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Der Krieg gegen den Irak ist von den US-Amerikanern schneller errungen worden, als viele gedacht haben. Was sagt dieses schnelle Ende
des Krieges über den inneren Zustand der irakischen Gesellschaft aus?
Brigitte Kiechle: Die Mehrheit der irakischen Bevölkerung war gegen den Angriffskrieg der USA und ihrer Verbündeter.
Gleichzeitig bestand jedoch auch der berechtigte Wunsch nach einem Ende der Diktatur. Die Bevölkerung war nicht bereit, das Saddam-Regime zu
verteidigen. Auch die Aggression von außen und die Appelle der irakischen Regierung, die "nationale Ehre des Irak" zu verteidigen,
führten nicht mehr zu einer Mobilisierung der Bevölkerung. Ansonsten gibt es natürlich eine Vielzahl an Spekulationen, die das
überraschende Ende der Kampfhandlungen von Seiten des irakischen Militärs und der Spezialeinheiten betreffen ob es zu Absprachen
zwischen den kriegführenden Parteien gekommen ist, oder di Möglichkeit einer Reorganisierung der alten Militärs.
Die ehemals regierende Baath-Partei ist von der Militärverwaltung aufgelöst worden. Wie schätzt du die
Wahrscheinlichkeit ein, dass deren Funktionäre den Übergang ins neue Regime schaffen?
Die Auflösung bedeutet zunächst einmal, dass die Parteiorganisation als solche verboten wurde, die Büros geschlossen wurden und
dass die Partei also nicht auf Apparat, Infrastruktur und Vermögen zurückgreifen kann. Das bedeutet aber nicht, dass die Masse der Parteimitglieder,
die bis zum Schluss der Partei die Treue gehalten haben, plötzlich nicht mehr existieren würde. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie
sich die ehemaligen Anhänger der Baath-Partei in den politischen Neuformierungsprozess einbringen können, bspw. über
Parteineugründungen.
Zentraler ist jedoch, dass die Militärverwaltung zwar die Baath-Partei verboten hat,
aber gleichzeitig auf die Strukturen des alten Regimes und insbesondere auf das Personal im Sicherheitsbereich (Polizei, Sicherheitskräfte im
Industriebereich usw.) und in der Verwaltung zurückgreifen, um im Interesse der Besatzungsmacht "Sicherheit und Ordnung" herzustellen.
Dieser Sachverhalt ist ja bereits auf Unmut in der Bevölkerung gestoßen. Zum zweiten hat die Besatzungsmacht kein Interesse daran, dass sich im
Irak politische Verhältnisse entwickeln, die tatsächlich auf der Selbstorganisation der Bevölkerung beruhen und wirklich demokratische
Verhältnisse, im tatsächlichen Sinne des Wortes, geschaffen werden.
Die Besatzungsmächte wissen nur zu gut, dass eine solche Entwicklung nicht zu einer
Regierung führen würde, die im Interesse der USA instrumentalisierbar wäre. Eine wirkliche Demokratisierung des Irak wird es deshalb mit
den Besatzungsmächten nicht geben. Es könnte deswegen, langfristig betrachtet, für die Besatzungsmächte lohnender sein, zumindest
auf einen Teil der alten Baath-Partei personell zurückzugreifen, mit der man ja auch früher sehr gut zusammengearbeitet hat.
Die USA sind von der irakischen Bevölkerung als Befreiungsarmee akzeptiert worden, doch eine machtvolle, wenn auch noch
eher zurückhaltende Opposition gegen die Besatzung ist bereits sichtbar. Wie lange, glaubst du, lässt sich die Mehrheit der irakischen
Bevölkerung diese "Befreiungsbesatzung" gefallen?
Ich sehe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Besatzer als Befreiungsarmee empfangen wurden oder dass eine Mehrheit der Bevölkerung
die Besatzer als Befreier ansehen würde. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bevölkerungsmehrheit ist m.E., unabhängig von den politischen
Zugehörigkeiten, der Auffassung, dass die politische Zukunft des Irak allein in den Händen der irakischen Bevölkerung liegen sollte. Sie
fordert einen sofortigen Abzug der Besatzungskräfte.
