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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2003, Seite 4

Die tägliche Gewalt

Kolumne von Jakob Moneta

Man müsse doch auch einmal fragen, in welchem Verhältnis die Gewalt bei Demonstrationen zu der Gewalt steht, die täglich durch die G8 ausgeübt wird über die Millionen Menschen, die täglich sterben, weil eine bestimmte Weltwirtschaftsordnung aufrecht erhalten wird. »Darüber redet keiner«, sagte Philipp Hersel vom bundesweiten Koordinierungskreis der globalisierungskritischen Bewegung Attac. Er beantwortete so die Frage eines Journalisten, ob Bilder von brennenden Barrikaden und zerbrochenen Schaufenstern die Attac-Botschaft zum G8- Gipfel in Evian seien.
»Wir fordern Verteilungsgerechtigkeit«, fügte Philipp Hersel hinzu: »Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer schneller, immer weiter. 1960 hatten die reichsten 20% der Länder 30 mal so viel wie die ärmsten 20%. 1990 hatten sie 60 mal so viel und bis 2000 ist daraus ein Verhältnis 1:90 geworden.«
In der Welt des Reichtums der zwölf meist begüterten Länder beträgt das jährliche Volkseinkommen je Einwohner zwischen 25120 Dollar in Deutschland und 47060 Dollar in Luxemburg. Von den zwölf ärmsten Ländern beträgt das jährliche Volkseinkommen je Einwohner in Rwanda 230 Dollar und in Äthiopien 100 Dollar.
Claus Leggewie hat am Beispiel der USA nachgewiesen, dass Superreichtum auch eine Gefahr für die Demokratie ist. Abgeordnetenmandate stehen in der Regel in den USA nur den Superreichen offen. Politische Elitepositionen sind gekauft, bevor in allgemeinen Wahlen eine letzte Selektion zwischen den reichsten (und TV-gerechtesten) Bewerbern vorgenommen wird. Vor allem Präsidentschaftswahlen sind Wettbewerbe zwischen Multimillionären, doch gilt ähnliches für Bewerbungen um hohe Richterämter in den Einzelstaaten. Durchschnittlich 287000 Dollar gaben bspw. Kandidaten für den Obersten Gerichtshof von Michigan 1994 für ihre Kampagnen aus, sechs Jahre später waren es bereits 1,3 Millionen Dollar.
Plutokratien tendieren überdies immer schon dazu, erblich zu werden. Dieser Verstoß gegen die herrschende Leistungsideologie, die meritocracy, ist nach dem letzten Boom besonders ausgeprägt. Der exklusive Club der Milliardäre vererbt nicht nur historisch einzigartige Vermögen, Immobilien und Luxusgüter, er überträgt auch Führungs- und Elitepositionen in quasidynastischer Weise. Dazu trägt bei, dass man sich mit Vermögen und Einfluss frühzeitig in das Bildungssystem einkaufen und Kinder und Enkel in den Spitzeneinrichtungen unterbringen kann.
In den USA gibt es zumindest auch Wissenschaftler, die sich nicht scheuen, den wahren Charakter der herrschenden Wirtschaftsordnung offen zu legen. Bei uns mäkeln Unternehmer und ihre Verteidiger in den Medien daran herum, dass die IG Metall in der Stahlindustrie Ostdeutschlands bis zum Jahr 2009 die Arbeitszeit auf 35 Stunden verringern will. »Wenn Deutschland wachsen will«, heißt es in einem Kommentar der FAZ, »dann darf nicht weniger, sondern muss wieder mehr gearbeitet werden.«
Die geeignete Antwort darauf gab ein Leserbrief an die Zeitung der IG Metall: »Nach ihren Vorschlägen zur Gesundung der Volkswirtschaft würde ich den Arbeitgebern oder dem Bundesarbeits- und Wirtschaftsministerium vorschlagen, dass wir Arbeitnehmer die Betriebe übernehmen, dann haben die Arbeitgeber keine Sorgen mehr.« So könnte auch Demokratie von der politischen Ebene auf die wirtschaftliche übertragen und ihre Aushöhlung durch Superreiche verhindert werden.

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