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"Eitel Friede und Sonnenschein" schien vor wenigen Wochen noch in der politischen Landschaft Frankreichs zu
herrschen, was den Krieg der US-geführten Koalition im Irak betraf. Die Auftritte von Staatspräsident Jacques Chirac und seines
Außenministers Dominique de Villepin auf internationaler Bühne wurden in den Medien häufig als "Aktivitäten des
Friedenslagers" kommentiert. Noch acht Tage nach Kriegsbeginn am Golf war in den Mittagsnachrichten des öffentlichen Fernsehkanals France3 zu
hören, in Frankreich existiere ein "camp de la paix", das "von der radikalen Linken bis zur extremen Rechten reicht".
Und dann kam ein rabiater Klimawechsel. Die bürgerliche Sonntagszeitung JDD bspw.
hatte noch vor Wochen im Tonfall des Triumphs über die weltweiten Antikriegsdemonstrationen und die UNO-Auftritte von Außenminister de
Villepin im gleichen Atemzug berichtet. Am letzten Sonntag dann hieß es unter dem Titel "Die seltsame Allianz der Saddam-
Unterstützer", dass bei den jüngsten Demonstrationen angeblich "Linksradikale und rechtsextreme Ultras" im Kampf gegen den
Irakkrieg der USA und Grobritanniens zusammen arbeiten würden. Belegt wird diese Falschbehauptung mit längeren Passagen über die
Aktivitäten der Gruppierung Amitiés Franco-irakiennes von Gilles Munier, die im rechtsextremen Bereich angesiedelt ist und die alte Diktatur im
Irak unterstützt. Allerdings ist von diesem Verein wie auch von der übrigen extremen Rechten in den Antikriegsdemonstrationen nichts zu sehen.
Sie sind vielmehr eindeutig durch die Linke und durch die Einwandererbevölkerung geprägt.
Die Klimaveränderung in den Medien hat auch etwas mit der veränderten
offiziellen Position Frankreichs seit Kriegsbeginn zu tun. Mitte März hatte Präsident Chirac noch der US-Administration Bush mit einem Veto
gedroht. Hinter den Kulissen spielte sich jedoch ein harter Kampf um die Einflussnahme in der Nachkriegsordnung ab. Besonders Frankreich hat im Mittleren
Osten starke Eigeninteressen: In den 70er und 80er Jahren war der Irak vor allem Verbündeter Frankreichs, während die USA in Saudi-Arabien und
im Iran zu Zeiten des Schah präsent waren, Westdeutschland dagegen im Iran nach dem Sturz des Schah und Großbritannien in seinen Ex-Kolonien
am Golf wie in Kuwait.
Zwar hatte Frankreich aus Anlass der Kuwait-Krise 1990/91 seinen regionalen
Bündnispartner fallen gelassen und sich der damaligen Kriegsallianz unter George Bush senior angeschlossen. Doch die Ergebnisse fielen eher
enttäuschend aus: Anders als US-amerikanische, britische und japanische Firmen erhielten die Franzosen ab 1991 keinen der lukrativen
Aufbauverträge für Kuwait. In Paris musste man sich zwischen 1992 und 1995 mit dem Wiederaufbau des Libanon begnügen,
ökonomisch bei weitem nicht so interessant.
Ab 1995 schlossen daher Frankreich und später auch Russland erneut Verträge um
Öl mit dem amtierenden irakischen Regime, allerdings unter dem Ausführungsvorbehalt einer Aufhebung des Embargos. In den sechs Monaten vor
Eröffnung der Kampfhandlungen wollte Paris nun nicht erneut das Nachsehen haben und forderte die Einhaltung der Prozeduren im UN-Sicherheitsrat.
Doch diese Politik ist gescheitert.
Seit Eröffnung der Kampfhandlungen hat man hier das Ruder herumgerissen. In einem Interview mit dem Sender Arte erklärte Villepin etwa
fünf Tage nach Kriegsbeginn, er bedauere die Ungeduld der US-Amerikaner. Hätten diese zwei Wochen länger gewartet, hätte
Frankreich eine Intervention unterstützen können. Premierminister Jean-Pierre Raffarin erklärte öffentlich, er wünsche einen
möglichst raschen Sieg der Koalition, und verdammte den "Antiamerikanismus", der in den Demonstrationen zum Ausdruck komme. Und
schließlich hatte die Erteilung des Überflugrechts für die B52-Bomber mehr als nur symbolische Bedeutung, denn anders als in Deutschland
kann die Regierung sich nicht einmal (!) auf angebliche juristische Verpflichtungen in Gestalt geltender NATO-Vereinbarungen berufen: Frankreich ist seit 1966
nicht mehr direkt in die militärischen Strukturen der NATO integriert. Und im Fall Libyens 1986 hatte der damalige Staatschef François Mitterrand den
Amerikanern und Briten das Überflugrecht verweigert.