Wenn Bush verkündet, die USA wollen der irakischen Bevölkerung
zukünftig als "beständiger Freund" zur Seite stehen, weiß die irakische Bevölkerung sehr wohl, was sie erwartet: Eine
Besatzungsmacht, die zur Durchsetzung ihrer Ziele auch nicht davor zurückschreckt, gegen Kritiker mit Gewalt vorzugehen. Bei Demonstrationen und
Protestaktionen gegen die Besatzungsmacht wurden bereits mehrere Personen von US-Soldaten erschossen und verletzt.
Die sich als neue Kolonialherren aufspielenden Besatzer haben, auch bezogen auf die
Alltagsprobleme der Bevölkerung, deutlich gezeigt, dass ihnen die irakische Bevölkerung und deren Befindlichkeiten ziemlich gleichgültig
sind. Erneuerung der Infrastruktur, Sicherung der Lebensmittelversorgung, Versorgung mit Wasser und Strom, ausreichende medizinische Versorgung
all dies ist bislang nicht gewährleistet.
Die Besatzungsmacht hat dann auch noch zugesehen, wie soziale und kulturelle Einrichtungen
geplündert worden sind. Geschützt haben die Besatzer nur sich selbst und die ihren wirtschaftlichen Interessen im Irak dienenden Objekte. Der
Widerstand gegen die Besatzung hat bereits auf vielfältiger Ebene begonnen. Ein sehr wichtiges Element sind dabei die sich herausbildenden
Selbstorganisationsstrukturen der Bevölkerung, die bereits in verschiedenen Stadtteilen von Bagdad sichtbar werden.
Die sichtbarste und scheinbar machtvollste Opposition ist offensichtlich die schiitisch-religiöse Bewegung. Glauben wir den
Berichten, so haben wir es dabei mit einer vergleichsweise gemäßigten, fast schon säkularisierten Religionsbewegung zu tun. Welchen
Charakter hat diese schiitische Bewegung?
Man muss vor allem einen Unterschied machen zwischen der Religiosität der Bevölkerung und den politischen Parteien, die aufgrund ihrer
Religionszugehörigkeit ein Programm für den Gesamtirak entwickeln und als islamistische Parteien einzuordnen sind. Die beiden großen
politischen Parteien in diesem Spektrum, der Hohe Rat der islamischen Revolution im Irak und die DAWA-Partei vertreten beide eine Konzeption, die von
einem Gottesstaat nach iranischem Vorbild ausgeht. Das ist die politische Zielsetzung. In der politischen Praxis nehmen sie das etwas zurück und
versuchen, sich gemäßigt zu geben. Man wolle sich an einem Demokratisierungsprozess und an freien Wahlen im Irak beteiligen und im Rahmen
des parlamentarischen Systems für seine politischen Ziele eintreten.
Bei der letzten Vorkriegskonferenz in London wurde eine Erklärung der dort
vorhandenen Oppositionsparteien verabschiedet, in der explizit auf den Islam als Staatsreligion des zukünftigen Irak Bezug genommen wurde und
gleichzeitig festgehalten wurde, dass die Sharia eine wesentliche Rechtsquelle für den zukünftigen Irak sein solle. Die Erklärung wurde z.B.
auch eine dramatische Entwicklung von den kurdischen Parteien KDP und PUK unterzeichnet, also von nicht religiös orientierten
Kräften.
Die aktuelle Auseinandersetzung bezüglich der Durchsetzungskraft islamistischer
Strömungen im Irak halte ich einerseits für übertrieben, andererseits für untertrieben. Übertrieben wird m.E. der politische
Einfluss der politisch-schiitischen Bewegung. Unzweifelhaft haben sie Masseneinfluss, aber sie repräsentieren nicht die Schiiten und sind auch nicht die
stärkste Kraft. Es liegt u.a. auch im Interesse der Besatzungsmächte, die "islamistische Gefahr" zu überzeichnen, lässt sich
dies doch gerade im Westen hervorragend zur Rechtfertigung der eigenen Präsenz benutzen. Andererseits wird der Einfluss der Islamisten untertrieben,
wenn es bspw. um die Frauenrechte geht und die Gefahr einer zukünftigen Entwicklung nach rechts.
Die Besatzungsmächte versuchen, das scheint mir entscheidend, die Konfliktlinien
entlang der ethnischen und religiösen Linien voranzutreiben. Auch die Militärzoneneinteilung ist ein solcher Hinweis. Der Konflikt im Irak war
jedoch immer ein politischer. Es ging nicht darum, dass die Schiiten als Schiiten unterdrückt waren. Es war die politische Vertretung, der politische
Islamismus, der unterdrückt wurde. Genauso war nicht der Kurde als Kurde unterdrückt. Es war der Kampf der Kurden um Autonomie als Teil des
Kampfes gegen die Diktatur, um den es politisch ging und nicht die Frage der Volkszugehörigkeit als solche.
