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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 15

Schickt die Truppen nach Hause!

Antikriegsbewegung in den USA

Seit der Eskalation des Krieges gegen den Irak hat die Antikriegsbewegung in den USA an Größe und Militanz zugenommen. Unvorhergesehen und spontan sind die Menschen zusammengeströmt, abseits jeder Kontrolle durch einzelne Bündnisse oder durch ein Kartell von Koalitionen. Sie umfasst viele Generationen und Menschen aus allen Lebensbereichen — nicht nur Pazifisten.
Die Leute sind wütend, dass ihre Steuerdollars statt für Bildung und kommunale Dienstleistungen für einen kostspieligen Krieg und den "Wiederaufbau des Irak nach dem Krieg" verwendet werden.
Die Katholische Kirche und die meisten der führenden protestantischen Kirchen, wie die Presbyterianische Kirche der USA und Bushs eigene methodistische Kirche, sind gegen den Krieg. Nur die Southern Baptists, einige "wiedergeborene" christliche Sekten und Bushs zionistische Berater sehen sich in "göttlicher Mission".
Prominente Rechtskonservative wie Pat Buchanan kritisieren Bushs Krieg, weil er zu weiterem Terrorismus einlädt und die Interessen der USA zu sehr an die israelischen "Falken" bindet. Pax Christi USA, das Fellowship of Reconciliation, das American Friends Service Committee [Quäker], die Sojourners, das Shalom Center, die Nation of Islam und der Council on American- Islamic Relations sind klar gegen den Krieg.
Die religiöse Verdammung des Krieges als "unmoralisch" stellt für die Soldaten der US-Armee, die überwiegend aus dem proletarischen Milieu stammen und zu 40% Nichtweiße sind, ein Problem dar. Die Mehrheit der US-amerikanischen Arbeiter ist katholisch, viele Afro-Amerikaner sind Muslime. Für sie ist es hart, gegen den Rat ihrer religiösen Führer zu handeln.
Die Anzahl der Kriegsdienstverweigerer wächst. Military Families Speak Out, die Organisation der Familienangehörigen der Soldaten, erhält Zulauf, zumal die Bush-Regierung die soziale Unterstützung für ehemalige und künftige Veteranen streicht. Wie schon während des Vietnamkriegs lautet eine häufige Losung: "Unterstützt die Truppen, indem ihr sie jetzt nach Hause schickt!"
Die beiden wichtigsten Antikriegskoalitionen haben ihre Wurzeln in den 60er Jahren: Act Now to Stop War and End Racism (ANSWER) und United for Peace and Justice. Erstere wurde von der extrotzkistischen Workers World Party initiiert; zur letzteren gehören ehemalige Führer der KP der USA. Aufgrund der Größe der Bewegung, zu deren Entstehen sie beigetragen haben, und weil der Kalte Krieg zu Ende ist, hat antikommunistische Hetze wenig gegen sie bewirkt.1
Teilweise wegen der zunehmenden internationalen Bewegung gegen die US-Invasion im Irak sind Widersprüche aufgetaucht: innerhalb der herrschenden Klasse (Carter, Clinton, die New York Times) und sogar innerhalb der Bush-Administration ("Superfalken" wie Cheney, Wolfowitz und Perle; normale Falken wie Rumsfeld; als "Tauben" verkleidete Falken wie Powell). Ihre Meinungsverschiedenheiten sind taktischer Natur und hängen mit der stagnierenden Weltwirtschaft, der internationalen Diplomatie, der Illegalität bzw. Unzweckmäßigkeit eines Präventivkriegs ohne UN-Unterstützung sowie mit der Rolle der UNO, Frankreichs, Deutschlands u.a. beim "Wiederaufbau des Irak nach dem Krieg" zusammen.
Den US-Eliten gemeinsam ist jedoch das strategische Ziel, die ökonomische Kontrolle über die Welt zu erlangen. Die führenden Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gehören zu den "Falken". Die kleine Grüne Partei hat nur eine geringe Rolle gespielt.

