SoZ Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2003, Seite 10

Auch die Sozialhilfe soll weg

Interview mit Erika Biehn

Erika Biehn ist Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAGSHI).

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe wird auch Auswirkungen auf die Sozialhilfe haben. Was kannst du darüber sagen?

Erika Biehn: Nach der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe droht die Abschaffung der Sozialhilfe in ihrer heutigen Form. Wenn erst einmal alle Erwerbsfähigen ohne Anspruch auf ArbeitslosengeldI in der neue Leistung ArbeitslosengeldII untergebracht sind, verbleibt nur noch eine relativ kleine Gruppe von Leistungsbeziehern in der Sozialhilfe. Diese Menschen sind faktisch von der Definition her dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, erfüllen aber gleichzeitig nicht die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung: Sie sind zwar erwerbsunfähig, doch es fehlt ihnen das Merkmal »dauerhaft erwerbsunfähig«, um Grundsicherungsleistungen erhalten zu können. Es ist zu befürchten, dass dieses Problem im Rahmen der 2004 anstehenden Sozialhilfereform eher nebensächlich behandelt und beiläufig durch eine halbherzige Regelung vom Tisch gewischt wird.
Harald Schartau, der Vorsitzende des mächtigen SPD-Landesverbands NRW, plädiert offen für die Abschaffung der Sozialhilfe. Die Abschaffung der Sozialhilfe träfe eine Vielzahl von Hilfebedürftigen, die heute Anspruch auf HLU (Hilfe zum Lebensunterhalt), ergänzende Leistungen oder Mehrbedarfe haben, mit besonderer Härte. Zu dieser großen Personengruppe zählen: Bezieher von Grundsicherung und von Lohnersatzleistungen, Niedriglohnjobber, Alleinerziehende, Kinder, Rentnerinnen und Rentner, Kranke und Menschen mit besonderem Betreuungsbedarf, Obdachlose und Menschen, die durch Sperrzeiten aus dem Arbeitslosengeldbezug herausgefallen sind. Wer die Lage der Betroffenen kennt und die Unzulänglichkeit der vorgelagerten Systeme, Lebensrisiken und -umständen adäquat zu begegnen, der weiß, dass die Sozialhilfe heute unverzichtbar geworden ist.

Steht eine direkte Absenkung des Regelsatzes ins Haus?

Die CDU/CSU mit ihrer Mehrheit im Bundesrat fordert bereits die Herabsetzung der Sozialhilfe für Erwerbsfähige um 30%. Sowohl der Vorschlag von Harald Schartau als auch der der CDU haben das gleiche Ziel im Auge: Die Zerschlagung des untersten Netzes sozialer Sicherung, das als nachrangige Leistung die Sicherung des Existenzminimums und ein menschenwürdiges Leben in unserer Gesellschaft garantieren soll.

Was bedeutet Pauschalierung in dem Zusammenhang und wie wirkt sie sich aus?

Die BAG-SHI lehnt eine Pauschalierung der einmaligen Leistungen nach dem BSHG (Hilfe zum Lebensunterhalt) ab, weil festgestellt wurde, dass die Kommunen damit eine Absenkung des Niveaus verbinden bzw. verbunden haben, das heißt, dass die Menschen weniger Geld für mehr Ausgaben erhalten. [Pauschalierung heißt, dass ein pauschaler Geldbetrag unabhängig von einem konkreten Bedarf gezahlt wird; also bspw. ein neuer Wintermantel beim Sozialamt nicht mehr beantragt werden kann.]
Alle Kommunen sowie der Bundesgesetzgeber, praktisch alle Befürworter der Pauschalierung, reden davon, dass mit der Pauschalierung die Selbsthilfekräfte entwickelt bzw. gestärkt werden sollen. Aus der Praxis heraus kann man nur feststellen, dass mit dem Ausdruck der »Stärkung der Selbstverantwortung« in der Regel eine Überwälzung des Risikos der Bedarfsdeckung trotz nicht bedarfsdeckender Sozialhilfe auf die Hilfebezieher gemeint ist. Das heißt hier: »Wer nicht mit der Pauschale zurecht kommt, hat selber Schuld oder hat eben Pech gehabt.« Damit wird der Bedarfsdeckungsgrundsatz durch das »Auskommen-müssen- Prinzip« ersetzt. Wenn man berücksichtigt, dass vor allem im Bereich der Einmaligen Leistungen viele Hilfeberechtigte ihre Ansprüche z.B. aus Unwissenheit nicht wahrnahmen (»verschämt Arme«), dann bedeutet eine pauschalierte Auszahlung für diejenigen, die bisher erhalten haben, was ihnen nach dem Gesetz zusteht (»unverschämte« Arme), eine rechtswidrige Kürzung.
In der Magistratsvorlage zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel heißt es sehr klar: »Die zugrunde liegenden Beihilfebeträge wurden gegenüber den bisherigen einmaligen Beihilfen für Bekleidung erheblich abgesenkt.«
Eine flächendeckende Pauschalierung der Unterkunftskosten (Miete) auf niedrigem Niveau — dies ist nach den bisherigen Erfahrungen zu befürchten — hätte katastrophale Folgen. Die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit hätte die soziale Entwurzelung Hunderttausender und die Ghettoisierung ganzer Stadtteile zur Folge. In dieser Entwicklung steckt ein gefährlicher gesellschaftlicher Sprengsatz.


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