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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 12

Ist Frankreichs KP am Ende?

Chaos und Desorientierung auf dem Parteitag

Noch nie endete ein Kongress der Französischen Kommunistischen Partei so wie der 32.Parteitag vom 3. bis 6.April in Saint-Denis bei Paris. Die bürgerlichen Medien sprachen von Chaos und Durcheinander. Die wieder gewählte Parteichefin — Marie-George Buffet — erklärte in ihrer Rede zum Abschluss des Parteitags unter anderem: "Unsere Partei ist geschwächt, und diese Schwächung lässt uns an uns selbst zweifeln."
Dabei hatte man sich Jahrzehnte lang bei der KP bemüht, nach außen hin Geschlossenheit und Stärke zu demonstrieren. Die wirklichen Entscheidungen wurden nicht auf dem Kongress getroffen, der eine Showveranstaltung blieb, sondern lange davor in den Kaderstrukturen.
Das Problem, mit dem die französische KP auf ihrem jüngsten Kongress heftig konfrontiert wurde, könnte man als das Auseinanderklaffen zwischen Sein und Bewusstsein bezeichnen. Denn die KP ist real seit Mitte der 90er Jahre eine politische Formation, in der unterschiedliche politische Strömungen existieren, die in entgegen gesetzte Richtungen streben. Anders als etwa während der Ära Marchais treten divergierende Auffassungen auch nach außen hin deutlich hervor. Aber zugleich weigert sich die KP nach wie vor, das Fraktionsrecht — das Recht, als Tendenz mit eigenem Profil innerhalb der Partei aufzutreten — einzuführen.
Im Vorfeld des Parteitags befand sich die grob als "Orthodoxe" bezeichnete Parteirichtung in der Offensive. Das markanteste Ereignis in diesem Zusammenhang war die innerparteiliche Abstimmung zu den Texten, die auf dem Parteitag zur Orientierungsdebatte vorgelegt werden sollten. 45% der an der Abstimmung teilnehmenden Mitglieder (ein knappes Drittel der offiziell angegebenen 150000 Mitglieder) stimmten für einen ihrer Texte. Nur 55% für den Textentwurf der amtierenden Parteiführung, was ein absolutes Novum in der Parteigeschichte darstellt.
Der Text der "Neostalinisten" aus dem Pas-de-Calais (betitelt "Die KP wiederaufbauen und die Kommunisten auf revolutionärer Grundlage wieder zusammenführen") erhielt 23% Zustimmung. Der softer gefasste Text ehemaliger Marchais-Anhänger aus den 80er Jahren um Nicolas Marchand und dem Wirtschaftswissenschaftler Yves Dimicoli ("Zusammen für eine Neuorientierung, für einen neuen Schwung der KP") erzielte 22% der Stimmen. Hingegen hatten die "Refondateurs" (Neugründer) keinen eigenen Orientierungstext vorgelegt. Sie unterstützen derzeit eher die Parteiführung unter Marie-George Buffet.

