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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 9

Wasserwirtschaft im Übergang

Von der Daseinsvorsorge zur Profitmaximierung

Einer der sensibelsten Bereiche bei den GATS-Verhandlungen ist die Privatisierung der Wasserversorgung.
Wasser ist neben Luft der einzige Stoff, dessen Bedarf für den Menschen durch keinen anderen Stoff ersetzt werden kann. Wasser hat einen zentralen Stellenwert im Leben der Menschen.
Um eine zuverlässige Wasserversorgung zu gewährleisten, wurde sie in den meisten Ländern aus dem Marktgeschehen herausgenommen und staatlich organisiert. Darin dokumentiert sich ein tiefes Misstrauen gegenüber der sonst so vehement vertretenen Position, der Markt würde jederzeit und überall alles zum Besten richten. Für diese Bereitstellung von Gütern zur Deckung der Grundbedürfnisse wurde der Begriff der (kommunalen) Daseinsvorsorge geprägt.
Seit einiger Zeit unterliegt das Nebeneinander von Markt bei "normalen" Gütern und staatlich organisierter Bedarfsdeckung bei Grundbedürfnissen bei uns und auch in anderen Ländern massiven Veränderungen, in zweifacher Hinsicht: Erstens soll nicht mehr der Staat diese Güter bereitstellen, sondern private Unternehmen (Privatisierung, Entstaatlichung). Zweitens soll ihre Bereitstellung nicht mehr in Form der gelenkten Versorgung geschehen, sondern sie soll den Marktgesetzen unterworfen werden, also den Kriterien der Produktion für den Profit (Deregulierung, Liberalisierung, Kommerzialisierung).

Frankreich

Frankreich und Großbritannien sind die einzigen großen industrialisierten Länder, in denen die Wasserwirtschaft größtenteils bereits privatwirtschaftlich organisiert ist. Die dort gemachten Erfahrungen sind auch für unser Land lehrreich.
Die Wasserversorgung ist in Frankreich Aufgabe der 36000 Gemeinden. Diese vergeben per Ausschreibung das Recht zur alleinigen Versorgung eines bestimmten geschlossenen Versorgungsgebiets: in den Städten meist an private, im zersplitterten ländlichen Raum meist an eigene kommunale Unternehmen (den privaten Versorgern ist es hier zu kleinräumig). Die Anlagen bleiben im Eigentum der Gemeinden. Zeitlich befristet auf etwa 20 Jahre erhält das Versorgungsunternehmen in einer Art Konzessionsvertrag die Betriebsführung. Auf dieses wird auch das Planungs-, Investitions- und Finanzierungsrisiko übertragen. Ein Rahmen für Investitionen, Wasserpreise usw. wird zwischen der ausschreibenden Gemeinde und dem bewerbenden Versorgungsunternehmen vertraglich vereinbart.
Den Städten stehen auf der Seite der Konzessionsnehmer nur wenige große Privatkonzerne gegenüber. 70% der gesamten französischen Wasserversorgung wird durch die drei Konzerne Vivendi, Suez und Saur abgedeckt.
Diese Marktstruktur begünstigt Bieterabsprachen zwischen den Marktteilnehmern. So werden laufend Bestechungsskandale bei der Vergabe von Konzessionsverträgen bekannt. Derartige Strukturen wirken preistreibend. Tatsächlich liegen die Wasserpreise bei privatwirtschaftlicher Versorgung um 15—20% höher als bei einer kommunal betriebenen Versorgung.
Relativ hohe Wasserpreise entstehen auch durch die unstete Investitionstätigkeit der Privaten: Gegen Ende der Konzessionszeit werden Investitionen, die nicht unbedingt sein müssen, zurückgefahren und zurückgehalten, solange der Anschlussvertrag nicht unter Dach und Fach ist.
In aller Regel sind die Kommunen bei der Konzessionsvergabe den sich bewerbenden Konzernen fachlich ausgeliefert, was ebenfalls eine preistreibende Wirkung hat. Um die Ungleichheit der Vertragspartner bei den Verhandlungen zu mindern, werden die Kommunen u.a. durch den Verband der delegierenden Kommunen, Beratungsbüros des Städtebundes, Hochschulen und Institute, Wirtschaftsberater und Anwälte und durch staatliche Stellen (Départements, Regionen) unterstützt.
Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass das Wasserversorgungssystem in Frankreich objektiv teuer ist, weil es ein gesichertes Privatmonopol gibt, das Preisüberwälzung, teilweise korrupte Konzessionsvergabe und nicht optimale kurzfristig ausgerichtete Investitionstätigkeit erlaubt.

