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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 21

Ausweitung der Kampfzone

Herfried Münkler: Die neuen Kriege, Reinbek: Rowohlt 2002, 285 S., 19,90 Euro
Tom Holert/Mark Terkessidis: Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21.Jahrhundert, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2002, 287 S., 9,90 Euro

Seit den 50er Jahren schienen Hunger und Krieg aus den industriekapitalistischen Zentren verdrängt. Endgültig, wie uns die Ideologen weis machen wollten. Doch seitdem in den 80er Jahren zuerst der Hunger zurückkam, ist seit den 90ern auch der Krieg zurück in die Zentren gekehrt. So wie man damals zuerst von der "neuen Armut" sprach, sprach man in den letzten Jahren vor allem von den "neuen Kriegen". Und so wie sich die Rede von der vermeintlich neuen Armut bald als problematisch erwies, erweist sich heute auch die Rede von den neuen Kriegen als zwar nicht falsch, aber doch ebenso problematisch. Denn die neue Kriege sind keine Neuen Kriege, sondern ordinäre alte — allerdings unter neuen historischen Bedingungen.
Das verdeutlicht sich nicht zuletzt an dem vor kurzem erschienenen, aber unmittelbar zum neuen Klassiker mutierten Werk von Herfried Münkler, das in der Tat einen hervorragenden Einstieg ins Thema bietet und um so empfehlenswerter ist, als es bei der Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de) eine ausgesprochen billige Lizenzausgabe für ganze 2 Euro zu bestellen gibt.
Wer also über Entstaatlichung/Privatisierung, Asymmetrisierung und Autonomisierung als zentralen Charakteristiken der neuen Kriege, über Kriegsökonomien, Guerillataktiken und sexuelle Gewalt gegen Frauen als Mittel "ethnischer Säuberungen" informiert werden möchte, greife zu Münkler. Er lässt an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig, wenn er darstellt, dass die neue Asymmetrie der Macht "zur weltpolitischen Signatur" wird und dass vor diesem Hintergrund gerade der vor einem Jahr nur angekündigte, nun aber bereits vollzogene Irakkrieg dem internationalen Völkerrecht den Todesstoß versetzt.
Dass Münkler jedoch trotz umfassender Darstellung nicht herauszuarbeiten vermag, was den zentralen Merkmalen ihre Einheit verleiht, zeigt sich daran, dass er sich nicht so richtig entscheiden kann, ob wir es bei den neuen Kriegen wirklich mit Neuen Kriegen zu tun haben, denn auch die neuen Kriege seien ja gar nicht so neu, "sondern in mancher Hinsicht eine Wiederkehr des ganz Alten" — wie er an Darstellungen des Dreißigjährigen Krieges sehr schön veranschaulicht.
Obwohl er weiß, dass die Ursache der neuen Kriege in der politischen und ökonomischen Ordnung des weltweiten Neoliberalismus liegt, hofft er auf eine Reregulierung des Krieges auf europäischem Weg — ohne Infragestellung des auf struktureller Asymmetrie basierenden neoliberalen Kapitalismus und gleichzeitig wissend, dass gerade ihre Einbettung in die neoliberale Weltwirtschaft die neuen Kriege räumlich und zeitlich grenzenlos macht.
Der blinde Fleck Münklers wird vollends deutlich, wenn er die neuen Kriege hauptsächlich an der Peripherie, den Rändern und Bruchstellen des herrschenden Weltsystems verortet. Gerade hier setzen Tom Holert und Mark Terkessidis mit ihrer erfrischenden Kampfschrift an und halten dagegen. Sie zeigen an ausgedehnten Analysen massenkultureller Produkte (Popkultur, Kinofilme & Videospiele, Mode & Werbung, Sicherheitsindustrie & Geländewagen) nicht nur auf, wie weit der Krieg bereits in die Eingeweide auch unserer Gesellschaft eingedrungen ist, sondern ebenso warum.
Es ist der Neoliberalismus — die erfolgreich zur Pseudonatur erhobene Herrschaft des vermeintlich freien Marktes —, der Humanismus und soziales Denken Stück für Stück ausgehöhlt und an dessen Stelle eine zutiefst kriegerische, weil individualistische Ideologie gesetzt hat. Vollkommen zu Recht lesen sie Flexibilität, Effizienz, Mobilität und Selbstverwirklichung als "zutiefst kriegerische Normen" und die westliche Massenkultur als eine "Art Trainingslager für soldatische Verhaltensweisen".
Seien es Amok laufende Selbstmörder, HipHop-Gangster oder serbische Paramilitärs, sie alle sind Einzelkämpfer und Grenzgänger, "zumeist intelligente und kreative Personen, die ebenso wie ihre Pendants in Serbien oder anderen Regionen der Welt versuchen, die Kontrolle über ihr Leben wiederzugewinnen, indem sie die Freiheit des individuellen Konkurrenzkampfs auf die Spitze treiben: Der Tod als absolute Grenze spielt keine Rolle mehr. Das vertreibt die Angst und verleiht Souveränität." Überaus treffend nennen Holert/Terkessidis diese neuen Sozialcharaktere die "schwarze Avantgarde der Individualisierung sozialer Konflikte" und zeigen auf, wie diese den Krieg als Anti-Alltag feiern, als Selbsterfahrungstrip und Konsumereignis karnevalesker Art, gleichsam als "Kulisse für das Seelendrama des modernen Westlers in der Begegnung mit der Natur, dem Fremden und vor allen Dingen sich selbst".
Lebensstil wird auf diesem Wege zum Überlebensstil: "Doppelt getarnt durch Nadelstreifen und Camouflage lernt das mimetische Subjekt, seine ‚Autonomie‘ taktisch einzuteilen. Die verallgemeinerte Ökonomie des Krieges verlangt höchste Anpassungsleistungen, aber zugleich deutliche Anzeichen von Nonkonformität. Gefordert ist ein durchaus paradoxes Selbstmanagement im Spannungsfeld von explosiver Kreativität und duldsamer Unterordnung. Wer dieses Selbstmanagement erfolgreich meistert, hat gute Chancen, auf den Schlachtfeldern des massenkulturellen Krieges zum Star zu werden."
So wie der militärische Krieg, ob alter oder neuer, noch immer eine Fortsetzung der (Klassen-)Politik mit anderen, mit militärischen Mitteln ist — militärische Gewalt dient der Niederwerfung und Niederhaltung von Konkurrenten, realen wie eingebildeten —, so erinnern uns Holert/Terkessidis daran, das auch "die kulturell produzierte Legitimität des Krieges" als Form der Herrschaft zu verstehen ist. Die neuen Kriege der Peripherie und der massenkulturelle Krieg der Zentren, sie bilden eine übergeordnete Einheit, die auch nur als solche politisch in Frage gestellt werden kann.

Christoph Jünke

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