Ringen um die neue Richtung

Das zentrale Anliegen der "Orthodoxen" unterschiedlicher Schattierungen besteht darin, die innerparteilichen Veränderungen der letzten Jahre aufzugeben. Ihnen geben sie die Schuld am Rückgang des gesellschaftlichen Einflusses der KP, wie er sich im schlechtesten Wahlergebnis ihrer Geschichte (3,37% bei der Präsidentschaftswahl im April 2002) widerspiegelt.
Dabei werfen sie aber gern objektive und subjektive Faktoren zusammen. Denn neben den von ihnen beklagten Reformen an den Parteistrukturen ("Resultat reformistischer Aufweichung") haben noch ganz andere Faktoren zum Niedergang der französischen KP beigetragen: Das Ende der "realsozialistischen" Staaten, die bis 1989 nach wie vor einen positiven Orientierungspunkt für die Partei darstellten; die Formveränderungen der Arbeitsgesellschaft und der Niedergang traditioneller Industriezweige, in denen die KP und die ihr früher nahe stehenden CGT gut verankert waren.
Ferner hat die sozial- und wirtschaftspolitische Bilanz der Linksregierungen unter sozialdemokratischer Führung, an denen die KP von 1981 bis 1984 und zuletzt zwischen 1997 und 2002 beteiligt war, stark zur Frustration und Desorientierung bisheriger Linkswähler beigetragen. Auch in den Reihen der KP ruft daher die Erfahrung mit der Regierung Lionel Jospins (1997—2002) eher negative Erinnerungen hervor.
Die Orthodoxen kritisieren die Beteiligung an einer Regierung, die in keiner Weise eine Veränderung des ökonomischen Systems anstrebte, nur verhalten. Sie stellen nicht die Regierungsbeteiligung im bürgerlichen Rahmen an sich in Frage, sondern monieren lediglich, dass das jüngste Regierungsexperiment im Fahrwasser der Sozialdemokratie für die KP schädlich gewesen sei.
Ihnen gegenüber steht vor allem die innerparteiliche Strömung der "Neugründer". Ihr Hauptanliegen ist es, die innerparteilichen Strukturreformen seit 1994 weiterzutreiben, und "die von der III.Internationale ererbte Parteiform zu überwinden". Die Debatte zwischen ihnen und den Orthodoxen ist vor allem eine Diskussion über die Parteiform, wobei die Neugründer für die größtmögliche Öffnung der KP eintreten, während die Orthodoxen eher für eine Stärkung der KP durch Rückbesinnung auf ihre Wurzeln plädieren.
In der Mitte zwischen beiden ideologischen Polen steht die Zentrums- oder Hauptströmung der Partei, die sich wiederum in zwei größere Fraktionen aufteilt. Auf der einen Seite stehen die Unterstützer der amtierenden Parteisekretärin Marie-George Buffet. Zu ihnen zählen aber auch viele KP-Mitglieder, die es einfach gewohnt sind, die jeweils aktuelle Parteiführung zu unterstützen. Sie treten für eine Fortsetzung der innerparteilichen Reformen und für ein gewisses Maß an Öffnung in die "Zivilgesellschaft", ohne aber "die Identität der Partei" zu opfern. Diesem Mittelblock hat sich die Strömung der Neugründer derzeit angeschlossen.
Auf der anderen Seite gehören die Anhänger des im Jahr 2002 gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Robert Hue ebenfalls zur Mitte der Partei. Diese Fraktion tritt vor allem für ein bevorzugtes Parteienbündnis mit der Sozialdemokratie ein und ist ansonsten eher strukturkonservativ. Die Hue-Anhänger haben auf dem jüngsten KP-Kongress vor allem durch ihr Schweigen zur aktuellen innerparteilichen Debatte geglänzt. Zugleich schafften sie es, ihre überdurchschnittliche Vertretung in der neuen Parteiführung zu bewahren. Im 220-köpfigen "Nationalrat", der das frühere Zentralkomitee ersetzt, stellen sie nach wie vor 70—80 Mitglieder.
Unterrepräsentiert waren bisher vor allem die Orthodoxen. Die Fraktion um Jean-Claude Danglot hatte bisher 2 Sitze im Nationalrat inne, während die sog. Konservativen etwas besser vertreten waren. Beide Flügel forderten eine deutlich verbesserte Vertretung im Nationalrat.

Feilschen um Führungsanspruch

Der orthodoxe KP-Politiker Maxime Gremetz, in den 60er Jahren selbst Metallarbeiter, war in den 80er Jahren einer der wichtigsten Parteikader unter Georges Marchais. Er stellte schließlich eine konkurrierende Liste zum Wahlvorschlag des Parteivorstands auf. Das war in der KP-Geschichte noch nie dagewesen und sorgte für extreme Aufregung. Viele Parteifunktionäre wurden aktiv, um die Präsenz zweier konkurrierender Wahlvorschläge in einer Partei, die Jahrzehnte hindurch an einheitliche Beschlüsse gewohnt war, zu verhindern. Am Ende unterlag Gremetz und im Namen der "Einheit der Partei" wurde der Wahlvorschlag der Parteiführung akzeptiert.
Der politische Grundlagentext, der als gemeinsame Grundorientierung ohne Gegenvorschlag verabschiedet wurde, versucht es allen innerparteilichen Strömungen recht zu machen. Für die Neugründer wurde eine Passage aufgenommen, die die Offenheit der KP für die nicht parteigebundenen "Kommunisten im Herzen" unterstreicht. Den Konservativen wurde Recht gegeben, als sie eine Passage forderten, die zu nationalen Konferenzen zur Beschäftigungspolitik sowie zur Europapolitik aufruft. Die Strategie zu künftigen Wahlen wird in dem Text offen gelassen. Die Orthodoxen hatten eine Festlegung auf wahlpolitische Alleingänge der KP gefordert, ihre Gegner sprechen sich hingegen für Wahlbündnisse mit der radikalen Linken und/oder der Sozialdemokratie aus. Die heikle Frage wurde ausgeklammert, und der "Entscheidung der Kommunisten auf lokaler und ggf. nationaler Ebene" überlassen. Die Frage ist, ob solche Kompromisse die Probleme der KP auf Dauer übertünschen können.

Bernhard Schmid, Paris

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