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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2003, Seite 20

Rebellion ist hip

Wie die Werbeindustrie linke Stimmungen ausnutzt

Jeder US-Amerikaner wird mit durchschnittlich einer Million Werbebotschaften bombardiert. Unternehmen wie Nike, Calvin Klein und Benetton haben daraufhin neue und kreative Wege gesucht, um ihre Produkte so anzubieten, dass sie bemerkt werden und sie einen höheren Marktanteil erhalten.
Sorgfältige Marktforschung von Konzernen hat die Existenz eines Publikums enthüllt, das empfänglich ist für antiautoritäre Ideen. Durch den Gebrauch revolutionärer Rhetorik und von Ikonen der "Gegenkultur" — wie Lenin, Che Guevara und Malcolm X — versuchen die Konzerne die Kultur der Aktivisten auszunutzen, um ihre Marken zu fördern, den Kauf von Produkten der Massenproduktion als einen Akt "radikaler" Selbstdarstellung hinzustellen und Konzerne mit einem "alternativen" Mythos zu versehen, damit sie sich höhere Profite sichern.
Indem sie ihre Marke mit "Rebellion" in Verbindung bringen, hoffen die Konzerne, junge Menschen besser ansprechen zu können. Unternehmen wie Nike und Gap beschäftigen Personen, die im Jahr Hunderttausende Dollar verdienen und herauskriegen sollen, wie man die Marken des Konzerns "cool" machen kann.
Benetton und Calvin Klein hängen stark von dieser Strategie ab, wenn sie Anzeigenkampagnen durchführen, die ihre Produkte mit risque art und progressiver Politik in Verbindung bringen. Nike, das berüchtigt ist wegen seiner Sweatshops (Schwitzbuden) in der Dritten Welt, beschreibt sich gegenüber US-Teenagern als Träger von "Revolution" und produzierte einmal einen "feministischen Turnschuh". Die Webseite von Diesel Jeans dreht sich völlig um ein Protestmotiv, während sie die Idee der direkten Aktion und des Protests trivialisiert. Mannequins stolzieren mit Schildern mit der Aufschrift "Befreit den Goldfisch" herum.
Che Guevara ist das von den Konzernen am häufigsten missbrauchte Postersymbol von Rebellion und Revolution. "Revolution Soda" hat das berühmte Gesicht des Che auf dem Flaschenetikett zusammen mit der Losung "Join the Revolution". Ein vornehmer Londoner Zigarrensalon benutzt Che Guevara als Maskottchen. Die Verwendung von Gestalten der Revolution oder der Gegenkultur ist allgegenwärtig.
1993 lancierte Gap seine Anzeigenkampagne "Wer trug Khaki?" mit Bildern von Jack Kerouac und James Dean. In ähnlicher Weise tauchte der Beatpoet William Burroughs in einer Nike-Anzeige auf, benutzte Apple Ghandi für die Kampagne "Think different", und eine Anzeigenkampagne von Pepsi in Brasilien lud ein mit "Join the Pepsi Revolution".
Diese Art des Marketing beutet die verbreitete Entfremdung aus, die derKapitalismus schafft, indem sie zwecks Profiterzielung anerkennt, dass tatsächlich etwas mit dem Leben in einer konsumorientierten Gesellschaft nicht in Ordnung ist. Durch die Brille dieser Werbung gesehen sind die Probleme des Kapitalismus und der Konsumgesellschaft jene einer "seelenlosen" Gesellschaft. Konformismus und Ödnis des Alltagslebens werden als die Hauptprobleme des Lebens unter dem Kapitalismus dargestellt, nicht Ausbeutung, Krieg oder Armut. Dieses Marketing verführt uns dazu, uns gedanklich "außerhalb der Ordnung" zu wähnen, ohne für ein Ende der Konsumgesellschaft zu kämpfen. Es wird suggeriert, dass wir der Konsumgesellschaft widerstehen können, nicht durch Massendemonstrationen, sondern indem wir Produkte kaufen, die unsere Individualität verstärken, uns als Rebellen ausweisen oder unseren Wunsch verwirklichen, am "Rande" zu stehen.
Die Entfremdung hat sich als eine erfolgreiche Investition für die großen Konzerne erwiesen. Der Kapitalismus hat das Potenzial entdeckt, eine "sichere" Revolution zu vermarkten. Rebellion ist hip und wird ermutigt, aber nur, wenn sie nicht wirklich etwas ändert und nicht mit echten sozialen Aktivitäten verbunden ist. Diese Art der "Revolution" ist eine sorgfältig konstruierte rebellische Pose, ein von Profit getriebenen Kapitalunternehmen erlaubter und von der trendsetzenden Medienindustrie angeführter "Widerstand".