Inwiefern kann man im Irak noch von existierenden linken Kräften sprechen? Wie stark ist die irakische KP?
Die Linke im Irak war durch die Repression des Baath-Regimes besonders hart betroffen und wurde bis an die Grenze der Existenz geschwächt.
Einige Organisationen wie z.B. die KP Irak haben versucht, auch während der Saddam-Ära in der Illegalität im Irak weiterzuarbeiten und ein
Minimum an Organisationsstruktur auch in der Illegalität aufrecht zu erhalten. Es findet nun ein Reorganisierungsprozess statt. Nach der Einstellung der
Kampfhandlungen hat die KP im ganzen Land Büros eröffnet und ihre Zentrale wieder nach Bagdad verlegt. Als erste der früheren
Oppositionsparteien hat sie eine Zeitung herausgegeben und zeigt sich in ihren Stellungnahmen überrascht über den Zuspruch, den sie mittlerweile
erhält.
Welches politische Programm vertritt sie und welchen Parteicharakter hat die KP?
Die Kommunistische Partei ist nach wie vor eine sozialistische Partei, die sich früher sehr stark an die Sowjetunion angelehnt hat. Das wird heute
durchaus kritisch gesehen und diskutiert. Was die Zukunftsdebatte angeht, geht die KP m.E. etwas zu schematisch an die Prozesse heran, da sie die Frage der
sozialistischen Alternative völlig zurückstellt und auf eine bürgerlich-demokratische Phase orientiert, in der sich die KP dann in Anerkennung
des parlamentarischen Rahmens um politische Mehrheiten bemüht. Sie fordert die umgehende Durchführung freier Wahlen und den Abzug der
Besatzungsmächte. Die wirtschaftlichen Ressourcen und politische Macht müssen nach Auffassung der KP in die Hände der Iraker
übergehen. Der Besatzungsmacht wird jegliche Berechtigung abgesprochen.
Welche sonstigen linken Kräfte gibt es?
Es gibt eine Vielzahl kleiner sozialistischer und kommunistischer Parteien, die zumeist aus historischen Abspaltungen von der KP entstanden sind. Eine
der in der BRD bekannteren Gruppen ist bspw. die Arbeiterkommunistische Partei, die nun ebenfalls in mehreren Städten des Irak ihre Arbeit
aufgenommen hat.
Auch die Kurden im Nordirak vermeiden bisher jeden offenen Separatismus und geben sich konstruktiv. Siehst du hier eine Gefahr
der Radikalisierung?
Die Hoffnungen der kurdischen Bevölkerung auf eine weitergehende Autonomie in einem demokratisch-föderativen Irak sind bisher eher
enttäuscht worden. Ein Mehr an Autonomie hat die Unterstützung der USA durch die großen Kurdenparteien PUK und KDP bisher nicht
gebracht. Im Gegenteil, die Besatzungsmacht besteht ja für den gesamten Irak, also auch für die ehemalige kurdische "Schutzzone".
Auch in den kurdischen Gebieten wird es sicherlich zu politischen Umgruppierungen kommen. Es bleibt abzuwarten, ob es PUK und KDP auch in der Nach-
Saddam-Ära gelingen wird, ihren bisherigen Masseneinfluss aufrechtzuerhalten.
Wie siehst du die innerirakischen Perspektiven der nächsten und übernächsten Zeit?
Einerseits ist deutlich geworden, dass die Besatzungsmächte ihre Besatzung solange
aufrechterhalten werden, bis sie eine nach ihren Vorstellungen arbeitende Regierung eingesetzt oder zugelassen haben, die langfristig ihre Interessen vertreten
wird. Insofern ist die Frage der Besatzungsdauer nicht richtig einzuschätzen. Hier werden ja Zeiträume genannt zwischen ein bis drei Jahren mit
einer anschließenden Protektoratszeit. Das ist offen und wird natürlich davon abhängen, inwieweit der bereits begonnene Widerstand
vereinzelt bleibt oder tatsächlich in der Lage ist, die Mehrheit der Bevölkerung zu mobilisieren und wirkliche Formen der Selbstorganisation zu
entwickeln, die sich gegenüber der Besatzungsmacht behaupten können.
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