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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2003, Seite 10

Arbeitslosengeld II

Vom Managergehalt in die Sozialhilfe

Wer künftig nach zwölf Monaten seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld verliert, stürzt auf das Niveau der Sozialhilfe.
Am 27.März 2002 setzte die Bundesregierung eine Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen ein. Sie sollte »Lösungsvorschläge zu den drängenden Problemen des kommunalen Finanzsystems« erarbeiten. Diese haben nicht allein mit den konjunkturbedingten Steuerausfällen zu tun, sondern auch damit, dass den Kommunen wichtige Steuern wie die Gewerbesteuer genommen bzw. stark reduziert wurden, die sozialen Belastungen aber steigen.
Die geplante Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bedeutet eine weitere Abwälzung der sozialen Lasten vom Bund auf die Gemeinden. Das Thema stand deshalb im Mittelpunkt der Kommissionsarbeit. Die damit befasste Arbeitsgruppe der Kommission legte am 17.April dieses Jahres ihren Abschlussbericht vor — und der spricht Bände darüber, was auf die Betroffenen zukommt.
Nach bewährter Hartz-Methode setzte sich die Arbeitsgruppe aus Vertretern der kommunalen Spitzenverbände, der Bundesanstalt für Arbeit, der Länder, der Wirtschaft und Gewerkschaften sowie verschiedener Bundesministerien zusammen. Anfänglich gingen die Arbeitsvorschläge in sehr unterschiedliche Richtungen. Nach der Veröffentlichung des Berichts der Hartz-Kommission im August 2002 gelang es jedoch, ein gemeinsames Arbeitsziel zu formulieren (das vom entsprechenden Hartz-Modul vorgegeben war): nicht die Harmonisierung (Zusammenführung) der beiden Systeme, sondern eine Zusammenlegung, die konkret bedeutet, dass für das ALGII im Großen und Ganzen die Regeln der Sozialhilfe gelten.* Begründet wurde dies damit, die angestrebte enge Zusammenarbeit zwischen Arbeitsämtern und Sozialämtern sei nur dann zu erreichen, wenn nicht zwei unterschiedliche Leistungssysteme nebeneinander für ähnliche Zielgruppen bestehen.
Die Kommission arbeitet auf derselben Grundvoraussetzung, auf der auch die Hartz- Kommission gearbeitet hat: Erwerbslose sind hilfebedürftig, man muss sie in den Arsch treten, damit sie wieder auf dem 1.Arbeitsmarkt unterkommen und nicht in der sozialen Hängematte liegen bleiben. Es ist nicht ersichtlich, dass die Gewerkschaften dieser Grundannahme grundsätzlich entgegen getreten wären. Die Kommission vertritt eine Zielsetzung, die der der Arbeitsgeberverbände und der Politik entspricht: sie will die sog. »passiven« Transferleistungen zugunsten der Konzentration der Ressourcen auf »aktivierende Leistungen« senken, die Betreffenden also möglichst schnell wieder in Arbeit bringen. Insbesondere die unbegrenzte Dauer des Bezugs der Arbeitslosenhilfe ist den Arbeitgeberverbänden seit langem ein Dorn im Auge.

Wer bekommt ALGII und wieviel?