Die jüngste Welle der "Punk"-Mode ist ein exzellentes Beispiel. Sicherheitsnadeln auf Hemden aufgedruckt, T-Shirts mit "Anarchie" oder "Forever Punk" so aufgedruckt, dass es wie handgeschriebenes Gekritzel aussieht, um die gewünschte Authentizität und den "hausgemachten" Stil zu reproduzieren, den die Punkbewegung der 70er Jahre kennzeichnete.
Saisons und Trends diktieren neue Wellen "rebellischen Konsumverhaltens", z.B. die Prada-Kollektion im Frühjahr 1998, die von Arbeitskämpfen "inspiriert" wurde und starke Anleihen bei militärischer und Arbeitsmontur machte. Im Bericht eines Mailänder Modejournalisten wurde sie als "eine Art maoistisch-sowjetischer Arbeiterchic voller geistreicher Anspielungen" bezeichnet. Diese Kollektion wurde den reichsten und exklusivsten Mailänder Kreisen vorgeführt.
Mao und Lenin erschienen 1999 auf einer Handtasche von "Red or Dead", während die Designerin Anna Sui so sehr vom Freiheitskampf des tibetischen Volkes bewegt war, dass sie eine ganze Serie von Bikinioberteilen und Surfershorts entwarf und produzierte, die sich von der chinesischen Besetzung Tibets inspiriert zeigte.
Revolutionäre Kämpfe und Kampagnen für soziale Gerechtigkeit werden so ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt, um ein Produkt zu verkaufen, dass mit sozialem Fortschritt und entsprechenden Aktivitäten nichts zu tun hat. Dies bringt jedoch auch zum Ausdruck, dass solche Kampagnen, besonders die Antiglobalisierungsbewegung, in den letzten Jahren einen derartigen Einfluss erlangt haben, dass sie die Aufmerksamkeit der Kapitalisten auf sich ziehen.
Sony hat ein Play-Station-2-Spiel mit dem Titel "Ausnahmezustand" herausgegeben, dass den Spieler inmitten eines Antiglobalisierungsprotests vor einer fiktiven amerikanischen Handelsorganisation platziert. Ziel des Spiels ist es, Einkaufszentren zu plündern und Polizisten mit Molotowcocktails anzugreifen. Es zeigt finster aussehende "Anarchisten", die Steine auf Polizisten werfen, und chaotische Szenen. Die Resonanz der Aktivisten auf dieses Spiel war alles andere als positiv, hauptsächlich weil das Spiel als Weg vermarktet wurde, der Frustration gegen die Konzernkultur Luft zu machen, anstatt diese Frustration in einer produktiven und vernünftigen Weise zu demonstrieren.
In den späten 90er Jahren wurden sexuelle und ethnische Differenz die neuen Stars von Werbung und Popkultur. Gap begann, seine Anzeigen mit schmerzlich dünnen, kindhaften Models verschiedener ethnischer Herkunft zu füllen, während Nike-Anzeigen den Betrachtern vermittelten: "Ich halte ‚Baby‘ für ein unanständiges Wort" und "Ich glaube, hohe Absätze sind eine Verschwörung gegen die Frauen".
Nikes Ausbeutung von Frauen der Dritten Welt in Sweatshops macht seine Versuche, als Unterstützer feministischer Ideale zu erscheinen, zur absoluten Ironie. Einher geht dies mit einer Welle des sog. "sexy Feminismus" — Esquire spricht vom "lesbian chic" — und der "girl power". Die Calvin-Klein-Werbung klärt uns sogar auf, dass Geschlecht/ Gender ein Konstrukt ist.
Indem die Konzerne zynisch die Sehnsucht der Menschen nach einer besseren, gerechteren Welt manipulieren, erniedrigen und verzerren sie die Ideale der Bewegung für globale Gerechtigkeit. Indem sie eine Pseudorebellion schaffen, versuchen sie die genuine Revolution, die mit der Ausbeutung Schluss macht, zu vereiteln.
Die kommerzielle Aneignung progressiver und radikaler politischer Gefühle hat zu Reaktionen von Aktivisten und linken Gruppen geführt. Werbekampagnen wie Nikes Anzeigen mit antirassistischen und feministischen Themen haben Frauen und Menschenrechtsgruppen aufgebracht.
Je mehr Menschen die Geheimnisse dieser großen Marken enthüllen, desto mehr wird ihre Empörung die Bewegung für globale Gerechtigkeit nähren und dem Kampf für eine bessere, eine sozialistische Welt helfen.

Lindsay Rowan

Lindsay Rowan ist Mitglied der australischen Jugendorganisation Socialist Resistance.



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