SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2003, Seite 9

Stand der Proteste

Gegen die Agenda 2010

Einen heißen Frühling hatten die Gewerkschaften am 1.Mai angekündigt — flächendeckende Straßenproteste, um die Bundesregierung zur Umkehr und zur Korrektur an der Agenda 2010 zu bewegen.

Eine erste Kostprobe gab es davon am 17.Mai in Berlin. Was vor ein paar Monaten noch als bundesweite Gesundheitsdemo angelegt war, wuchs sich mit zunehmendem Ärger an der Basis nach der Kanzlerrede am 14.März zu einem schlecht integrierten Potpourri aus.
Ver.di sah sich gezwungen, die Themenpalette auszuweiten, die in Ver.di organisierten Erwerbslosen kündigten an, in jedem Fall eine eigene Auftaktkundgebung organisieren und damit die Demonstration nutzen zu wollen, um auf die Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds und die Streichung der Arbeitslosenhilfe aufmerksam zu machen. Schließlich gesellten sich noch die Beschäftigten in den Sozialversicherungsämtern dazu.
Auf diese Weise kamen etwa 15000 Menschen nach Berlin. Die Kundgebung der Erwerbslosen geriet mit ca. 1000 Menschen größer als am 14.9. in Köln, kam jedoch über das bekannte Spektrum der aktiven Erwerbslosen aller Schattierungen — ob gewerkschaftlich organisiert oder nicht — nicht hinaus. Gesundheit war der eindeutige Schwerpunkt der Demonstration, doch Ver.di war es nicht gelungen, über den Kreis der im Gesundheitswesen Beschäftigten hinaus zu mobilisieren, obwohl dieses Thema die breite Mehrheit der Bevölkerung fast noch mehr beschäftigt als die Rente.
Es waren auch nicht in allen Bundesländern mobilisiert worden — Baden- Württemberg, das Saarland und Rheinland-Pfalz setzten vor Ort andere Schwerpunkte. Alles in allem kann man die Demonstration als einen gelungenen Auftakt bezeichnen, aber nicht mehr. Wenn die Gewerkschaft Dampf machen will, muss sie sich noch erheblich mehr einfallen lassen.
Ein Wochenende später, am 24.Mai, hat der DGB in 15 Städten örtliche und regionale Protestaktionen angekündigt. Sie wurden von allen Einzelgewerkschaften unterstützt, vor allem von der IG Metall.
Mit diesen Aktionen wollten die Gewerkschaften Druck ausüben, dass die SPD auf ihrem Sonderparteitag doch noch einen Kompromiss anbietet, den man der Basis verkaufen kann. Zu Redaktionsschluss sieht es danach aus, als könnte es der Regierung gelingen, einem großen Teil der SPD-Linken den Schneid abzukaufen mit geringfügigen Korrekturen, die — wie die Regierung richtig betont — die Gesamtlinie der Agenda 2010 nicht in Frage stellt. Und die Gesamtlinie ist ein Systembruch mit dem Sozialstaatssystem in Deutschland. Nach dem 1.Juni wird sich weisen, ob auch die Gewerkschaftsführungen sich einkaufen lassen oder nicht.
Der 1.Juni wird jedenfalls für Berlin ein zentraler Mobilisierungstermin werden: Die IGBAU hat zu einer Protestdemonstration aufgerufen, und Ver.di, die örtliche Gewerkschaftslinke, die Erwerbsloseninitiativen, Attac u.a. haben sich angeschlossen. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Parteitagsdelegierten von den Protesten nichts mitbekommen, weil sie zu spät am Vormittag terminiert sind.
Berlin ist ein Beispiel dafür, dass die gemeinsame Mobilisierung möglich ist, wenn man sie denn will. Wesentlich dafür verantwortlich ist die örtliche IG BAU, die erstens die Initiative für eine Protestdemonstration ergriffen und zweitens der Initiative für ein Berliner Sozialforum die gemeinsame Mobilisierung angetragen hat. Ver.di und DGB haben sich erst später angeschlossen.
Die Gewerkschaften haben für die letzte Juni-Woche eine "zweite Welle der Mobilisierung" angekündigt, und Großaktionen auch für den Herbst — ohne diese jedoch zu präzisieren. Ob sie dabei bleiben, wird sich am 1.Juni entscheiden.
Diejenigen aber, bei denen sich das Bewusstsein durchsetzt, dass es nicht ohne eine geschlossene massive bundesweite Gegenmobilisierung gehen wird, die alle betroffenen Gesellschaftsschichten umfasst und die Agenda 2010 als Generalangriff auf die sozialstaatliche Gesellschaftsverfassung thematisiert, haben sich am 25.Mai in Hannover zu einem ersten Austausch getroffen. Ihr Ziel ist es, die Einheit herzustellen, die die Gewerkschaften sich bisher nicht herzustellen trauen, aus Angst, die Regierung könnte darüber stürzen.

Angela Klein

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