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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2003, Seite 22

Auf dem Weg zu einem Sozialforum in Deutschland

Am 6.April hat sich in Kassel der Gründungskreis für ein Sozialforum in Deutschland getroffen. Vereinbart wurde eine Gründungskonferenz für das 1.Quartal 2004.
Die unmittelbare Initiative zu dem Kasseler Treffen ging von Attac aus. Der Koordinierungskreis hatte Mitte Februar einen breiteren Kreis von Einzelpersonen und Vertretern verschiedener Organisationen zu einem sog. Strategietreffen eingeladen — d.h. zu einem Austausch darüber, wie unter den derzeitigen politischen Bedingungen in der BRD gesellschaftliche und politische Opposition gebündelt werden und diese sich in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen kann. Die Runde vereinbarte damals, die Debatte im Rahmen eines deutschen Sozialforums fortzusetzen, das allerdings noch im Aufbau befindlich ist. Sie lud deshalb über die Listen der bestehenden Initiative für ein Deutsches Sozialforum zu einem ersten Treffen nach Kassel ein.
Die zweite Komponente des Kasseler Treffens war die bestehende Initiative für ein Deutsches Sozialforum. Diese hat sich im vergangenen Jahr gebildet, um die deutsche Beteiligung am 1.Europäischen Sozialforum in Florenz vorzubereiten; danach hat sie ihre Arbeit mit der Koordinierung der deutschen Beteiligung am 2.Sozialforum in Paris (12.—15.November) fortgesetzt. Die Initiative ist verantwortlich für die Durchführung des europäischen Vorbereitungstreffens für das Pariser Sozialforum Ende April in Berlin (siehe S.23).
Etwa 80 Personen hatten sich im Kasseler DGB-Haus eingefunden — und das waren längst nicht alle, die bislang in dem Prozess involviert sind. Erfreulich war die Beteiligung von örtlichen Sozialforen, die sich bereits gebildet haben oder in Gründung sind: Köln, Düsseldorf, Tübingen/Reutlingen, Berlin, München, Norddeutschland, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Aachen, Wuppertal, Stuttgart, Duisburg, Saarbrücken, Freiburg.
Der Sozialforumsprozess hat seit Florenz größeren Schwung in Deutschland bekommen; das schlägt sich im örtlichen Wachstum nieder. Aber es ist auch klar, dass das bisherige Tempo dem objektiven Bedarf nicht mehr angemessen ist, wenn es auf dieser Stufe weiter betrieben wird. Deshalb kam die Initiative für die Gründung eines Sozialforums in Deutschland (SFiD) keine Minute zu früh.
Eine erfolgreiche Beteiligung im November in Paris wird den endgültigen Auftrieb geben für einen deutschen Gründungskongress. Und dieser wiederum wird die Gründung regionaler und örtlicher Sozialforen beschleunigen.