Großbritannien

1989 wurde die öffentliche Wasserversorgung in England und Wales in etwa zehn Unternehmen zusammengefasst und in einem Rutsch privatisiert (außer in Schottland). Seither hat sich die Versorgungsqualität deutlich gebessert, auch wenn die Wasserqualität und das Umweltschutzniveau im Vergleich zu Deutschland nach wie vor niedrig sind.
Bevor man, wie die Anhänger der Privatisierung, diese Verbesserungen dem positiven Wirken des Marktes zuschreibt, muss man das Ausgangsniveau und die Rahmenbedingungen bedenken. Vor 1989 verbot das britische Haushaltsrecht den öffentlich-rechtlichen Wasserversorgern auf kommunaler Ebene eine Kreditaufnahme. Sie waren angewiesen auf Geldzuwendungen durch das zentralstaatliche Finanzministerium. Damit waren sie viel schärferen finanziellen Restriktionen unterworfen als die deutschen Kommunen. Die Thatcher- Regierung sperrte die notwendigen Geldmittel für die Wasserversorgung, weshalb die Wasserversorgung zusehends verrottete.
So restriktiv die Thatcher-Regierung sich gegenüber den finanziellen Bedürfnissen der bis 1989 öffentlichen Betreiber zeigte, so entgegenkommend erwies sie sich danach gegenüber den privaten Investoren. Den Wasserversorgern wurden aus Steuermitteln über 8 Mrd. Euro Schulden erstattet, zudem erhielten sie eine Startsubvention von 2,6 Mrd. Euro. Damit konnten sie die dringendsten Maßnahmen in Angriff nehmen, und die Privatisierung erschien zunächst als ein Segen.
Die zweite Ursache für die Qualitätsverbesserung war die Verschärfung einer Reihe von Vorschriften über die Wasserqualität seitens der EU in den 90er Jahren. Diese Qualitätsanforderungen stießen häufig auf erbitterten Widerstand seitens der privaten Betreiber. Ohne Privatisierung wäre die Qualitätsverbesserung reibungsloser verlaufen.
Trotz der äußerst günstigen Kaufbedingungen stiegen die Wasserpreise nach der Privatisierung über viele Jahre hinweg jährlich um real 5%. Gleichzeitig nahmen Gewinnmargen, Dividenden und Vorstandsgehälter in einem Tempo zu, dass die Kritiker der Privatisierung auf zunehmendes Echo stießen. Die staatliche Regulierungsbehörde stellte fest, dass fast der gesamte Umsatzzuwachs bis 1997 als Dividende oder als Gehaltserhöhung für die Chefetage ausgeschüttet wurde.
Zur Dämpfung des Unmuts setzte die Regulierungsbehörde knappere Preissteigerungsgrenzen und forderte für das Jahr 2004 sogar eine Preissenkung. Im Gegenzug drohten die privaten Versorger mit Investitionsboykott.
Sogar die Thatcher-Regierung war sich darüber im Klaren, dass private Konzerne in einem so monopol- und renditeträchtigen wie auch sozial empfindlichen Bereich wie der Wasserversorgung beaufsichtigt werden müssen. Sie hat daher der englischen Öffentlichkeit eine umfangreiche Wasserwirtschaftsüberwachungsbürokratie beschert. Es gibt das Office of Water Services für die wirtschaftliche Überwachung (u.a. Preisgrenzen), die Environment Agency zum Schutz der Umwelt, das Drinking Water Inspectorate für die Trinkwassergüte, die Customer Service Committees und den National Customer Council für die Verbraucherinteressen, neuerdings zusätzlich den Consumer Council for Water zur Unterstützung der oben Genannten.