Bürgerrechte in Gefahr

Die Antikriegsbewegung in den USA ist zum Teil eine Reaktion auf die Angriffe der Regierung auf die Bürgerrechte nach dem 11.September 2001. Diese sind weitaus massiver als während der "McCarthy-Ära" in den ersten Jahren des Kalten Krieges.
Das neugeschaffene Heimat-Ministerium, Department of Homeland Security (DHS), koordiniert drakonische Gesetze und Regierungsdekrete, die der Regierung erlauben, überall, auch in privaten Firmen, den drei Tage nach dem 11.9.2001 von Bush proklamierten "Ausnahmezustand" zu exekutieren.
Das US Patriot Act (2001) legalisiert Operationen des CIA innerhalb der USA, und dies auf Grundlage einer nur vagen Definition von "Terrorismus", die Repressalien gegen jede Person oder Gruppe ermöglicht. Patriot Act II, ein 120- seitiges Dokument mit Gesetzesvorschlägen namens Domestic Security Enhancement Act, fegt juristische Bestimmungen beiseite, die bisher die Möglichkeiten lokaler Polizeikräfte, Individuen wegen ihrer politischen oder religiösen Zugehörigkeit auszuspionieren, beschränkt hatten. Es ermöglicht die Aufhebung der Staatsbürgerrechte für all jene, die legale Aktivitäten von Organisationen, die als "terroristisch" eingestuft werden, angeblich unterstützen. Es erlaubt der Regierung, die Identität von Personen zurückzuhalten, die in Verbindung mit Antiterrorermittlungen verhaftet wurden, und einen Ausländer mit legalem Aufenthalt aus Gründen der nationalen Sicherheit zu deportieren.
Die Massenmedien sind zu einem Modell orwellschen "Neusprechs" geworden. Selbstzensur unter Reportern ist alltäglich. Jeder, der die Wahrheit sagt, wird gefeuert, wie im Fall des altgedienten Reporters Peter Arnett von NBC News (Eigentümer des Senders ist der Armeelieferant General Electric), nachdem er dem Bagdader Fernsehen erzählt hatte, der ursprüngliche Kriegsplan der USA sei gescheitert.
Protestbewegungen werden dämonisiert und kriminalisiert. Tausende von Kriegsgegnern sind festgenommen worden. Angehörigen von Personen, die am 11.September 2001 getötet worden waren und die gegen den Krieg sind, wurden daran gehindert, in Schulen aufzutreten. Drei katholischen Nonnen aus Denver drohen 20 Jahre Gefängnisstrafe, weil sie militärische Ausrüstung mit roter Farbe beschmiert haben.
Gegen Ausländer und Migranten wird eine Hexenjagd geführt; Zielscheibe sind sieben Millionen Muslime, meist US-Bürger, aber auch viele Latinos und alle, deren Haut nicht "weiß" ist. Hassverbrechen gegen Araber nehmen zu. Die Gleichung "Immigrant = Terrorist" taucht täglich häufiger auf. Ausländer, die des "Terrorismus" beschuldigt werden, kommen vor ein Militärtribunal.
Es gibt "präventive" Verhaftungen und Gefängnisstrafen und Tausende von Deportationen ohne jede Rechtsgrundlage. Eine heimliche Begleiterscheinung ist die Folter, wie Amnesty International im Fall der 650 "Gefangenen" (in Wirklichkeit sind es gekidnappte Individuen) aus 40 Ländern auf der Militärbasis in Guantánamo (Kuba) festgestellt hat.
Die Regierung schützt Terroristen und wirft Terrorismusgegner ins Gefängnis. Generalstaatsanwalt John Ashcroft hat zwei verurteilte Terroristen, die 1976 an der Explosion einer Autobombe in Washington DC beteiligt waren, auf freien Fuß gesetzt, während fünf kubanische Kämpfer gegen den Terrorismus, zwei von ihnen US-Bürger, wegen "Spionage" im Gefängnis sitzen, nachdem sie exilkubanische Gruppen infiltriert hatten, die für terroristische Akte gegen Kuba verantwortlich sind.2 Ein "durchgesickertes" geheimes Pentagonpapier diskutiert die Bildung einer neuen "Eingreiftruppe" (P2OG), die gewaltsame Aktionen durchführen soll, um "Reaktionen" terroristischer Gruppen zu "stimulieren", d.h. um Angriffe auf unschuldige Menschen zu provozieren und so einen Vorwand für einen weiteren Krieg zu schaffen.