Charakter des SFiD

So kommt der Sozialforumsprozess, vier Jahre nach dem 1.Weltsozialforum in Porto Alegre, endlich auch in deutschen Städten an. Er hat sich durchgesetzt als Prozess von oben nach unten, und das bleibt auch auf der letzten Teilstrecke in Deutschland die erfolgversprechende Bewegungsrichtung.
Das hat nichts mit Zentralismus, sondern mit der immer noch vorhandenen gesellschaftlichen und politischen Schwäche derer zu tun, die "eine andere Welt" entwickeln wollen. Selbst in einer Stadt wie Berlin machen sie allein zu wenig Masse, um dauerhaft den Rahmen für eine politische Erneuerung aufbauen zu können. Da entwickelt sich keine Ausstrahlungskraft und kein Gefühl von Größe und Bedeutung.
Porto Alegre hingegen, später auch Florenz, beeindruckten allein durch die Anzahl der Teilnehmenden — damit auch durch die Fülle des Programmangebots und der Initiativen, die aus dem Forum folgten. Es entstand hier tatsächlich das Gefühl, eine Weltbewegung zu sein und mindestens in Bezug auf einige Kontinente die Mehrheit der Bevölkerung zu repräsentieren. Wie es die Hauptlosung in Genua ausdrückte: Ihr seid G8, wir 6 Millionen.
Bündnisse gegen Sozialabbau hingegen hat es in der BRD schon viele gegeben — sie sind nach einer Weile alle eingeschlafen, weil sie nicht in der Lage waren, größere Themengebiete einzubeziehen. Die Sozialforen sind von vornherein eine Struktur, die Raum für die gesamte Palette der Kritik an der neoliberalen Globalisierung (mit Ausnahme der radikalen Rechten, versteht sich) bietet. Eine solche Bewegung hat einen längeren Atem.
In Kassel gab es — wie überall — eine Debatte über den Charakter der Sozialforen. Die Charta von Porto Alegre ist da recht eindeutig: "Das Weltsozialforum versammelt nur Strukturen und Bewegungen der Zivilgesellschaft aus allen Ländern der Welt und bietet ihnen eine Plattform, aber es beansprucht nicht, eine repräsentative Instanz der Weltzivilgesellschaft zu sein. Die Begegnungen im Weltsozialforum haben keinen Entscheidungscharakter."
Die Sozialforen sind als solche keine Bündnisse zum Zweck, Kampagnen durchzuführen, wie wir das bisher gewohnt sind. Sie bieten nur den Rahmen, solche Bündnisse herzustellen. Sie sind etwas für deutsche Verhältnisse durchaus Neues: nämlich ein Raum, in den jede und jeder eingeladen ist, die/der die neoliberale und kapitalistische Globalisierung kritisiert und den Austausch der Ideen, aber auch die gemeinsame Aktion und Vernetzung mit anderen sucht, um dazu eine Alternative auszubauen.
Die Sozialforen als solche fassen keine Beschlüsse. Aber sie ermöglichen jeder und jedem, Gleichgesinnte zu suchen, um in ihrem eigenen Namen Positionen zu veröffentlichen und Aktionen zu initiieren.
Der Raum muss aufgebaut werden, das tut sich nicht von allein. Dazu bedarf es des Engagements derer, die nicht nur ihr jeweils eigenes Projekt verfolgen, sondern darüber hinaus auch an den größeren gemeinsamen Rahmen denken. Den Raum instand zu halten, sodass alle ihn nutzen können, ist die gemeinsame Aufgabe aller, die ihn frequentieren.
Die Diskussion um das Selbstverständnis und das Vorgehen beim Aufbau des SFiD war deshalb schwierig, weil andererseits die Zeit drängt. Die Notwendigkeit, den in der Bevölkerung bestehenden breiten Unmut über die asoziale Politik der Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen und damit den Grundstein zu legen für eine breite linke Opposition gegen neoliberale Politik, drängt.
Die Gewerkschaften sind zu sehr an diese Regierung gebunden, als dass sie den nötigen Druck machen könnten. Somit riskiert der Widerstand aber, zersplittert zu werden. Unter dem Dach der Sozialforen ließe er sich zusammenfassen. Dafür müssen diese jedoch aufgebaut werden. Wir müssen deshalb zwei parallele Prozesse auf einmal bewältigen.

Die nächsten Schritte

Das Kasseler Treffen vereinbarte, Mitte Juni ein Treffen der bereits bestehenden oder in Aufbau befindlichen regionalen und örtlichen Sozialforen durchzuführen. Auf diesem Treffen soll auch ein Aufruf zur Gründung weiterer Sozialforen verabschiedet werden.
Die von Attac angeregte Strategiedebatte soll am 13.6. in der Evangelischen Akademie Iserlohn fortgesetzt werden. Alle, die sich in den Rahmen des Sozialforumsprozesses stellen, sind dazu eingeladen.
Der Kasseler Kreis fühlt sich verantwortlich für die Vorbereitung eines Gründungskongresses für ein Sozialforum in Deutschland. Er wird zu diesem Zweck im Spätsommer erneut zusammentreffen.
Die von der Initiative deutsche Vorbereitung des ESF bereits aufgestellten Strukturen — Webseite, Mailingliste, Finanz-AG, Übersetzerteams usw. — stehen jetzt gemeinsam zur Verfügung.

Angela Klein
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