SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2003, Seite 9

Gysi und die Linksradikalen

von CHRISTOPH JÜNKE

Acht Millionen Menschen haben am 15.Februar weltweit gegen den Irakkrieg demonstriert, davon allein eine halbe Million in Berlin. Selten in der Geschichte wurde ein derartiger Krieg so umfassend abgelehnt und trotzdem mit solcher Arroganz erfolgreich geführt. Deutschlands erklärter Antikriegspartei PDS hat diese Konjunktur nichts genützt — sie ist aus der öffentlichen Debatte schlicht entschwunden.
Die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder hat einen sozialen Krieg gegen Arme, Arbeitslose und Lohnarbeitende erklärt, der Vergleiche zu den Hochzeiten der CDU/FDP-Regierung geradezu aufdrängt. Doch der deutschen »Partei des demokratischen Sozialismus« hat diese dramatische Zuspitzung der innenpolitischen Lage nichts genützt — ihre jahrelang erarbeiteten Alternativideen spielen in der öffentlichen Diskussion keinerlei Rolle.
Stattdessen ist die PDS von einer offenen Führungskrise erfasst worden. Parteichefin Zimmer hat den Bundesgeschäftsführer Hiksch seines Amtes enthoben und ihren eigenen Rücktritt angekündigt. Ein Sonderparteitag soll personalpolitische Klärung bringen. In dieser zugespitzten Situation hat Gregor Gysi der linken Wochenzeitung Freitag (vom 9.Mai) ein ausführliches Interview gewährt, das Beachtung verdient.
»Wenn alternative Modelle nicht in die Öffentlichkeit getragen werden, dann verliert eine linke Partei ihren Gebrauchswert. Das ist der Punkt. Die Leute wissen nicht, wozu sie die PDS benötigen. Stattdessen finden im Vorstand Machtspiele und ideologische Abgrenzungen statt.« So weit so gut. Aber wie erklärt er sich dies? Schuld daran seien, so seine einzige Erklärung, die Westlinken in der Partei, die nicht nur »aus engen, eher sektenhaft strukturierten linken Zirkeln« gekommen seien, sondern auch »die PDS in diese Zirkel, aber nicht in die Gesellschaft geführt [haben]«. Wen meint er damit?
Sahra Wagenknecht und die Kommunistische Plattform offensichtlich nicht. Die sind ebenso originäre Ostlinke wie Ekkehard Lieberam und große Teile des Geraer Dialogs. An der Loyalität solcher westlinken »Sektierer« wie Jürgen Reents, Joachim Bischoff, der BWK-Genossen, des Geschäftsführers des Freitag oder seiner eigenen Frau braucht Gysi auch nicht zu zweifeln. Wer bleibt dann noch? Ulla Jelpke könnte er meinen. Die jedoch hat mit ihrer Arbeit zum Renommee der PDS im Westen erheblich beigetragen, ohne dabei aufzubegehren. Nun ist sie Redakteurin der jungen Welt. Winfried Wolf könnte er meinen. Der war bissiger, hat aber den Kampf um die Partei, so scheint‘s, bereits aufgegeben. Da bleiben also nicht mehr viel. Vor allem: Für alle diese westlinken »Sektierer« gilt, dass sie die PDS eben nicht in ihre Ex-Zirkel hineingezogen, sondern umgekehrt, dass sie sich selbst aus diesen herausgezogen haben.
Die einzigen Namen, die Gysi dann auch nennt, sind ausgerechnet Diether Dehm und Uwe Hiksch. Die kommen allerdings nicht aus den »Sektiererzirkeln«, sondern aus jener Massenpartei SPD, um die Gysi und die Seinen seit so vielen Jahren so heftig gebuhlt haben. Muss Gysi vielleicht die ohnmächtigen Linksradikalen treten, um zu verschleiern, dass er nun die Früchte einer SPD-Abwerbungsstrategie erntet, die er selbst gesät hat?
Entscheidender als irgendwelche Bürointrigen ist für den Glaubwürdigkeitsverlust der PDS, dass auch sie sich mittlerweile für neoliberale Kahlschlagpolitik benutzen lässt. Es waren vor allem die Berliner Regierungspolitik von »Rot-Rot« und Gysis eigene Rolle als Berliner Wirtschaftssenator, die den vorherrschenden Eindruck hinterlassen haben, dass man nicht mehr weiß, wozu man die PDS eigentlich braucht, wenn sie denselben Scheiß macht wie die große Koalition des Neoliberalismus. Das einzige, was Gysi hierzu zu sagen hat, ist ausgerechnet, dass man die Bereitschaft der Berliner SPD, die PDS als Juniorpartner zu dulden, doch »honorieren und auch ein bisschen Dankbarkeit zeigen muss«.
Gysis Politikverständnis hat offensichtlich jeden emanzipativen Bezugsrahmen verloren. Es geht nicht mehr um die reale Verbesserung der sozialen und politischen Lage der Benachteiligten, Ausgebeuteten und Unterdrückten und die Frage, ob eine Regierungsbeteiligung diesem Ziel eher nützt oder eher schadet. Es geht einzig um die Frage, ob »die Akzeptanz der PDS in der Gesellschaft über eine Regierungsbeteiligung in Berlin zu erhöhen« ist, »unabhängig davon, ob Umfragewerte möglicherweise zunächst sinken«.
Ein schöner Sozialist, der von »der« Gesellschaft spricht, wenn er die herrschende Klasse meint. Ein schöner Sozialist, der gerne die Zivilgesellschaft bemüht, sich Parteipolitik aber nur noch als eine die Krise verwaltende Regierungspolitik vorstellen kann (denn sonst bräuchte die PDS »zur nächsten Wahl überhaupt nicht mehr antreten«). Ein schöner Sozialist schließlich, der mittels Machtspielen und ideologischen Abgrenzungen (ausgerechnet entlang der Scheidelinie Ost—West) nach rechts oben buckelt und nach links unten tritt.

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