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Wer künftig nach zwölf Monaten seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld verliert, stürzt auf das Niveau der
Sozialhilfe.
Am 27.März 2002 setzte die Bundesregierung eine Kommission zur Reform der
Gemeindefinanzen ein. Sie sollte »Lösungsvorschläge zu den drängenden Problemen des kommunalen Finanzsystems«
erarbeiten. Diese haben nicht allein mit den konjunkturbedingten Steuerausfällen zu tun, sondern auch damit, dass den Kommunen wichtige Steuern wie
die Gewerbesteuer genommen bzw. stark reduziert wurden, die sozialen Belastungen aber steigen.
Die geplante Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bedeutet eine weitere Abwälzung der
sozialen Lasten vom Bund auf die Gemeinden. Das Thema stand deshalb im Mittelpunkt der Kommissionsarbeit. Die damit befasste Arbeitsgruppe der
Kommission legte am 17.April dieses Jahres ihren Abschlussbericht vor und der spricht Bände darüber, was auf die Betroffenen zukommt.
Nach bewährter Hartz-Methode setzte sich die Arbeitsgruppe aus Vertretern der
kommunalen Spitzenverbände, der Bundesanstalt für Arbeit, der Länder, der Wirtschaft und Gewerkschaften sowie verschiedener
Bundesministerien zusammen. Anfänglich gingen die Arbeitsvorschläge in sehr unterschiedliche Richtungen. Nach der Veröffentlichung des
Berichts der Hartz-Kommission im August 2002 gelang es jedoch, ein gemeinsames Arbeitsziel zu formulieren (das vom entsprechenden Hartz-Modul
vorgegeben war): nicht die Harmonisierung (Zusammenführung) der beiden Systeme, sondern eine Zusammenlegung, die konkret bedeutet, dass für
das ALGII im Großen und Ganzen die Regeln der Sozialhilfe gelten.* Begründet wurde dies damit, die angestrebte enge Zusammenarbeit zwischen
Arbeitsämtern und Sozialämtern sei nur dann zu erreichen, wenn nicht zwei unterschiedliche Leistungssysteme nebeneinander für
ähnliche Zielgruppen bestehen.
Die Kommission arbeitet auf derselben Grundvoraussetzung, auf der auch die Hartz-
Kommission gearbeitet hat: Erwerbslose sind hilfebedürftig, man muss sie in den Arsch treten, damit sie wieder auf dem 1.Arbeitsmarkt unterkommen und
nicht in der sozialen Hängematte liegen bleiben. Es ist nicht ersichtlich, dass die Gewerkschaften dieser Grundannahme grundsätzlich entgegen
getreten wären. Die Kommission vertritt eine Zielsetzung, die der der Arbeitsgeberverbände und der Politik entspricht: sie will die sog.
»passiven« Transferleistungen zugunsten der Konzentration der Ressourcen auf »aktivierende Leistungen« senken, die Betreffenden
also möglichst schnell wieder in Arbeit bringen. Insbesondere die unbegrenzte Dauer des Bezugs der Arbeitslosenhilfe ist den Arbeitgeberverbänden
seit langem ein Dorn im Auge.
Das ALGII ist gedacht für Bezieher von Arbeitslosenhilfe und erwerbsfähige Sozialhilfebeziehende. Daneben bleibt die Sozialhilfe für
nicht erwerbsfähige Sozialhilfebeziehende erhalten; sie wird wahrscheinlich Sozialgeld genannt werden. Ob die Höhe des Sozialgelds, ihr
Auszahlungsmodus und die Anspruchsvoraussetzungen genauso geregelt sein werden wie derzeit bei der Sozialhilfe, steht allerdings noch auf einem anderen
Blatt.
Derzeit erhalten 1,3 Millionen Menschen Arbeitslosenhilfe; zwischen 0,9 und 1,3 Millionen
Sozialhilfebezieher gelten als erwerbsfähig je nachdem, ob man nur ihre physische Erwerbsfähigkeit berücksichtigt oder auch die
Kriterien Zumutbarkeit und Verfügbarkeit. Insgesamt sind das 2,2 bis 2,6 Millionen Menschen. Auch die tatsächliche Dauer des Leistungsbezugs ist
annähernd gleich: nämlich durchschnittlich 28 Monaten bei der Arbeitslosenhilfe und 26 Monaten bei der Sozialhilfe. Für die
Arbeitslosenhilfe werden 16,92 Mrd. Euro ausgegeben, für die Sozialhilfe 11,7 Mrd. Euro. Im gemeinsamen Durchschnitt erhält somit jeder
Leistungsbeziehende je Monat ganze 320 Euro!
Die Arbeitsgruppe der Kommission schlägt vor, das ALGII Menschen zu
gewähren, die erwerbsfähig sind, aber in einer Notlage, aus der sie aus eigener Kraft nicht herauskommen.
♦ Als erwerbsfähig sind Personen im Alter zwischen 15 und 65
Jahren definiert, die nicht voll erwerbsgemindert sind. Dazu gehören alle, die aktuell Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld beziehen.
♦ Wie in der Sozialhilfe wird anderes Einkommen (z.B. der Partner)
angerechnet; vom Nettoerwerbseinkommen eines erwerbsfähigen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft gibt es einen Freibetrag von 25% des Regelsatzes des
Haushaltsvorstands zzgl. 15% (der Freibetrag kann höchstens 50% betragen).