Verbindung zur globalisierungskritischen Bewegung

Nach dem 11.9.2001 gab es vorübergehend eine Flaute in der US-amerikanischen Bewegung gegen die neoliberale kapitalistische Globalisierung. Auf dem 3.Weltsozialforum (WSF) in Porto Alegre im Januar 2003, als der Schwerpunkt auf der Opposition gegen die amerikanische Freihandelszone ALCA und auf dem Krieg gegen den Irak lag, war die US-Delegation jedoch bereits die zweitgrößte nichtbrasilianische Delegation.
Als der Krieg mit der US-Invasion vom 20.März eskalierte, legten Aktivisten von Direct Action to Stop the War und militante Pazifisten zwei Tage lang die Stadt San Francisco mit der Losung lahm: "No business as usual!" Viele Aktive waren Veteranen des Direct Action Network (DAN), einer nordamerikanischen Gruppe, die 1999 den Misserfolg des WTO-Treffens in Seattle ausgelöst hatte. Hier fand nun die menschliche Verbindung zwischen den beiden Bewegungen statt, von denen die eine bisher "Die Welt ist keine Ware" und "Menschen statt Profite", die andere "Kein Blut für Öl" und "Wie kam ‚unser‘ Öl unter ihren Sand?" skandiert hatte und die nun ihre Kräfte vereinten, um ein Finanzzentrum der USA lahmzulegen.
Darüber hinaus gibt es eine vom internationalen Netzwerk gegen die kapitalistische Globalisierung erarbeitete Analyse über den "graduellen Völkermord"3, der im Namen des "Freihandels" (frei für wen?), des "Rechts an geistigem Eigentum" (wessen?) und der Schuldenzahlung Millionen Menschen tötet oder zu Flüchtlingen macht: durch Unterernährung, Hunger, Erwerbslosigkeit und Krankheiten. Diese Aktivisten haben verstanden, was das andere Gesicht des massenmörderischen Hightechkrieges ist: das fundamentalistische Dogma vom "Kapitalismus des freien Marktes", der alles, vom Wasser bis zu unserem Leben selbst, privatisiert und kommerzialisiert.
Auf internationaler Ebene ist die Verknüpfung zwischen dem Kampf für ökonomische Gerechtigkeit und dem Kampf für den Weltfrieden noch nie so offenkundig gewesen wie jetzt in der Verbindung der Bewegungen gegen die kapitalistische Globalisierung und gegen den Krieg. Das WSF, das erkannt hat, dass die USA mit dem Plan Colombia den Krieg in Kolumbien und Bolivien, weniger offen in Ecuador und Venezuela, ebenso eskalieren wie den Konflikt mit dem Irak, beschloss auf seinem zweiten Treffen in Porto Alegre Anfang 2002, die globale Opposition gegen den US-Kriegskurs zu einem Schwerpunkt zu machen. Ein Jahr später entwickelte das Europäische Sozialforum in Florenz den Plan gleichzeitiger internationaler Antikriegsdemonstrationen, die, nach einigen Terminänderungen, am 15.Februar 2003 stattfanden.
Hinsichtlich der Kontinuität von Gemetzel und Krieg bedeutet der US-Krieg gegen den Irak ein "Südamerika", in großen Lettern geschrieben. Deshalb sollten auch die internationalen Proteste gegen den Krieg am 12.April 2003 mit der Protestwoche der Latin America Solidarity Coalition in Washington DC zusammenfallen. Es gibt gewaltige Antikriegsbewegungen in Mexiko und Kanada, mit denen die Antikriegsbewegung in den USA Aktionen koordinieren kann, wie sie es vor und nach Seattle getan hat. Das Zusammenführen der Netzwerke gegen den Krieg und gegen die Globalisierung auf kontinentaler und internationaler Basis ist für den Aufbau einer wirksamen internationalen Bewegung von großer Bedeutung.
Es lässt sich voraussehen, dass die in der US-Antikriegsbewegung Aktiven diese und andere Fragen diskutieren werden, die mit der labilen Wirtschaft, den Menschenrechten und mit der Zukunft ihrer Familien zusammenhängen. Aus den Aktivitäten ergeben sich Fragen: Warum ist die Regierung so entschlossen, Krieg zu führen? Was ist zu tun im Fall eines weiteren terroristischen Anschlags oder der Ausweitung rechter, "patriotischer" Versammlungen? Was ist zu tun nach dem "Ende" des US-Krieges gegen den Irak? Die internationale Antikriegsbewegung ist bereits dabei, den nächsten US-Angriff zu verhüten, sei das Ziel nun der Iran, Syrien, Libyen, Nordkorea, die Philippinen, Venezuela, Kolumbien, Bolivien, Kuba, China, Russland oder was auch immer.
Martin Luther King äußerte einmal, die USA seien die "schlimmsten Verbreiter von Gewalt in der Welt", wahrscheinlich benötigten sie den "Sozialismus". Die größte Herausforderung für die Bewegung in den USA besteht darin, die Kriege zu stoppen und das Ende der Herrschaft des Monopolkapitals und des Imperialismus zu beschleunigen. Dies erfordert Veränderungen, die die Tür zu einem neuen, nichtkapitalistischen Wirtschaftssystem aufstoßen — das ist ein langer Prozess, der fantasievolle, pluralistische und demokratische Organisationsformen benötigt.
James D. Cockcroft

James D. Cockcroft ist Autor von 35 Büchern, darunter Mexico‘s Hope (New York: Monthly Review Press, 1999) und Latin America (Belmont, Ca., 21998).


Anmerkungen

1. Weitere Organisationen gegen den Krieg sind u.a.: National Network to End the War Against Iraq; Black Solidarity Against the War; Not in Our Name; Poets against the war; Student Peace Action Network; September 11 Families for Peaceful Tomorrows; Queers for Peers and Justice; Mothers Acting Up; Raging Grannies [Wütende Omas]; Women in Black; US Labor Against the War; Voices in the Wilderness.
[2. Mittlerweile wurden die fünf Kubaner verurteilt: vier von ihnen zu lebenslänglich, einer zu "nur" 67 Jahren Gefängnis.]
3. Gemäß der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung von Völkermord vom 9.Dezember 1948 gehört zum Völkermord: "die Absicht … eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören … der absichtliche Entzug der für das physische Überleben der Gruppe nötigen Ressourcen wie sauberes Wasser … die Blockade von Nahrungsmitteln, die Internierung in Lagern, die zwangsweise Umsiedlung oder die Vertreibung in Wüsten … die gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe" — auch wenn das Motiv dafür die "nationale Sicherheit" ist./fontp
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