Vorbereitung in Deutschland

Die deutsche Wasserwirtschaft ist durch die Existenz weniger größerer und einer Vielzahl von sehr kleinen Versorgungsunternehmen geprägt, die in unterschiedlichen Rechtsformen geführt werden. Das Eigentum an den Unternehmen liegt noch überwiegend bei den Kommunen. Soweit die (größeren) Kommunen Stadtwerke gebildet haben (es gibt etwa 800), ist die Wasserversorgung in der Regel eine — vergleichsweise kleine — Sparte der Stadtwerke, die darüber hinaus oft noch die Sparten Bäder, Strom, Gas, Nahwärme und Verkehr enthalten. Bei weitem am bedeutendsten sind die Sparten Strom und Verkehr.
Die Konzentration in der Wasserwirtschaft ist enorm hoch. Auf die 70% kleinsten Unternehmen entfallen nur 8%, auf die größten 3,6% aller Unternehmen dagegen 60% der Wassermenge. Das durchschnittliche große Unternehmen ist etwa 150mal so groß wie einer der Kleinbetriebe.
Die Unternehmensform Eigenbetrieb ist die unmittelbarste Unternehmensführung bei den Kommunen. Alle Kosten und Erträge laufen über den kommunalen Haushalt, der Gemeinderat hat unmittelbar Einfluss auf die Unternehmenspolitik, Personalpolitik, Preisfestsetzung usw. Diese Unternehmen werden in öffentlich-rechtlicher Form geführt. Eine Kapitalbeteiligung von Privaten ist bei dieser Form nicht möglich.
Eigenbetriebe werden seit der Deregulierung der Stromwirtschaft 1998 häufig in Eigengesellschaften umgewandelt — in eine GmbH oder AG, die (zunächst) voll im Eigentum der Kommune ist, aber privatrechtlich geführt wird. Kosten und Erlöse laufen nicht mehr über den Kommunalhaushalt, die Unternehmensführung ist weitgehend autonom, die Stadtspitze hat als Eigentümerin nur noch über die Aufsichtsgremien Einfluss in grundlegenden Fragen.
Im Grunde ist der unscheinbare Schritt vom Eigenbetrieb zur Eigengesellschaft der organisatorisch wesentliche Privatisierungsschritt, auch wenn die GmbH noch in kommunaler Hand bleibt. Denn jetzt liegt das Unternehmensziel nicht mehr in der öffentlich-rechtlichen Daseinsvorsorge, sondern in der privatrechtlichen Gewinnerzielung und -maximierung. Jetzt können auch Anteile an private Kapitalgeber verkauft werden.
Diese Umwandlung wird mit dem Argument vorangetrieben, die Geschäftsführung der Stadtwerke sei dann wesentlich flexibler. Damit ist allerdings eine Entdemokratisierung in der kommunalen Wirtschaftstätigkeit verbunden. Der Stadtrat hat dann weniger oder gar keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr in der kommunalen Energie-, Wasser- und Verkehrspolitik.
Nur 15% der Wasserversorger sind privatrechtlich organisiert, sie kommen aber auf einen Anteil von 48% der Wassermenge. 1,6% der Unternehmen befinden sich bereits vollständig in privatem Eigentum.