Das ALGII ist gedacht für Bezieher von Arbeitslosenhilfe und erwerbsfähige Sozialhilfebeziehende. Daneben bleibt die Sozialhilfe für nicht erwerbsfähige Sozialhilfebeziehende erhalten; sie wird wahrscheinlich Sozialgeld genannt werden. Ob die Höhe des Sozialgelds, ihr Auszahlungsmodus und die Anspruchsvoraussetzungen genauso geregelt sein werden wie derzeit bei der Sozialhilfe, steht allerdings noch auf einem anderen Blatt.
Derzeit erhalten 1,3 Millionen Menschen Arbeitslosenhilfe; zwischen 0,9 und 1,3 Millionen Sozialhilfebezieher gelten als erwerbsfähig — je nachdem, ob man nur ihre physische Erwerbsfähigkeit berücksichtigt oder auch die Kriterien Zumutbarkeit und Verfügbarkeit. Insgesamt sind das 2,2 bis 2,6 Millionen Menschen. Auch die tatsächliche Dauer des Leistungsbezugs ist annähernd gleich: nämlich durchschnittlich 28 Monaten bei der Arbeitslosenhilfe und 26 Monaten bei der Sozialhilfe. Für die Arbeitslosenhilfe werden 16,92 Mrd. Euro ausgegeben, für die Sozialhilfe 11,7 Mrd. Euro. Im gemeinsamen Durchschnitt erhält somit jeder Leistungsbeziehende je Monat ganze 320 Euro!
Die Arbeitsgruppe der Kommission schlägt vor, das ALGII Menschen zu gewähren, die erwerbsfähig sind, aber in einer Notlage, aus der sie aus eigener Kraft nicht herauskommen.
♦  Als erwerbsfähig sind Personen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren definiert, die nicht voll erwerbsgemindert sind. Dazu gehören alle, die aktuell Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld beziehen.
♦  Wie in der Sozialhilfe wird anderes Einkommen (z.B. der Partner) angerechnet; vom Nettoerwerbseinkommen eines erwerbsfähigen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft gibt es einen Freibetrag von 25% des Regelsatzes des Haushaltsvorstands zzgl. 15% (der Freibetrag kann höchstens 50% betragen).
♦  Das Vermögen (auch der Partner) wird angerechnet wie in der Arbeitslosenhilfe. Hier gibt es einen Freibetrag von 200 Euro je vollendetes Lebensjahr, maximal aber 13000 Euro.
♦  Hinsichtlich der Leistungshöhe gab es in der Arbeitsgruppe keine Übereinstimmung; nur dahingehend, dass es wie in der Sozialhilfe steuerfrei das soziokulturelle Existenzminimum abdecken soll. Die Bemessung der »Grundleistung« orientiert sich an der Sozialhilfe und soll nicht angehoben werden. Darauf wird eine sog. »Referenzleistung« gepackt, die in etwa der Hilfe in besonderen Lebenslagen entspricht. Dieser Betrag soll aber pauschaliert sein, d.h. nicht mehr an den Bedarf im Einzelfall angepasst, wie dies vom Grundsatz her für die heutige Sozialhilfe noch gilt (obwohl in der Praxis schon erheblich durchlöchert).
♦  Hinsichtlich der Höhe des ALGII wurden der Arbeitsgruppe vier Vorschläge unterbreitet. Das vom BMWA favorisierte Modell ist das sog. Stufenmodell. Es sieht zusätzlich zur Grundleistung in Höhe der Sozialhilfe einen Zuschlag für solche erwerbsfähigen Personen vor, die aus dem Bezug von Arbeitslosengeld kommen. Der Zuschlag erhöht die Leistung um zwei Drittel der Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld und der Sozialhilfe; höchstens aber 160 Euro (zzgl. 60 Euro für jedes Kind). Der Zuschlag ist befristet; er sinkt nach einem Jahr auf die Hälfte und entfällt nach zwei Jahren ganz.
♦  Die Beziehenden von ALGII sollen in die gesetzlichen Krankenversicherung und in die Pflegeversicherung einzahlen; ihre Rentenversicherung ist in der Arbeitsgruppe umstritten geblieben.
♦  Bezieher von ALG II werden mit Leistungskürzungen bestraft, wenn sie Eingliederungsmaßnahmen ablehnen (z.B. die Teilnahme an Qualifikationsmaßnahmen), wenn sie zumutbare Arbeit ablehnen oder nicht ausreichend Eigenbemühungen nachweisen: dann soll der Regelsatz (die Grundleistung) um 10% (die Unternehmer fordern 25%) gesenkt werden; es kann auch der befristete Zuschlag entfallen. Die Verhängung dieser Sanktionen liegt im Wesentlichen in der Willkür des jeweiligen Betreuers beim Arbeitsamt/Sozialamt (künftig in »Jobcenter« zusammengefasst). Jugendlichen unter 25 wird in den genannten Fällen die Leistung ganz gestrichen.

Lohnt sich das?

Das Modell impliziert die Anerkennung, dass ein Arbeitsloser, dessen Arbeitslosengeld ausläuft, auf einmal brutal ganze Einkommensklassen nach unten fällt, nämlich unmittelbar auf das Sozialhilfeniveau. Offenkundig befürchtet die Politik zuviel sozialen Sprengstoff, weshalb sie diesen zweijährigen Puffer einräumen will. Unfreiwillig ist es aber ein Eingeständnis, dass hier ein Krieg gegen die Arbeitslosen geführt wird.
Die Unternehmer wollen das ALGII unterhalb des Sozialhilfeniveaus absenken, dafür großzügigere Einkommensfreibeträge zulassen.
Die Gewerkschaften haben ein eigenes Modell vorgelegt, das die Grundstruktur des ALGII akzeptiert (also ebenfalls an der Sozialhilfe ansetzt), aber einen großzügigeren Vermögensfreibetrag fordert, damit auch diese Gruppe Geld für die Alterssicherung beiseite legen kann. Ihr Modell ist aufwandsneutral, d.h. die Ausgaben für das ALGII zuzüglich der Beiträge zur Rentenversicherung sind genauso hoch wie die derzeitigen Ausgaben für Arbeitslosenhilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt.
Das Gewerkschaftsmodell ist aufgebaut wie das Stufenmodell; auch hier sinkt der Zuschlag und verschwindet nach zwei Jahren ganz. Die Gewerkschaften fordern aber einen großzügigeren Freibetrag für Erwerbseinkommen; sie argumentieren vor allem damit, dass sonst überwiegend Frauen den Leistungsanspruch verlieren. Die Gewerkschaften fordern auch, die Zumutbarkeit nach dem SGBIII zu richten und nicht nach dem BSHG.
Die Einkommensverluste, mit denen die Betroffenen zu rechnen haben, beziffern sich nach Rechnungen der Arbeitsgruppe auf 2,6 Mrd. Euro (im Falle des Stufenmodells). Die realen Einsparungen, die alle betroffenen Institutionen zusammengenommen mit der Streichung der Arbeitslosenhilfe und der Einführung des ALGII erzielen können, belaufen sich nach Angaben einer Referentin aus dem BMWA gegenüber dem Runden Tisch der Erwerbslosen am 13.Mai auf 1 Milliarde Euro! Was ist 1 Mrd. Euro gemessen am Gesamthaushalt von Eichel — und welche Zerstörungen bedeutet demgegenüber die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe für Millionen von Menschen! Der nackte Sparzwang kann es jedenfalls nicht sein, der Politik und Wirtschaft zu dieser Kriegserklärung anhält.

Angela Klein

*Die Arbeitslosenhilfe misst sich am ausfallenden Arbeitsentgelt (also am Lohn, den man vorher bekommen hat); die Sozialhilfe soll den Lebensunterhalt in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums sichern.



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