbayrischer Zeitarbeitsunternehmen verliehen, gilt der mit den christlichen Gewerkschaften
abgeschlossene Tarifvertrag. Dieser enthält aber neun Entgeltgruppen (gegenüber fünf Entgeltgruppen bei den DGB/BZA-Vereinbarungen).
In der ersten Entgeltgruppe sind überwiegend Beschäftigte mit
Vermittlungshemmnissen. Diese Entgeltgruppe bezieht sich auf das Ausführen von schematischen Tätigkeiten, für die keine Berufsvorbildung
und kein spezielles Können, aber eine Einweisung erforderlich ist. Solange der Facharbeiter in einem Entleihbetrieb eingesetzt ist, erhält er in der
ersten Entgeltgruppe einen Produktivlohn pro Stunde von 6,70 Euro, d.h. Grundlohn von 6,30 Euro plus Zuschlag. Wird er zwischenzeitlich nicht entliehen,
sondern nimmt in der PSA an einer Weiterbildung teil, erhält er nur den Grundlohn von 6,30 Euro pro Stunde.
Mit 6,70 Euro liegt das Entgelt des Leiharbeiters nicht wesentlich unter dem der DGB/BZA-
Eckpunkte mit 6,85 Euro. Der Vertrag mit dem CGB enthält jedoch keine Fristen, nach denen wenigstens irgendwann einmal gleicher Lohn für
gleiche Arbeit gezahlt wird. Vielleicht ist ja die gleiche Entlohnung wie im Entleihbetrieb nach der gesetzlichen Frist von sechs Wochen beim Arbeitsgericht
einklagbar.
In diesem Beispiel kann dem Beschäftigten in der Probezeit während der ersten
zwei Wochen mit einer Tagesfrist, bis zum Ende des zweiten Monats mit einer Frist von einer Woche gekündigt werden.
Der DGB-Verhandlungsführer Reinhard Dombré meinte, dass der "unanständige" Vertrag der Tarifgemeinschaft Christliche
Gewerkschaften Zeitarbeit "keine Messlatte" sei: "Wir werden uns nicht nach unten orientieren." Was den Branchenzuschlag und die
Kündigungsfristen betrifft, so hat er Recht. Der Tarifvertrag verstößt deutlich gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aus der EU-
Richtlinie. Doch Abschläge vom üblichen Tariflohn enthält auch die Vereinbarung zwischen DGB und dem Bundesverband Zeitarbeit, sie
sind dort sogar für mehrere Jahre festgeschrieben.
Erst ab dem 1.1.2007 kann über eine eigene Tarifentwicklung beraten werden, wenn eine
Tarifpartei dies will. Bis dahin werden die Sätze der allgemeinen Tarifentwicklung angepasst.
Doch selbst der vom DGB initiierte Tarifvertrag, der gleichen Lohn für gleiche Arbeit
wenigstens für einen Teil der Leiharbeitskräfte annäherungsweise vorsieht, muss in der Leiharbeitsbranche noch durchgesetzt werden. Erst
wenn die tarifgebundenen Unternehmer mindestens 50% der unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen, kann ein
Tarifvertrag nach dem Tarifvertragsgesetz für allgemeinverbindlich erklärt werden. Doch selbst wenn der Bundesverband Zeitarbeit mit der
Interessengemeinschaft Zeitarbeit, die zu Anfang ebenfalls Verhandlungspartner waren, zusammengehen würde, würde die 50%-Grenze noch nicht
erreicht. Es kann also passieren, dass nicht in allen PSA der gleiche Tarifvertrag besteht.
Sicherlich werden Leiharbeitnehmer durch die von DGB/BZA eingeführten Mindeststundensätze vor noch niedrigeren Leiharbeitslöhnen
geschützt. Doch ein Abschlag von bis zu 30% bei Ungelernten mit Vermittlungshemmnissen liegt nur knapp über der Grenze zum Dumpinglohn.
Die höchstrichterliche Rechtssprechung spricht von sittenwidrigen Löhnen, wenn die Löhne um mehr als ein Drittel unter den
Tariflöhnen entsprechender Tätigkeiten in der Gesamtwirtschaft liegen.
Der vereinbarte Abschlag kommt zum Tragen bei Menschen mit sog.
Vermittlungshemmnissen. Das sind Langzeiterwerbslose, Beschäftigte über 50, Menschen ohne Berufsabschluss, somit auch Schüler und
Studierende, Berufsrückkehrerinnen, also überwiegend Frauen, die nach Kinderbetreuungszeiten wieder in das Berufsleben wollen, und
schwerbehinderte Menschen. Erwerbslose werden durch Sozial- und Arbeitsämter zu den Leiharbeitsfirmen und zu den PSA gedrängt und
müssen dabei ihre Qualifikation eventuell an den Nagel hängen. Die Leiharbeitsfirmen können sich aus dem Kreis dieser Menschen die
Besten aussuchen und für den Mindeststundensatz von 6,85 Euro oder 6,70 Euro beschäftigen.
Wolf Herzberg
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