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Am 3.April fand nach Angaben der UN-Beobachtermission (MONUC) im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo (DRK)
ein Massaker statt, dem rund tausend Menschen zum Opfer fielen. Diese Zahl wurde zwar später nach unten revidiert, ist aber durch weitere Massaker
inzwischen längst wieder erreicht.
Das Massaker vom 3.April war das bis dahin größte in einem vordergründig
ethnischen Konflikt zwischen Lendu und Hema, dessen aktuelle Phase 1999 begonnen hatte. Seine Wurzeln aber reichen weit zurück.
Die Auseinandersetzungen in der Provinz Ituri haben nach Einschätzung von
Hilfsorganisationen bereits weit über 50000 Tote und ein Vielfaches an Flüchtlingen gekostet. Ungeachtet der bereits angelaufenen EU-
Militärintervention ist ein Ende dieser blutigen Spirale nicht abzusehen. In der DRK sollen in den fünf Jahren des Krieges insgesamt über 3,3
Millionen Menschen den Tod gefunden haben, die Mehrzahl davon durch Krankheit und Hunger, die ihrerseits unmittelbares Ergebnis dieses Krieges sind.
Im Kongo finden Auseinandersetzungen statt, die erst seit dem Massaker vom März wieder
Schlagzeilen machen, obgleich dieser Allfrontenkrieg möglicherweise der blutigste seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist.
Bei dem aktuellen Konflikt in Ituri geht es zum einen um traditionelle Rivalitäten, d.h. vor allem um den Streit um Land, zwischen den in erster Linie Vieh
züchtenden Hema und den Ackerbau treibenden Lendu. Ein ähnlicher Konflikt existiert in der südlich anschließenden Provinz Kivu
zwischen den Banyamulenge und autochthonen Bauern.
Während Ackerbauern und Viehzüchter in der Vergangenheit in einer bisweilen
asymmetrischen Symbiose lebten, hat der generelle ökologische und ökonomische Niedergang zusammen mit gezielter äußerer
Instrumentalisierung die ethnischen Konflikte verschärft. In der Provinz Ituri mit der Hauptstadt Bunia stehen ca. 700000 Lendu und anderen
kleinbäuerlichen Völkern und Stämmen rund 150000 Hema gegenüber. Die Hema sollen erst vor zweihundert Jahren aus dem
ostafrikanischen Zwischenseegebiet in die Region herab gestiegen sein.
Auf der einen Seite stellen Ackerbau und Viehzucht notwendige Ergänzungen dar, und die
daher rührende soziale Symbiose hat nicht nur bedingt, dass beide Gruppen Lendu und Hema die gleiche Sprache sprechen, sondern, dass es
auch immer wieder zu Ehen zwischen Angehörigen beider Gruppen kommt bzw. früher gekommen ist. Gleichzeitig sind jedoch wechselseitige
Antipathien entstanden, die durch die belgische Kolonialmacht wie in Rwanda, wo sie sich 1994 zeitverzögert in einem Genozidversuch niedergeschlagen
haben, gefördert wurden.
Die Tatsache, dass die Lendu zwar zahlreicher aber nicht staatlich organisiert waren, hatte es den
Hema von Anfang an erlaubt, ihre mit der für Viehzüchter typischen sozialen Organisation verbundenen überlegenen militärischen
Fähigkeiten auch für ihre soziale Position gegenüber den Lendu zu nutzen. Nach Darstellung der Lendu wurden die Hema dann, wie ihre Tutsi-
Vettern in Rwanda, auch von der belgischen Kolonialmacht bevorzugt. Das erklärt, dass sich der latente Konflikt seit Anfang des 20.Jahrhunderts immer
deutlicher manifestiert hat.
Das nach der Ermordung von Patrice Lumumba aus dem antikolonialen Befreiungskampf
hervorgegangene neokoloniale Regime ermöglichte es jedenfalls, dass es Hema waren, die unmittelbar nach der Unabhängigkeit die großen
Viehfarmen in dieser überaus fruchtbaren Region an sich brachten und auch den Handel unter ihrer Kontrolle hielten. Die reichen Hema-Landbesitzer sollen
sich, so der Vorwurf der Lendu, darüber hinaus gerade in den letzten Jahren zunehmend Boden von Lendu mit teilweise zweifelhaften Mitteln angeeignet
haben.
Für die Hema stellt sich der Konflikt so dar, dass sie sich vor einem Völkermord durch
die Lendu schützen müssen, die sie wegen ihres Reichtums beneiden. Die Lendu wiederum verweisen auf die lange Diskriminierung und den Hochmut
der Hema.