Frankreich will sich heute nicht aus der Nachkriegsordnung ausgeklammert sehen: Es geht
darum, wer künftig den Irak verwalten soll die USA allein (so will es das Pentagon) oder ein Kartell von Großmächten unter dem
Label der UNO (was Paris favorisiert).
Die seit Ende März anhaltende Pressekampagne gegen die Antikriegsbewegung hat auch durch einzelne hässliche Zwischenfälle am
Rande der letzten Demonstrationen Nahrung erhalten. Es ist grundsätzlich positiv zu bewerten, dass bisher die Immigranten aus nordafrikanischen und
arabischen Ländern eine zentrale Rolle bei den Straßenprotesten spielten. Doch vor dem Hintergrund des sozialen Desasters in den Banlieues
(Trabantenstädte) kommt es bei einem Teil der Immigrantenjugend zu einem starken "Identitätshunger". Dieser artikuliert sich in einem
emotional geprägten Bezug zu den "irakischen und palästinensischen Brüdern" und manchmal auch in Form eines nationalen und
religiösen Chauvinismus.
Die Aufheizung dieser Gefühle sorgte am 22.März für einen
hässlichen Zwischenfall, wo aus der Demo heraus einzelne Vorstadtjugendliche junge Juden der sozialistisch-zionistischen Vereinigung Hashomer Hatzair
angriffen, die die Proteste beobachteten und eine Teilnahme erwogen. Einer von ihnen erlitt dabei Kopfverletzungen. Alle Veranstaltergruppen haben sich aber
energisch von der Aggression distanziert.
Am 29.März griffen mehrere aufgeheizte Jugendliche am Rande der Demo den aus dem
Fernsehen bekannten irakischen Schriftsteller Salah Al-Hamdani an, der, der irakischen KP nahestehend, gegen Saddam Hussein opponiert und auch den US-
Krieg explizit verurteilt. Doch insgesamt sind die Mitglieder der irakischen (linken) Opposition in den Demonstrationen deutlich zahlreicher vertreten. Das
Antikriegsbündnis hat nun beschlossen, die irakische Linksopposition künftig an die Spitze der Protestzüge zu stellen.
Doch die Medien konzentrieren sich weiter auf diese Zwischenfälle, obwohl sie nur
einen winzigen Teil der Demonstranten betreffen, während die Mehrheit eine weltoffene Haltung einnimmt. Auch die
"gemäßigten" Kräfte der Antikriegskoalition und die Sozialdemokratie nutzen die Gunst der Stunde: Ab jetzt solle es keine
Straßendemonstrationen mehr geben, sondern Konzerte im Saal und ähnliche friedliche Ereignisse, die die Proteste vom Asphalt wegbringen
würden. Doch der linke Flügel der Antikriegsbewegung ergriff selbst die Initiative für eine neue Demonstration am 12. April.
Die Schaffung einer relativ breiten Antikriegsbewegung am 15.Februar landesweit
500000 Menschen, davon 200000 in Paris war anfänglich schwer. Da war zum einen die Illusion in die offizielle Haltung Chiracs. Das Umfeld der
KP und der radikalen Linken ging dann aber doch auf die Straße, während jenes der Sozialdemokratie weitgehend unkritisch an Chiracs Position
"klebte".
Zum anderen aber haben Antikriegsproteste in Frankreich in den letzten 25 Jahren weit weniger
Tradition als andere soziale Bewegungen. Ein wichtiger Faktor dafür ist die "antitotalitäre" Wendung ehemals linker Intellektueller in
den 80er Jahren, die westlichen Interventionen zur Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten in diktatorisch regierten Ländern erheblichen
ideologischen Kredit verschaffte. Damit lässt sich aber heute fast jede imperialistiche Intervention rechtfertigen. Der Neuanfang einer Bewegung gegen
Krieg und imperialistische Politik war daher schwierig. Doch seit dem Beginn des Afghanistan-Feldzugs im Herbst 2001 sind wichtige Schritte gemacht worden.
Bernhard Schmid, Paris
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