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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2003, Seite 17

Antikriegsbewegung in Großbritannien

Rache für den Quasi-Sturz

Der Krieg im Irak ist vorerst vorbei. Die britische Antikriegsbewegung kann auf eine Zeit zurückzuschauen, in der zum ersten Mal seit langem eine Regierung fast über eine Massenbewegung gestürzt wäre. Es war eine Bewegung der Superlative, die nicht nur Englands größte, jemals stattgefundene Demonstration mit über einer Million Teilnehmenden organisiert hat, sondern in die sich auch eine völlig neue Generation von Aktiven eingebracht hat.

Auf Initiative der sozialistischen Jugendorganisation International Socialist Resistance fanden im Rahmen der britischen Antikriegskoalition "Stop the War" — der großen landesweiten Bündnisorganisation gegen den Krieg — Land auf, Land ab Mobilisierungen für Schülerstreiks statt. Als der Krieg ausbrach, verließen Hunderttausende ihre Schulen und demonstrierten oftmals spontan in den Zentren britischer Großstädte. Dabei mussten die Schüler häufig erst schuleigene Sicherheitsdienste überwinden oder über Zäune klettern, um aus den Schulen herauszugelangen.
Viele Schulleitungen hatten von der Regierung Order erhalten, die Schülerstreiks mit allen Mitteln zu verhindern. Um die Schüler für ihr Vergehen zu bestrafen, wurden bspw. in Manchester zeitweise ganze Jahrgänge vom Unterricht suspendiert. Einige Schüler wurden ganz aus der Schule geworfen.
Vor allem in Leicester und in Manchester kam es zu Konfrontationen mit der Polizei. In beiden Städten gingen berittene Polizei und Sondereinheiten zur Aufstandsbekämpfung gegen demonstrierende Schüler vor.
In Manchester solidarisierten sich Büroangestellte und zufällig anwesende Bauarbeiter mit den demonstrierenden Schülern.
Die Schülerstreiks waren der Auftakt für Antikriegsdemonstrationen im ganzen Land. Allein in Manchester fand während der ersten zwei Kriegswochen fast jeden zweiten Abend eine Demonstration unter Teilnahme vieler Tausender statt. Jedes Mal versuchte die Polizei vergeblich, mit massiver Gewalt den Protest zu verhindern.
Mit besonderer Härte ging die Polizei gegen Jugendliche aus traditionellen Arbeitervierteln vor; hier sollte wohl schon im frühen Alter Respekt für die staatliche Autorität eingeprügelt werden.
Trotz aller Repressionsversuche wäre es der Antikriegsbewegung fast gelungen, die Regierung zu stürzen. In einem kürzlich im Boulevardblatt Sun veröffentlichten Interview bekannte Premierminister Tony Blair, es habe einen Zeitpunkt gegeben, wo er Frau und Kinder um den häuslichen Kamin versammelte, um ihnen zu erklären, dass der Vater vielleicht bald keinen Job mehr habe. Im selben Interview gab Blair zu, seine Regierung habe an Notfallplänen für den Abzug britischer Truppen aus dem Irak gearbeitet.
Für diesen Teilerfolg der Antikriegsbewegung scheinen sich die Herrschenden in Großbritannien nun rächen zu wollen. Die Tageszeitung Daily Telegraph startete eine Kampagne gegen den linken Labour-Unterhausabgeordneten und profilierten Antikriegsaktivisten George Galloway. Sie behauptet, er habe insgesamt 15 Millionen Dollar vom ehemaligen Irakregime kassiert, um die britische Gesellschaft zu destabilisieren.
Der Vorwurf wurde bislang mit keinerlei Fakten belegt, dennoch nutzte ihn der Labour- Vorstand, um Galloways Parteimitgliedschaft vorläufig zu suspendieren und ein Ausschlussverfahren gegen ihn anzustrengen. Galloway erfuhr von den Vorgängen im Fernsehen.
Der Daily Telegraph ist eine der konservativsten britischen Tageszeitungen. Margaret Thatcher ist Mitglied im Vorstand. Die Enthüllungen im Telegraph nahm Rupert Murdochs Boulevardzeitung Sun zum Anlass, ein Verfahren gegen Galloway finanziell zu unterstützen, das einige Soldatenfamilien gegen ihn angezettelt haben. Die Anklage lautet auf Landesverrat, eine Anschuldigung, die, sollte Galloway das Verfahren verlieren, eine Gefängnisstrafe zur Folge haben kann.
Galloway soll stellvertretend für die ganze Bewegung abgestraft werden. Gleichzeitig soll mit ihm einer der letzten Linken aus der Labour Party entfernt werden. Galloway hält jedoch bislang an Labour fest, obwohl die Partei bei den letzten Stadtratswahlen in England empfindlich abgestraft wurde.
Andere wie der Filmregisseur Ken Loach haben die Antikriegsbewegung aufgefordert, eine sozialistische Alternative aufzubauen. Sie müsse sich von ihrem rechten und bürgerlichen Flügel, der vor allem von der Liberal- Demokratischen Partei repräsentiert wird, lossagen und aufhören, sich als ein Ein-Punkt-Bewegung zu verstehen. Sie müsse die große Unzufriedenheit mit der Blair Regierung nutzen und die Fragen Krieg und Privatisierung miteinander verbinden.
Obwohl diese Position innerhalb der Antikriegskoalition im Moment wahrscheinlich nicht mehrheitsfähig ist, nehmen die Kämpfe gegen die neoliberale Regierungspolitik zu. Tony Blair kündigte kürzlich in einem Interview mit der Financial Times an, das britische Sozialsystem müsse auf ein Niveau von vor 1945 zurückgefahren werden — u.a. durch die Privatisierung einer großen Zahl britischer Krankenhäuser. Dagegen regt sich breiter Wiederstand. Die Antikriegsbewegung war nur ein erstes Anzeichen dafür, dass Großbritannien wieder in eine Phase erstarkender sozialer Massenbewegungen getreten ist, und das trotz aller Repressionsmaßnahmen.

Christian Bunke, Manchester

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