♦ Das Vermögen (auch der Partner) wird angerechnet wie in der
Arbeitslosenhilfe. Hier gibt es einen Freibetrag von 200 Euro je vollendetes Lebensjahr, maximal aber 13000 Euro.
♦ Hinsichtlich der Leistungshöhe gab es in der Arbeitsgruppe keine
Übereinstimmung; nur dahingehend, dass es wie in der Sozialhilfe steuerfrei das soziokulturelle Existenzminimum abdecken soll. Die Bemessung der
»Grundleistung« orientiert sich an der Sozialhilfe und soll nicht angehoben werden. Darauf wird eine sog. »Referenzleistung« gepackt,
die in etwa der Hilfe in besonderen Lebenslagen entspricht. Dieser Betrag soll aber pauschaliert sein, d.h. nicht mehr an den Bedarf im Einzelfall angepasst, wie
dies vom Grundsatz her für die heutige Sozialhilfe noch gilt (obwohl in der Praxis schon erheblich durchlöchert).
♦ Hinsichtlich der Höhe des ALGII wurden der Arbeitsgruppe vier
Vorschläge unterbreitet. Das vom BMWA favorisierte Modell ist das sog. Stufenmodell. Es sieht zusätzlich zur Grundleistung in Höhe der
Sozialhilfe einen Zuschlag für solche erwerbsfähigen Personen vor, die aus dem Bezug von Arbeitslosengeld kommen. Der Zuschlag erhöht
die Leistung um zwei Drittel der Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld und der Sozialhilfe; höchstens aber 160 Euro (zzgl. 60 Euro für jedes
Kind). Der Zuschlag ist befristet; er sinkt nach einem Jahr auf die Hälfte und entfällt nach zwei Jahren ganz.
♦ Die Beziehenden von ALGII sollen in die gesetzlichen
Krankenversicherung und in die Pflegeversicherung einzahlen; ihre Rentenversicherung ist in der Arbeitsgruppe umstritten geblieben.
♦ Bezieher von ALG II werden mit Leistungskürzungen bestraft,
wenn sie Eingliederungsmaßnahmen ablehnen (z.B. die Teilnahme an Qualifikationsmaßnahmen), wenn sie zumutbare Arbeit ablehnen oder nicht
ausreichend Eigenbemühungen nachweisen: dann soll der Regelsatz (die Grundleistung) um 10% (die Unternehmer fordern 25%) gesenkt werden; es kann
auch der befristete Zuschlag entfallen. Die Verhängung dieser Sanktionen liegt im Wesentlichen in der Willkür des jeweiligen Betreuers beim
Arbeitsamt/Sozialamt (künftig in »Jobcenter« zusammengefasst). Jugendlichen unter 25 wird in den genannten Fällen die Leistung
ganz gestrichen.
Das Modell impliziert die Anerkennung, dass ein Arbeitsloser, dessen Arbeitslosengeld ausläuft, auf einmal brutal ganze Einkommensklassen nach
unten fällt, nämlich unmittelbar auf das Sozialhilfeniveau. Offenkundig befürchtet die Politik zuviel sozialen Sprengstoff, weshalb sie diesen
zweijährigen Puffer einräumen will. Unfreiwillig ist es aber ein Eingeständnis, dass hier ein Krieg gegen die Arbeitslosen geführt wird.
Die Unternehmer wollen das ALGII unterhalb des Sozialhilfeniveaus absenken, dafür
großzügigere Einkommensfreibeträge zulassen.
Die Gewerkschaften haben ein eigenes Modell vorgelegt, das die Grundstruktur des ALGII
akzeptiert (also ebenfalls an der Sozialhilfe ansetzt), aber einen großzügigeren Vermögensfreibetrag fordert, damit auch diese Gruppe Geld
für die Alterssicherung beiseite legen kann. Ihr Modell ist aufwandsneutral, d.h. die Ausgaben für das ALGII zuzüglich der Beiträge zur
Rentenversicherung sind genauso hoch wie die derzeitigen Ausgaben für Arbeitslosenhilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt.
Das Gewerkschaftsmodell ist aufgebaut wie das Stufenmodell; auch hier sinkt der Zuschlag
und verschwindet nach zwei Jahren ganz. Die Gewerkschaften fordern aber einen großzügigeren Freibetrag für Erwerbseinkommen; sie
argumentieren vor allem damit, dass sonst überwiegend Frauen den Leistungsanspruch verlieren. Die Gewerkschaften fordern auch, die Zumutbarkeit nach
dem SGBIII zu richten und nicht nach dem BSHG.
Die Einkommensverluste, mit denen die Betroffenen zu rechnen haben, beziffern sich nach
Rechnungen der Arbeitsgruppe auf 2,6 Mrd. Euro (im Falle des Stufenmodells). Die realen Einsparungen, die alle betroffenen Institutionen zusammengenommen
mit der Streichung der Arbeitslosenhilfe und der Einführung des ALGII erzielen können, belaufen sich nach Angaben einer Referentin aus dem
BMWA gegenüber dem Runden Tisch der Erwerbslosen am 13.Mai auf 1 Milliarde Euro! Was ist 1 Mrd. Euro gemessen am Gesamthaushalt von Eichel
und welche Zerstörungen bedeutet demgegenüber die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe für Millionen von Menschen! Der nackte
Sparzwang kann es jedenfalls nicht sein, der Politik und Wirtschaft zu dieser Kriegserklärung anhält.
Angela Klein
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