SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 19

"Bombardiert nicht Irak!"

Der Hit des arabischen Protestes

"Tschetschenien! Afghanistan! Palästina! Südlibanon! Golanhöhen! Und nun auch Irak! Für die Bevölkerung ist das zuviel. Schämt euch! Basta, basta, basta!" So beginnt das Lied, das in diesen Tagen in der arabischen Welt auf Platz 1 der Hitlisten steht und ihre Stimmung ausdrückt. Während sich die Straßen und Plätze in Teheran, Kairo und nun auch in Bagdad mit Demonstranten füllen, findet der arabische und islamische Protest einen musikalischen Ausdruck.
Das Lied heißt schlicht "Bombardiert nicht Irak!". Autor ist der Ägypter Shaaban Abdel Rahim. 2001 geriet er international in die Schlagzeilen wegen eines anderen "politischen" Liedes: "Ich hasse Israel". Von einigen wurde er dafür kritisiert, weil das Lied angeblich mehr antisemitische Äußerungen enthielt als eine Verurteilung der Politik von Sharon und seiner Regierung.
Innerhalb von wenigen Jahren konnte Rahim sich auf dem Musikmarkt zwischen Damaskus und Algier durchsetzen. Seine Musik ist vom westlichen HipHop beeinflusst, aber auch von Tendenzen in der arabischen Musik, vor allem der großstädtischen. Er verkauft sich heute besser als Eminem.
Der arabische Musikmarkt wird von Kassetten beherrscht, die praktisch ohne Kontrollen unendlich vervielfältigt werden. Der staatliche Radiosender in Ägypten, der sehr auf gute Beziehungen zu den USA achtet, schließt Rahim nach wie vor aus seinen Musiksendungen aus. Dafür übertragen Satellitensender wie das Kairoer "Dream TV" oder das libanesische "Melody Hits" pausenlos ein Video mit Bild von Rahim zwischen Bombenhagel auf Bagdad und polemischen Bildern der Freiheitsstatue und seinem Lied.
Mit seinem neuen Lied ist Rahim zu einem Popstar geworden. Die arabischen Zeitungen reißen sich um Interviews mit ihm, TV-Sender bringen seine Kommentare über die Tagesereignisse im Irak. So wird einer, den die ägyptische Presse selbst als "halben Analphabeten" bezeichnet hat, zu einem Ausdruck des Unbehagens der großen Mehrheit der Bevölkerung in diesem Teil der Welt.
Musik und Politik gehen derzeit in der arabischen Welt eine immer engere Verbindung ein. Traditionell sind die Melodien dafür komponiert, Gefühle und vor allem Liebesdramen auszudrücken. Das ändert sich jetzt. Wir erleben hier eine Art musikalischer Globalisierung, die sich immer entschiedener zur Interpretin der Stimmungen der arabischen Massen, vor allem in den Städten, macht und damit die Zensur, die in vielen arabischen und islamischen Ländern auf zahlreichen Aspekten des öffentlichen Lebens lastet, umgeht.
Rahim singt, was niemand den Mut hat, laut zu sagen. Das macht ihn zum Volkshelden. Viele junge Leute meinen, dass sein Durchbruch auf dem Markt ihnen mehr Freiheit verschafft, auch ihre Regierungen zu kritisieren. Und natürlich ist es auch ein Vehikel, die USA und Israel zu kritisieren. Rahim spart aber auch Saddam Hussein nicht aus; er kritisiert ihn dafür, dass er mit dem Golfkrieg II "die Intervention amerikanischer Truppen in ein arabisches Land provoziert" habe.

Guido Caldiron

Aus: Liberazione, 31.3.2003.


Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04