SoZ Sozialistische Zeitung |
Bereits nach dem 11.September 2001 erkannten sie die Chance, ein Manko zu korrigieren, das Herfried Müller in der
Frankfurter Rundschau so beschrieb: "Wahrscheinlich lässt sich die notorische Schwäche einer europäischen Außenpolitik der
Europäischen Union auch mit dem Fehlen von Bedrohungsszenarien erklären, die der Entwicklung der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP) entsprechenden Nachdruck verliehen hätten." Inzwischen dient das Feindbild Terrorismus als Folie für
weitreichende Pläne zur inneren und äußeren Militarisierung und zum Abbau demokratischer Rechte.
Die fehlende "Vision" versuchten französische und deutsche Politiker
ausgerechnet in den weltweiten Antikriegsaktionen vom 15.Februar zu entdecken. "Am 15.Februar 2003", schreibt der ehemalige französische
Wirtschafts- und Finanzminister Domique Strauss-Kahn in einem Beitrag für Le Monde, "ist auf der Straße eine Nation geboren. Diese neue
Nation ist die europäische Nation … Es fehlt ihr gewissermaßen nur noch eine politische Exekutive, die der Herausforderung würdig
ist."
Und in der gleichen Ausgabe der FR sekundieren die drei SPD-Fraktionsvize Gernot Erler,
Michael Müller und Angelika Schwall-Düren: "Den Vereinigten Staaten droht eine Überdehnung als Folge einer Politik der
Stärke … Wer jetzt nicht begreift, dass deshalb vieles auf Europa zuläuft (Joschka Fischer), der wird es nie begreifen … Dies geht
nicht, ohne eine Gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)."
Am 29.April trafen sich in Brüssel die Regierungschefs von Deutschland, Frankreich,
Belgien und Luxemburg, um die "Vision" militärisch zu unterfüttern. Sie konkretisierten dabei die Idee eines militärischen
Kerneuropas, wie zuvor bereits von Joschka Fischer und seinem französischen Amtskollegen Dominique de Villepin propagiert.
Sie wollen Druck auf den Europäischen Konvent machen, der bis zum Juni eine EU-
Verfassung vorlegen soll. In ihr möchten die Brüsseler Vier das Konzept einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion (ESVU)
verankert wissen, die von Frankreich und Deutschland vorangetrieben wird. Dieser Verfassung können sich andere EU-Staaten anschließen, sie aber
nicht aufhalten oder beeinflussen.
Dieses Prinzip des Vorpreschens soll unter der Bezeichnung "verstärkte
Zusammenarbeit" einzelner EU-Mitgliedsländer legitimiert werden. Sie drängen darauf, die Einsatzszenarien für eine künftige
EU-Interventionstruppe auch auf "anspruchsvollste Aufgaben" auszudehnen, ihnen gehen die bisherigen sog. "Petersbergaufgaben" nicht
weit genug.
Die vier Kerneuropa-Krieger haben auf ihrem Gipfel nicht nur allgemein den Ausbau ihrer
militärischen Fähigkeiten vereinbart, sondern konkrete Erhöhungen "bei den Investitionen in die militärische
Ausrüstung" angekündigt. Die deutsch-französische Brigade soll um belgische Kommandoeinheiten und luxemburgische
Auflärungstruppen verstärkt werden und als schnelle Eingreiftruppe einer EU-Interventionsarmee dienen. Ihre Aufgabe lautet: "Als erste auf
feindliches Gebiet vordringen."
Bis Juni 2004 soll ein EU-Lufttransportkommando stehen, das Soldaten und Waffen an die Front bringen kann. Vor allem aber soll ein EU-Planungs- und
Kommandostab aufgebaut werden zur Durchführung "EU-geführter Operationen ohne Rückgriff auf Mittel und Fähigkeiten der
NATO". Das machte beträchtlichen Wind in London und Washington. Der Tagesordnungspunkt "NATO-unabhängiges EU-
Hauptquartier" wurde deshalb kurz vor dem Treffen von der Tagesordnung genommen.
Erst Ende 2002 war es mühsam gelungen, eine Vereinbarung zwischen EU und NATO
zustande zu bringen, die es den EU-Kriegern ermöglicht, für ihre Einsätze auch NATO-Strukturen zu nutzen, zwei Jahre lang verhindert
durch ein Veto der Türkei.
Das Gipfel-Papier orientiert auf eine europäische Militärunion, die laut Chirac in
der Perspektive zum "gleichgewichtigen Partner" der USA werden soll. Bereits vor dem Prager NATO-Gipfel im November 2002 hatte Fischer klar
gemacht, dass die EU nicht "ein Friedenskorps aufstellt, sondern eine wirksame Eingreiftruppe" anstrebt. Aus den USA waren Pläne bekannt
geworden, die auf eine Arbeitsteilung hinausliefen, bei der die NATO mit ihrer neuen Eingreiftruppe NATO Response Force (NRF) für
Kampfeinsätze zuständig sein sollte und die EU für die anschließenden Besatzungsaufgaben und für begrenzte
Militäreinsätze.
