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New York im Jahr 2002, nach den Anschlägen des 11.September 2001. Die berühmte Skyline der Stadt wird
gezeigt, anstelle der Türme des World Trade Center sind zwei Lichtkegel zu sehen. Später sehen wir Ground Zero aus der Perspektive der Wohnung
einer der Hauptpersonen. Es sieht in der Tat wie eine offene Wunde aus.
Die Handlung des Films dreht sich um einen sehr merkwürdigen "Helden":
Einen zu sieben Jahren Gefängnis verurteilten Drogendealer. Die Hauptperson ist im Unterschied zu allen anderen Filmen von Lee kein
Afroamerikaner. Monty Brogan ist ein "Weißer" irischer Herkunft aus der Unterschicht, sog. "white trash". Trotzdem konnte er
eine private Eliteschule besuchen, von der er allerdings verwiesen wurde, weil er schon als Schüler mit Drogen handelte. Jetzt wurde er wegen
Drogenhandels zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Film schildert die letzten 24 Stunden vor dem Haftantritt und in Rückblenden, wie es zu der
Verurteilung kam. Dabei legt der englische Titel (25th hour, wörtlich: 25.Stunde) mehr Wert auf den Übergang von der Freiheit ins Gefängnis,
während der deutsche Titel (25 Stunden) mehr Wert auf den Verlauf der gesamten Vorgeschichte legt.
Der Film bezieht seine Spannung aus verschiedenen Aspekten: Wer hat Monty verraten? Wird
er seine Strafe tatsächlich antreten? Ist er wirklich "schlechter" als seine beiden Kumpels, die "anständige" Jobs haben? Ist
die Welt im Allgemeinen und New York im Besonderen so korrupt, dass ein Drogendealer schon gar nicht mehr auffällt?
Die eindrucksvollste Szene im Film ist ein Monolog, den Monty vor einem Spiegel in einer
Toilette hält, auf den jemand "Fuck you" geschrieben hat. Die Szene ist eine im Stil des Rap-Sprechgesangs vorgetragene
Hassliebeserklärung an die Stadt New York und ihre unterschiedlichen BewohnerInnen. Dabei wird der Mythos vom Schmelztiegel USA, den Lee in
seinen Filme immer angreift, überzeugend demontiert. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen leben eher neben- als miteinander. Montys
Äußerungen sind zwar nicht "politisch korrekt", aber er ist nur der Verzweifelte, der seinen Frust hinausschreit, kein Propagandist einer
Ideologie.
Ein Drogenhändler kann natürlich keine Identifikationsfigur sein. Er rettete zwar
einem Hund das Leben, weil er von dem Überlebenswillen des Tieres fasziniert war. Aber wie viele Menschenleben hat er zerstört? So begleitet man
Monty distanziert auf seiner letzten Tour in New York für sieben Jahre. Seine "anständigen" Kumpels sind aber auch nicht zur
Identifizierung geeignet: Der verklemmte Lehrer Elinsky, dem die Reize seiner Schülerinnen sehr zu schaffen machen. Der Börsenmakler
Slaughtery, dessen Geschäfte ziemlich windig sind. Beide sind nicht unsympathisch, aber doch reichlich kaputt. Hat Monty wirklich die schlechtere Wahl
getroffen?
Der Film wirkt wie eine Odyssee durch die US-amerikanische Gesellschaft der Gegenwart. Er
bietet mehr Fragen als Antworten. Auch die zahlreichen US-Flaggen am Ende des Films bedeuten nicht, dass Lee den Patriotismus als Antwort auf die Probleme
des Landes akzeptieren würde. Es ist nur ein weiteres Stimmungsbild: Patriotismus hat nach dem 11.September eben Konjunktur. Montys Vater, ein
ehemaliger Feuerwehrmann, der mit einer großen US-Flagge an der Autoantenne spazieren fährt, fantasiert gleichzeitig, wie er seinen Sohn vor dem
immer größer werdenden US-Gefängnissystem retten kann. In dieser Fantasie wird der Patriotismus von Montys Vater gleich mehrfach
gebrochen. Einerseits beinhaltet sie eine Kritik am Gefängnissystem der USA, wo es mittlerweile den höchsten Anteil an Strafgefangenen an der
Gesamtbevölkerung weltweit gibt.
Die Zustände in dem Gefängnis, in dem Monty seine Strafe antreten soll, werden
auch an anderen Stellen des Films abschreckend geschildert. Andererseits beschwört die Fantasie den alten Mythos von der Erschließung der USA
durch unerschrockene Pioniere, von denen viele auf der Flucht vor staatlicher Verfolgung waren. Dabei werden die USA, lange Zeit ein Asyl für
Verfolgte, selber zum Verfolger. Allerdings wird das "freie Leben" im Westen als so spießig dargestellt, dass es schon wieder wie eine Parodie
auf den Pioniermythos wirkt.
So hinterlässt der Film das Publikum mit vielen zwiespältigen Eindrücken
und offenen Fragen und mit wenigen Antworten. Fast könnte man meinen, Lee hätte den berühmten Spruch des Subcomandante Marcos
"Fragend gehen wir" filmisch umgesetzt. Zur Überheblichkeit besteht für die BewohnerInnen des "Alten Europa" kein
Anlass, denn bei einer realistischen Betrachtung der Zustände hierzulande, hätten auch wir mehr Fragen als Antworten.
Noch ein Tipp: Trotz des nervigen inflationären Gebrauchs des Vierbuchstabenworts
"f…" ist es auf jeden Fall lohnenswert, sich den Film im Original (mit Untertiteln) anzugucken, wenn man der englischen Sprache
einigermaßen mächtig ist. Sonst entgeht einem nämlich einiges.
Andreas Bodden
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