Finanzielle Zwangslage der Gemeinden

Die seit längerem zu beobachtende Umverteilung zugunsten der großen Einkommen fördert den Vermögenszuwachs und damit das Anwachsen von großen, nach Verwertung suchenden Kapitalien. Zu dieser Entwicklung hat auch die staatliche Steuerpolitik massiv beigetragen.
Die Kehrseite sind Defizite der öffentlichen Hand. Besonders in die Klemme geraten derzeit die Gemeinden. Die beiden Hauptursachen sind der beispiellose Absturz der Gewerbesteuer in Folge der immer größeren Steuerschlupflöcher sowie die steigenden Sozialausgaben als Folge von Krise und Arbeitslosigkeit.
Nach dem Haushaltsrecht werden verschuldete Kommunen gezwungen (notfalls durch den Entzug der Haushaltsvollmacht und den Einsatz einer Art staatlichem Konkursverwalter), Sachanschaffungen und Investitionen zusammen zu streichen und dadurch die Neuverschuldung zu senken. Von den 23 großen Städten in Nordrhein-Westfalen müssen derzeit 21 Städte der Kommunalaufsicht Haushaltspläne und Haushaltssicherungskonzepte vorlegen, die Details bis zum Eintrittsgeld für den Tierpark vorschreiben.
Die Schere zwischen dem Bedarf an Investitionen und den zur Verfügung stehenden Mitteln öffnet sich weiter, auch bei der Wasserversorgung. In dieser Situation klopft der Vertreter eines Wasserkonzerns an die Tür, bietet Investitionen und Beteiligung oder die Übernahme der Wasserwerke an. Eine für die anlagesuchenden Kapitalüberschüsse der Konzerne günstigere Situation ist schwer vorstellbar.
Laut KPMG, der größten Beraterfirma für Anteilsverkäufe von Stadtwerken, stehen noch Hunderte Stadtwerke zum Verkauf bereit. 650 Stadtwerke gelten als privatisierungsfähig. Rund 300 haben bereits einen privaten Anteilseigner. Allein EON, der größte Stadtwerkebesitzer in Deutschland, zählt 190 Beteiligungen an Stadtwerken. Konkurrent RWE zählt 50 Beteiligungen und 120 Kooperationsverträge.

GATS macht den Weg frei

Einen starken Anschub erfährt die Kommerzialisierung der Wasserwirtschaft durch die laufenden GATS-Verhandlungen. Deren Ziel ist ein internationales Abkommen über die praktisch schrankenlose Ausweitung des Handels mit Dienstleistungen. Die GATS-Befürworter wollen unbeschränkten Handel mit Versorgungsdienstleistungen (z.B. Energie und Wasser), in Bereichen wie Verkehr und Post, aber auch in den sensiblen Bereichen Bildung und Gesundheit, womöglich auch in bisher eindeutig staatlichen Bereichen wie die Arbeitsvermittlung.
Da Dienstleistungen nicht wie Waren verschickt, sondern häufig nur an Ort und Stelle erbracht werden können, bedeutet Handel mit ihnen die Öffnung des Inlandsmarkts für ausländische Anbieter. Das GATS ist also — anders als die bisherigen Warenhandelsabkommen — gleichzeitig ein Handels- und Investitionsschutzabkommen.
GATS soll den Weg frei machen für die weltweite Deregulierung und Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen. Vom Gedanken der Daseinsvorsorge als Ziel kommunalen Wirtschaftens wird nichts mehr bleiben. Wichtig ist dann die höchstmögliche betriebswirtschaftliche Produktivität und die kaufkräftige Nachfrage.
Mit klarer Rückendeckung durch das Wirtschaftsministerium hat sich ein deutscher Konzern erfolgreich an die Weltspitze der Wasserkonzerne vorgearbeitet: RWE, das vor einem Jahrzehnt noch keinerlei Wassergeschäfte betrieb. RWE kaufte weltweit, v.a. in England und in den USA, große Wasserversorger, übernimmt derzeit von EON Gelsenwasser und damit den größten traditionellen deutschen Privatversorger (im internationalen Vergleich ist er eher klein), und katapultierte sich damit mit knapp 70 Mio. Kunden auf Platz 3 der Weltrangliste. Vor RWE liegen mit je 115 Mio. Wasserkunden nur noch die beiden französischen Konzerne Vivendi und Suez.
Für derartige Markteroberungsstrategien ist GATS der ideale Rahmen.

Franz Garnreiter

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