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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 6

Das Maß ist voll

Mobilisierungen gegen den Sozialraub kommen in Gang

Mit seiner Rede vom 14.März hat der Bundeskanzler den Bogen überspannt. Zwar dauert es eine Weile, bis der Zorn über die so unverhohlene Liquidierung des Sozialstaats und die Missachtung der Gewerkschaften einen Ausdruck im organisierten Protest findet, aber dieser Prozess ist jetzt eindeutig angelaufen und wird sich in den kommenden Monaten steigern.
• Das bundesweite Anti-Hartz-Bündnis, eine Initiative vonLabournet und der Zeitung Express, hat bereits im Januar örtliche und regionale Erwerbslosengruppen gegen die Gesetze "Zur Modernisierung der Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" gesammelt. Diese Gesetze haben einige Module der Hartz-Vorschläge umgesetzt, insbesondere die zu den PersonalServiceAgenturen (PSA) und zur Leiharbeit. Offen blieb bisher, wie hoch das Arbeitslosengeld II ausfällt, das die Arbeitslosenhilfe ablösen soll. Die Gewerkschaften hatten sich auf das Wort der SPD vor der Wahl verlassen, "im Rahmen einer Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe [werde es] keine Absenkung der zukünftigen Leistung auf Sozialhilfeniveau [geben]", auch keine Absenkung des Arbeitslosengelds.
Bundeskanzler Schröder hat dieses Wort nun in seiner Kanzlerrede gleich mehrfach gebrochen: Er hat angekündigt, die Arbeitslosenhilfe werde auf den Regelsatz der Sozialhilfe gesenkt, der Bezug von Arbeitslosengeld auf 12 Monate beschränkt. Außerdem soll ein Drittel der bisherigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe darauf gar keinen Anspruch mehr haben, weil Partnereinkommen und Vermögen verschärft angerechnet werden. Das betrifft 1,2 Millionen Menschen.
Das Anti-Hartz-Bündnis hat Anfang April verabredet, am 28.Juni in Berlin eine zentrale Veranstaltung durchzuführen. Der Runde Tisch der Erwerbslosen und Sozialhilfebeziehenden koordiniert die Aktion.
• Ver.di ruft für den 17.Mai zu einer bundesweiten Demonstration auf. Diese war ursprünglich als Gesundheitsdemo geplant, hat inzwischen aber eine Öffnung zur Kritik an der Sozialdemontage insgesamt erfahren. Ver.di demonstriert für den Erhalt des paritätisch finanzierten Gesundheitssystems und für eine "gerechte Verteilung der Einnahmen". Darüber hinaus fordert der Aufruf, den man im Internet abrufen kann, Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen durch Ankurbelung der Binnenkonjunktur: ein Investitionsprogramm von 20 Mrd.Euro sofort und weitere 10 Mrd. Euro jährlich bis 2006. "Das schafft 500000 neue Arbeitsplätze!" Dafür soll die Vermögensteuer wieder eingeführt werden.
• Der Bundeserwerbslosenausschuss von Ver.di (BEA) hat zusammen mit dem Arbeitslosenverband (ALV) und der Koordinierungsstelle der Arbeitslosengruppen (KOS) einen eigenen Aufruf zur Demonstration verfasst. Darin wird der Erhalt der Arbeitslosenhilfe als Sozialversicherungsleistung gefordert, was im zentralen Demonstrationsaufruf gar nicht zur Sprache kommt. Seinerseits versäumt es der BEA-Aufruf jedoch, darauf aufmerksam zu machen, dass das Arbeitslosengeld II unterhalb des (derzeitigen) Niveaus der Sozialhilfe liegen wird — und damit eine Absenkung auch der Sozialhilfe vorprogrammiert ist.
• Die IG Metall bietet ihren Mitgliedern eine Kampagne zum Mitmachen an: "Die IG Metall geht in die Offensive. Und Sie können mitmachen — indem Sie sich an die Abgeordneten wenden und ihre Meinung zu den Vorhaben der Bundesregierung und zu den Angriffen auf die Gewerkschaften sagen." "Die IG Metall setzt sich für Reformen ein — aber sie lehnt eine ‚Modernisierung‘ ab, die die Grundlagen des Sozialstaats zerstört", heißt es auf ihrer Homepage.
Fast alle Erwerbslosenorganisationen rufen dazu auf, am 17.5. mit Ver.di in Berlin zu demonstrieren. Doch das Vorgehen der Gewerkschaften zeigt deutlich: Hier soll Protest und Widerstand nicht gebündelt, nicht eine Einheit zwischen den verschiedenen Bevölkerungsteilen hergestellt werden, die der Kanzler in seiner Rede angegriffen hat. Hier wird Protest zersplittert, die Einzelgewerkschaften arbeiten parallel, jede Betroffenengruppe tritt getrennt auf — sogar innerhalb einer Gewerkschaft.

