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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2003, Seite 4

‘Ich bin ein Blockierer‘

So meldete sich am "Tag der Arbeit" der IG-Metall-Bevollmächtigte von Stadthagen, Detlef Kunkel, mit einer Beilage zu den Schaumburger Nachrichten zu Wort. Er machte sich die Mühe, dem "uralten Problem der gerechten Verteilung zwischen Arm und Reich" nicht nur allgemein durch Statistiken, sondern bezogen auf Einzelfälle, nachzugehen.
"Wenn heute ein 54-Jähriger mit einem Durchschnittseinkommen von 1442 Euro netto arbeitslos wird", rechnet Detlef Kunkel vor, "bekommt er 866 Euro Arbeitslosengeld im Monat. Die Arbeitslosenhilfe liegt bei 765 Euro, die Sozialhilfe bei 595 Euro. Beim Fall in die Sozialhilfe wird das Ersparte angerechnet. Hat er 15000 Euro auf dem Konto, ist das Geld nach 23 Monaten futsch. 1278 Euro darf er behalten. Ist er 60 Jahre alt, wird er zwangsverentet, natürlich mit den entsprechenden Abschlägen. Statt 899 Euro Altersrente bekommt er nur noch 688 Euro. Ist das sozial?" fragt der IGM-Bevollmächtigte und schiebt sogleich nach: "Noch ein paar Fakten? Der ‚Eckrentner‘ — so der Fachjargon für einen Ruheständler, der 45 Jahre lang das Durchschnittseinkommen verdient hat —, bekommt eine Rente von netto 1072 Euro, zum Sterben zu viel, für einen sorglosen Ruhestand zu wenig. Der Durchschnittsverdienst in Deutschland liegt bei 33000 Euro brutto im Jahr. Über ein Drittel der 36 Millionen Werktätigen verdient sogar noch weniger. 20% haben nicht einmal 15000 Euro im Jahr zur Verfügung. Brutto wohlgemerkt!"
Oben sieht es allerdings ganz anders aus. Rund 600 Deutsche sind superreich, sie haben viele Millionen auf dem Konto. 240000 Deutsche haben ein Vermögen von mindestens einer halben Million Euro. Ein Fünftel der Einkommenselite verfügt über zwei Drittel des Nettovermögens. Die untere Hälfte besitzt nur 6% des Nettovermögens. Ob Facharbeiter oder Angestellter, alle Beschäftigten werden zu Opfern der "Reformpolitik", über die jetzt gestritten wird.
Detlef Kunkel bestreitet, dass die Gewerkschaften nur "Neinsager" und "Blockierer" seien. Sie haben überzeigende Vorschläge zur Gestaltung des sozialen Wandels gemacht. Allein die Wiedereinführung der Vermögensteuer mit einem moderaten Satz von 0,5% würde mit 8 Milliarden Euro mehr als doppelt soviel an Einnahmen in die öffentlichen Kassen spülen als die Kürzungen beim Arbeitslosengeld ausmachten. Warum wage man sich nicht, sich mit den wirklich mächtigen Gruppen anzulegen, etwa der Pharmaindustrie und der Ärztelobby? An der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme müssten sich auch Beamte und Selbstständige beteiligen.
Er zitiert den US-ÖkonomenJoseph Stieglitz, Nobelpreisträger und von 1997 bis 2000 an der Spitze der Weltbank, der soziale Gerechtigkeit nur in einer Gesellschaft sah, in der es "am Boden so komfortabel sei wie an der Spitze". Detlef Kunkel ruft ihm zu: "Herzlich willkommen im Kreis der Blockierer, Herr Stieglitz."
Dass der IG-Metall-Bevollmächtigte von Stadthagen sich auf eine breite Basis stützen kann, bewies der begeisterte Beifall seiner 600 Zuhörer. Dass zum "Tanz in den Mai", den er organisierte, über 8000 Besucher — vor allem Jugendliche — kamen, bezeugt, dass eine von ihm zitierte Unternehmung, die feststellt, 74% sehen die Gewerkschaften als "modern und zukunftsfähig" an, nicht ganz falsch sein kann.

Jakob Moneta

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