Zweifellos haben beide nicht ganz Unrecht. Seit dem Völkermordversuch in Rwanda ist zudem
die wachsende offene Identifizierung der Hema mit den Tutsi und der Lendu mit den Hutu überaus explosiv geworden. Entsprechend werden die Lendu nicht
nur von der Zentralregierung in Kinshasa unterstützt, sondern auch von den hierher geflohenen rwandesischen Hutu-Milizen, während die Hema
Unterstützung von der rwandesischen Regierung erhalten.
Das erinnert an den Fall der Banyamulenge, die eng verwandt mit den in Rwanda herrschenden Tutsi sind. Sie wurden bald zum Werkzeug Rwandas in dessen
Konflikt mit dem früheren Schutzbefohlenen Laurent Désiré Kabila. So ist die Gewalt in der Ituri-Provinz mindestens ebenso Ergebnis der
Machenschaften und der Konkurrenz Dritter.
Der unmittelbare Anlass des offenen Konflikts war 1999 die Entscheidung des damaligen
Befehlshabers der ugandischen Armee im Kongo, eine Provinz Ituri mit der Hauptstadt Bunia zu schaffen und zum Gouverneur einen Hema zu ernennen. Dies geschah
gegen den Willen der kongolesischen Rebellengruppe RCD/ML (Rassemblement Congolais pour la Démocratie Mouvement de Libération), die
angeblich die Region regierte und von Uganda nur unterstützt wurde.
Die hohe Zahl an Opfern war natürlich nur dadurch möglich, dass die Milizen beider
Gruppen nicht mehr nur mit Pfeilen und Speeren, sondern mit modernen Waffen aufeinander schossen. Diese jedoch produzieren sie weder selbst, noch kaufen sie sie
auf dem internationalen Waffenmarkt.
Vielmehr werden sie von den Regierungen interessierter Nachbarstaaten ausgerüstet. In
diesem Falle kam das militärische Gerät von Uganda und Rwanda, die 1998 Teile des Ostkongo besetzt hatten und ehemalige Verbündete des
ermordeten Kabila und seines seit Januar 2001 regierenden Sohnes sind. Beide Staaten waren am Kongo zunächst interessiert, um die1994 dorthin
geflüchteten Hutu-Milizen, die für den versuchten Völkermord an den Tutsi Rwandas verantwortlich waren, endgültig aufzureiben.
Von mindestens gleicher Bedeutung wurde jedoch bald die Möglichkeit beider Staaten, die
gewaltigen natürlichen Ressourcen des Kongo auszuplündern. Die Region ist nicht nur reich an Bananen, Kaffee und Eukalyptusbäumen, sondern
vor allem auch an Gold und Edelhölzern. Inzwischen gibt es allen Grund auch von der Existenz umfangreicher Erdölvorkommen auszugehen.
Die Regierung in Kinshasa hat, obgleich sie diesen Teil ihres Landes kaum kontrolliert, der kleinen
kanadischen Erdölgesellschaft Heritage Oil Corporation ein 31000 Quadratkilometer großes Gebiet westlich des Albert-Sees zur Prospektion
überlassen. Nachdem auf ugandischer Seite bereits Erdöl gefunden wurde, ist es keineswegs ausgeschlossen, dass hier eines der drei wichtigsten
Erdölgebiete Schwarzafrikas entsteht. Das ist umso wichtiger, da insbesondere die USA Afrika zu einem neuen Schwerpunktgebiet für ihre
Erdölversorgung auserkoren haben.
Einer UN-Studie vom Oktober 2002 zufolge haben afrikanische Nachbarstaaten der DRK, die in den
vergangenen Jahren zur Unterstützung oder zur Bekämpfung der Zentralregierung Truppen in das Land geschickt hatten (Uganda, Rwanda, Zimbabwe,
Angola), nach dem offiziellen Rückzug dieser Truppen international operierende Kartelle zur weiteren Plünderung der Ressourcen des
Kongo aufgebaut. Neben den genannten Rohstoffen gibt es dort auch Diamanten, Kupfer, Kobalt und das für die Herstellung von Mobiltelefonen so wichtige
Koltan. Beteiligt daran seien über zwanzig ranghohe Vertreter aus Armee und Politik Ugandas, Rwandas, Zimbabwes und der DRK selbst.
Das Geschäft werde, nachdem im gleichen Jahr die Friedensverträge von Pretoria und
Luanda unterzeichnet worden seien, zunehmend mit Hilfe krimineller Banden und von diesen oft nicht zu unterscheidenden Rebellengruppen getätigt.
Um der Intervention im Nachbarland einen halbwegs legitimen Rahmen zu geben, werden lokale
Kräfte aufgerüstet, die ihrerseits aus den verschiedensten und eben auch den erwähnten Gründen miteinander in Konflikten standen, die mit
den Interessen ihrer Schutzherren zunächst einmal nichts zu tun hatten.