Können sich die Gewerkschaften von der SPD lösen?


Dies stellt ein großes Problem dar, das überwunden werden muss. Denn es ist klar: Ein zersplitterter Widerstand vermag viel weniger zu mobilisieren als ein geeinter. Offenkundig mag die Gewerkschaft "ihre Regierung" nicht wirklich zwingen, ihre Pläne aufzugeben. Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der IG BAU, drückte dies in einem Ingterview mit der FR (3.4.2003) so aus: "Ich will nicht gegen Schröder arbeiten. Aber dem Vorsitzenden gehört ja auch nicht die Partei. Dass sich ein Vorsitzender korrigiert, ist ein normaler demokratischer Vorgang. Und in der SPD ist Feuer unterm Dach. Das ist nicht zu übersehen."
Schröder hat kaum noch eine Möglichkeit sich zu korrigieren, außer der zurückzutreten, wenn er nicht eine offene Regierungskrise provozieren will. Das wollen die Gewerkschaften nicht — dann kämen Koch und Merkel, und die wollen sie noch weniger. Die "Wende" von 1982 ist ihnen noch gut in Erinnerung. Aber was haben sie davon, dass sie reaktionäre Politik lieber im roten als im schwarzen Gewand mittragen?
Wenn es eine Gewerkschaftspolitik jenseits einer Logik des kleineren Übels geben soll, dann muss sie sich jetzt formieren. Die Gewerkschaftslinke ist gefragt. Aus der Ecke scheint auch etwas zu kommen. In Stuttgart organisiert das Netzwerk für eine Gewerkschaftslinke Mitte Mai ein Zukunftsforum; die Ruhrkoordination plant eine Regionalkonferenz für Mitte Juni.
Am 8.April hat sich in Berlin ein Kreis von 40 Gewerkschaftsmitgliedern aus fünf Einzelgewerkschaften getroffen, um ihren Protest gegen die derzeitige Sozialpolitik der rot-grünen Regierung zum Ausdruck zu bringen. Die anwesenden Mitglieder und Funktionäre von Landesbezirks-, Bezirks- und Ortsvorständen, Stadtteilsekretäre, Betriebsräte und Vertrauensleute stellten fest, dass die seit Wochen auf den unterschiedlichsten Ebenen der Gewerkschaften artikulierte Kritik sowohl an den Schröder-Plänen als auch an der halbherzigen Politik von Gewerkschaftsvorständen von diesen ignoriert wird.
Nun sei der Zeitpunkt gekommen, übergewerkschaftlich zusammenzuarbeiten und die Kritik öffentlich zu machen, sich aus der politischen Abhängigkeit vom sozialdemokratischen Regierungskurs schnellstens zu lösen. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die ohnehin in den letzten Jahren geschwächten Gewerkschaften zusammen mit der Sozialdemokratischen Partei, die längst nicht mehr der "natürliche Verbündete" der Gewerkschaften sei, in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.
Die derzeit wichtigste Frage ist, unter welchem Dach die sich formierende breite gesellschaftliche Opposition zusammenfindet. Wenn die Gewerkschaftsvorstände sich weigern, der Adressat zu sein — eine Rolle, die ihnen natürlicherweise zufallen würde — dann wird es einen Ersatz geben müssen. Vielleicht können ja die Sozialforen diese Rolle spielen.

Angela Klein

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