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Selten war das schleichende Gift der Ideologie der vermeintlichen Alternativlosigkeit so mächtig wie heute. Und selten
erwies es sich so offen als Lüge.
Es hatte schon etwas Kurioses, wie die SPD-Strategen ihre Radikalisierung des Klassenkampfs
von oben polittechnokratisch »Agenda 2010« genannt durchgeboxt haben. Mehrfach musste Kanzler Schröder mit seinem Rücktritt
drohen und trotzdem war das noch nicht genug. Er bot mit Erhard Eppler und Hans-Jochen Vogel angesehene Vertreter der sozialdemokratischen Vergangenheit
auf, die sich mit Verve für Schröder in die Bütt warfen. Eppler gab sogar freimütig zu, dass er die Agenda 2010 für in vielem
problematisch halte. Aber: Er sehe einfach keine Alternativen. Kunststück, wenn der, der in der SPD für Alternativen steht, Oskar Lafontaine, weder
zum Sonderparteitag, noch zum kurz zuvor veranstalteten Feierkongress »140 Jahre Sozialdemokratie« eingeladen wurde. Wäre er es geworden, er
hätte den versammelten Großkopfeten die Leviten gelesen. Anstatt immer weiter bei den Armen und Arbeitenden zu kürzen, bräuchte
man nur sämtliche Einkommensbezieher, also auch Selbstständige und Beamte, in die Finanzierung der Sozialsysteme einzubeziehen, dann
wäre man schon einen ordentlichen Schritt weiter. Progressive Steuertarife für alle Einkommen und zusätzliche Abschöpfung der
Reichen, bspw. durch die Wiedereinführung einer Vermögensteuer, würden weitere Entlastungen bringen von radikaler
Kürzung der Rüstungsetats und Arbeitszeitverkürzung mal ganz zu schweigen.
Da jedoch nicht sein kann, was unter neoliberaler Hegemonie nicht sein darf, glänzte
Lafontaine durch (erzwungene) Abwesenheit. Und das, was sich die SPD-Linke nennt, hatte nicht mal versucht, das Rederecht des ihren durchzusetzen. Die
SPD-Linke stellt keine Alternative zum Schröderkurs dar, auch dies machte die Diskussion vor, auf und nach dem Sonderparteitag deutlich. Alle
erklärten großspurig, dass es keinen Zweifel an der Notwendigkeit der sozialen Einschnitte gebe nur eben »gerecht« solle es zugehen. In
derselben Diskursfalle wie die ehemaligen, regierungsamtlichen Gegner des Irakkriegs argumentierten sie nicht gegen den Krieg, sondern nur gegen die brutale
»unzivilisierte« Form seiner Durchführung. Hat man jedoch einmal die Legitimität des in Frage stehenden Ansinnens akzeptiert dort die
vermeintliche Kriegsgefahr durch einen Dritte-Welt-Diktator und hier der vermeintliche Kollaps der Gesellschaft, weil die Arbeitskraft zu teuer sei , dann
ist die Frage der Tischmanieren eine nachrangige. Jedenfalls eine, für die keine wirkliche politische Infragestellung dessen, was zur Abstimmung steht,
sich lohnt.
Aus Angst vor einem politischen Kampf, der mit seinen Alternativkonzepten notfalls auch den
Wechsel des Führungspersonals fordert, hat die SPD-Linke schon einmal, 1999, ihre Galionsfigur allein im Regen stehen lassen. Aus der dadurch
bedingten Subordination unter die Imperative des Parteiapparats hat sie sich seitdem nicht lösen können. Die Mitgliederbefragung wäre eine
Möglichkeit gewesen, erneut in die breite politische Debatte mit den eigenen Mitgliedern zu kommen. Ein Sonderparteitag von delegierten
Funktionären war dagegen ein erstklassiges Begräbnis dieses Versuchs. Er erlaubte es Schröder, Müntefering, Scholz und Co., gekonnt
auf der Klaviatur jener opportunistischen Instinkte zu spielen, die politischen Funktionsträgern nun einmal eigen sind, wenn sie nichts zu verlieren haben
außer ihren Beruf.