Seither wird um diese NATO-Einheit gerangelt. Im Herbst 2004 soll bereits die erste Stufe der
Einsatzfähigkeit der 21000-Mann-Truppe erreicht sein. Sie wird von den Strategen in Berlin und Paris als Projekt zur Sabotierung eigenständiger
EU-Pläne gesehen. Struck stellte deshalb bereits im vergangenen November in einer Bundestagsrede klar: "Wir werden kein
Konkurrenzverhältnis zulassen, das daraus erwächst, dass man dem Motto ‚Es gibt jetzt nur noch die NATO-Response-Force, die europäische
Sicherheits- und Verteidigungspolitik vergessen wir folgt." Das Projekt der EU-Eingreiftruppe dürfe dabei "nicht
gefährdet" werden, erklärte er in einem Interview mit der Berliner Zeitung.
In Berlin bemüht man sich darum, dass Bundeswehreinheiten, die für die NRF der
NATO bereitgestellt werden, auch für EU-Einsätze zur Verfügung stehen. Aus dem Pentagon wird offenbar auf das Gegenteil gedrängt,
nämlich eine exclusive Abstellung spezieller Einheiten für die NATO, die zwischen Bereitschaft und Reserve wechseln sollen und daher für
andere Kriegsjobs nicht mehr angefordert werden können.
Bis zum EU-Gipfel im Juni soll deren außenpolitischer Koordinator Solana
Vorschläge für eine EU-Militärstrategie vorlegen. Bei einem Außenministertreffen Anfang Mai in Griechenland war schon klar, dass
als Hauptpunkt in diesem Papier analog zur US-Linie die "Bekämpfung des internationalen Terrorismus" stehen wird, das Einfallstor, mit dem
auch die Erstschlagsstrategie hoffähig gemacht werden soll.
Indessen haben sich die EU-Außen- und "Verteidigungs"minister am 19.Mai in Brüssel getroffen, um den Stand des Aufbaus der
EU-Eingreiftruppe zu bilanzieren. Bis zum Ende des Jahres soll die Truppe im Umfang von 60000 Soldaten voll einsatzbereit sein. Seit Ende März hat die
EU das Kommando über die Mazedonien-Truppe übernommen (Operation "Concordia"). Nächstes Jahr soll die SFOR-Einheit in
Bosnien-Herzegowina durch die EU abgelöst werden. In Brüssel wurde sogar schon über die Entsendung von EU-Friedenstruppen in den
Kongo gesprochen.
Deutschland hat seinen Anspruch, die EU-Truppe zu führen, erneut unterstrichen und
sein EU-Kontingent um 1000 Soldaten auf 33000 aufgestockt, einschließlich militärischer "Spezialkräfte", Tankflugzeuge und
einem Versorgungsschiff.
Neue Vorschläge wurden auch für die Erhöhung der nationalen
Rüstungsetats gemacht. So präsentierte Strucks italienischer Amtskollege Martino die Idee, die Rüstungskosten aus den sog.
Maastrichtkriterien für eine Obergrenze der Verschuldung herauszunehmen. Was als Knüppel gegen die sozialen Haushalte dient, ist also bei der
Rüstung kein Tabu. Joschka Fischer hatte schon Mitte März im Berliner Kabinett für eine Erhöhung des Rüstungsetats zugunsten
einer EU-Streitmacht geworben.
Schröder sicherte zu, dass man sich im Zusammenhang mit einer stärkeren EU-
Militärpolitik "über die Ausrüstung der Bundeswehr und über ihre Finanzierung unterhalten müsse". Da wollten dann
auch die Olivgrünen nicht hinten anstehen und ließen ihren Haushaltsexperten Alexander Bonde erklären: "Sollte es bei einer EU-
Verteidigungspolitik zu konkreten Vorschlägen kommen, können wir mittelfristig über die Finanzierung reden."
Struck macht inzwischen offen Dampf für eine Erhöhung des Rüstungsetats
ab 2006 und weist dabei gerne auf die Höhe der US-Militärausgaben hin.
Europäisch begründet wird auch das Tempo, mit dem die Schröder-Fischer-
Regierung an einer Entmachtung des Parlaments bei Bundeswehreinsätzen hinarbeitet. So schnell wie möglich soll ein "Entsendegesetz"
her, das die Entscheidung über Militäreinsätze in die Verantwortung der Regierung legt. Das Parlament soll sich künftig mit einem
Informations- oder Rückholrecht begnügen. Schließlich müssten Bundeswehreinheiten im Rahmen einer EU-Truppe schnell
einsatzbereit sein, deshalb sei die "Handlungsfreiheit der Regierung" zu vergrößern.
Arno Neuber
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04