Uganda, das sich zuvor bereit erklärt hatte, seine noch im Kongo verbliebenen tausend Soldaten bis zum 20.März abzuziehen, besetzte am
6.März erneut die Hauptstadt Ituris, Bunia, und umliegende Dörfer und Flugplätze. Als Grund wurden Angriffe der Union des Patriotes Congolais
(UPC) angegeben, einer der verschiedenen antiugandischen Rebellengruppen, die nach ugandischer Darstellung von Rwanda bewaffnet werden.
Die UPC ist eine der Rebellengruppen, die sich auf die Hema stützen. Sie wurde im
vergangenen Jahr gegründet, nachdem Uganda die Hema bereits seit rund zehn Jahren zum Partner für seine Geschäftsinteressen in der reichen
Provinz auserkoren hatte. Allerdings verbündete sich die UPC schon bald nach ihrer Gründung mit Rwanda, das inzwischen über die Verteilung der
Kriegsbeute zu einem ernsten Rivalen Ugandas geworden ist und seine Truppen entgegen offizieller Angaben im Oktober 2002 nicht aus dem Kongo
zurückgezogen hat. Sie operieren dort unter dem Deckmantel der kongolesischen Rebellenorganisation Rassemblement Congolais pour la Démocratie
(RCD).
Uganda wandte sich daraufhin den Lendu zu, deren Milizen am 6.März mit in Bunia einzogen.
Die Lage wird weiterhin dadurch verkompliziert, dass verschiedene ugandische Offiziere zeitweilig gleichzeitig Hema- und Lendu-Milizen aufbauten, so etwa der Ex-
Oberst Peter Kerim, der der kongolesischen Zeitung LAvenir zufolge tausend Mann für eine Lendu-Miliz rekrutierte, während die ugandische
Regierung offiziell noch die Hema unterstützte.
Ein anderer Offizier, Oberst Kiyababale, der die Hema unterstützt hatte, wurde zum
Jahreswechsel von seinem Posten abberufen und nach Kampala zurückbeordert. Die Milizen beider Ethnien haben es derart wild getrieben, dass die ugandischen
Truppen, die auch das Wüten ihrer Verbündeten einzudämmen versuchen, jetzt von den noch verbliebenen Einwohnern Bunias Hema wie
Lendu offensichtlich als »Befreier« begrüßt werden.
Die Tatsache jedoch, dass ugandische Truppen im Kongo verbleiben, dient Rwanda als Vorwand,
die ihm verbundenen kongolesischen Fraktionen davon abzuhalten, sich wie einst von der UNO vermittelt an einer nationalen Koalitionsregierung in Kinshasa zu
beteiligen. Rwanda jedenfalls, das vor allem aber ein starkes Interesse daran hat, die Hutu-Milizen dort endgültig zu neutralisieren, wenn nicht gar auszurotten,
scheint willens zu sein, ungeachtet aller internationalen Friedensbemühungen so lange im Land zu bleiben, wie dazu nötig.
Die UNO und ihre lokale Friedenstruppe ist trotz eines Jahreshaushalts von 600 Millionen Dollar
wie üblich unfähig, dem Blutbad Einhalt zu gebieten. Jetzt hat die EU, mit französischen Kampftruppen im Zentrum, von der UNO den Auftrag
dazu erhalten.
Ob es »den Europäern« neben Frankreich und der Ex-Kolonialmacht
Belgien auch der BRD gelingen wird, »Ordnung« zu schaffen, ist noch sehr fraglich. Von strategischer Bedeutung ist die Intervention allemal.
Frankreich hat offensichtlich im Gegenzug zur nachträglichen Absegnung der amerikanischen Kolonialherrschaft im Irak das Plazet der USA für den
Kongo bekommen.
Während die EU-»Friedenskräfte« in Mazedonien noch die praktische
Unterstützung der NATO und damit der USA genießen, wird der Kongo-Einsatz insbesondere auf französisches Insistieren hin der erste Einsatz
einer im Wesentlichen von der EU gestellten Streitmacht, unabhängig von jeder NATO-Beteiligung, sein. Dies bedeutet einen weiteren Schritt hin zu einer
eigenständigen europäischen Militärmacht.
Die Tatsache, dass die gegenüber dem Irakkrieg kritischen europäischen Rivalen der
USA nach deren Sieg erwartungsgemäß eingeknickt sind, bedeutet nicht mehr als dass der offene Konkurrenzkampf verschoben werden musste.
Der Kongo-Einsatz stellt gewissermaßen einen neuen Anlauf dar. Europa und Amerika werden
sich zwar darin einig sein, dass der dauerhafte Verfall dieses potenziell so wichtigen Ausbeutungsobjekts jedwelchen Geschäften der großen
imperialistischen Konzerne abträglich ist. Um diese Geschäfte wird es jedoch in Zukunft erneut Streit geben, der auf Kosten der Kongolesen ausgetragen
werden wird.
Anton Holberg
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