Der Unterschied zwischen Lafontaine und den SPD-Linken ist wohl gerade dieser: Lafontaine
muss keine Rücksichten mehr nehmen und hat ein gesichertes Einkommen auch jenseits der Parteipolitik. Ein Ottmar Schreiner und eine Andrea Nahles
sähen in solcher Lage ziemlich alt, sprich arm aus. Dürfen letztere sich nicht allzu weit aus dem Fenster hängen, um denkbare
Abspaltungsprozesse zu verhindern, kann der erste verbal vom Leder ziehen unter der Bedingung, dass er keine eigenen parteipolitischen Wege geht.
Dass die im bürgerlichen Parlamentsbetrieb sich tummelnden Parteien das gilt
von der CDU bis zur PDS durchweg nicht in der Lage sind, alternative politische Strömungen/Linien innerhalb ihrer Organisation zu dulden und
eine Debatten- und Streitkultur zu entwickeln, die einen solchen demokratischen Willensbildungsprozess befördern, wirft die klassische Frage nach den
Integrationsmechanismen bürgerlicher Politik auf.
Schon vor 35 Jahren schrieb bspw. ein Rudi Dutschke: »Die Parteien lassen sich nur noch als
Instrumente der Exekutive benutzen. Wie steht es um die innerparteiliche Demokratie bei CDU und SPD? Wo ist da noch Selbsttätigkeit der
Parteimitglieder? Worin drückt sich die aus? Was geschieht auf den Parteitagen? … keine Selbsttätigkeit von unten, nur noch Manipulation
von oben; Führer, die keinen Dialog mit ihrer Basis führen; verselbständigte Führungselite, die es gar nicht mehr will, dass eine
Diskussion stattfindet weil nämlich die praktisch-kritische Diskussion Ausgangspunkt der Infragestellung der bürokratischen Institutionen
wäre.«
Mit der zunehmenden Durchsetzung des Neoliberalismus hat dieser Befund eine neue Note
bekommen. Während der letzten 20 Jahre haben sich die bürgerlichen Medien weitgehend verselbstständigt und »ökonomisiert« und
die bürgerlichen Parteien »professionalisiert«. D.h. sie haben sich zu Wahlmaschinen transformiert, die finanziell abhängig sind nicht von ihren
Mitgliedern, sondern vom Staatssäckel und den Spenden aus »der Wirtschaft«. Eine Zeitlang ist dieser Prozess überlagert gewesen von neuen
Möglichkeiten politischer Einflussnahme über »zivilgesellschaftlicher« Bewegungen. Doch mit deren Versanden setzen sich die
Formierungsprozesse technokratischer Politik nur um so schneller durch.
Das Gerede von der vermeintlichen Alternativlosigkeit hat durchaus einen materiellen Kern.
Dass die Weltwirtschaftskrise der letzten 30 Jahre und die politischen und ideologischen Offensiven der Herrschenden den existenziellen Druck auf den Alltag
der Bevölkerungsmehrheit so stark vermehrt und die Kräfte und Ideologen der potentiellen Opposition so stark in die Defensive getrieben haben, hat
nicht zur Folge, dass es keine alternativen Konzepte mehr gibt. Sie gelten bloss zunehmend als »unrealistisch«, »sektiererisch«, »nicht finanzierbar«.
Gerade dies ist jedoch pure Ideologie. Das Bruttsozialprodukt Deutschlands wächst von
Jahr zu Jahr. Und wenn die öffentlichen Kassen leer sind, so deswegen, weil die Politik den Reichen und Kapitalisten Jahr für Jahr mehr Steuern
erlässt und das Geld statt in die Sozialsysteme in Rüstungs- und andere Großtechnologieprojekte steckt.
Jede denkbare Alternative zu solcher Politik ist mehr denn je genötigt, die Logik des
gesamten Systems in Frage zu stellen und mit ihm auch jene bürokratischen Institutionen, von denen bereits Dutschke sprach. So erfreulich es deswegen
auch ist, wenn Deutschlands Linksreformisten bspw. um die Wochenzeitung Freitag bereits über die Gründung einer neuen linken
Partei nachdenken, auf politisch gescheiterte Existenzen heißen sie nun Lafontaine, Ströbele oder Gysi sollten sie dabei keine
Hoffnungen setzen. Stattdessen sollten sie sich Rechenschaft ablegen über die Organisationsprinzipen und politischen Zielvorstellungen neuer
Parteiformen. Denn keine politisch eingreifende Bewegung wird neue Wege gehen, wenn sie nicht von Beginn an und in erster Linie eine soziale Bewegung ist.
Sicher, Bewegung ist nicht alles. Aber ohne Bewegung ist alles nichts!
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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