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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2003, Seite 17

Nahostfriedensplan

Keine Karte für den Frieden

Am 30.April hat das US-Außenministerium den vollständigen Text der »Road Map« veröffentlicht, d.h. des »neuen« Friedensplans, der den Ehrgeiz hat, den Krieg in Palästina bis zum Jahr 2005 zu beenden. Dieser Plan wurde von dem sog. »Quartett« ausgearbeitet: USA, EU, UNO und Russland. Der Plan war bereits seit einigen Monaten fertig, wurde aber nicht vor Ende April veröffentlicht, weil man die Nominierung von Abu Mazen (Mahmoud Abbas) zum palästinensischen Ministerpräsidenten und die Reduzierung Yasser Arafats auf eine rein dekorative Rolle abgewartet hatte. Das Motiv für dieses Abwarten und den auf Arafat ausgeübten unglaublichen Druck, um Abu Mazen zum Ministerpräsidenten zu nominieren, wird durch die Lektüre der Road Map klar.
Sie ist nichts anderes als eine Neufassung des Tenet-Plans, der im Jahr 2001 »gute Ratschläge« gab, offensichtlich an die Palästinenser, wie »die Gewalt zu beenden« sei, was nichts anderes heißen soll als die Unterdrückung und Beendigung der im Jahr 2000 begonnenen zweiten Intifada.
Dieser x-te »Friedens«plan weicht mehr noch als seine Vorgänger — von Oslo (1993) bis Camp David (Juli 2000) — den grundlegenden Fragen des Konflikts aus. Vor allem an der Stelle, an der nur wenige der zahlreichen Zeilen den Siedlungen gewidmet sind: »Die israelische Regierung baut unverzüglich die seit März 2001 errichteten Siedlungen ab. Entsprechend dem Mitchell-Bericht stellt die Regierung Israels die Siedlungsaktivitäten ein (auch im Falle der natürlichen Expansion der Siedlungen).«
Es fehlt jeder Hinweis auf die Tatsache, dass die seit 1967 errichteten Siedlungen bis heute alle illegal und vor allem der wahre Kernpunkt des Konflikts sind. Darüber hinaus wird die Definition der natürlichen Expansion der Siedlungen als akzeptabel betrachtet, mit der Israel in diesen Jahren die systematische Beschlagnahme palästinensischen Landes gerechtfertigt hat.
Laut dem Quartett soll dieser Plan der Beendigung des palästinensischen Widerstands dienen und Israel vor bewaffneten Guerillaaktionen wie auch vor Selbstmordattentaten bewahren. Die Ereignisse der letzten Zeit bestätigen stattdessen, dass den Palästinensern eine bedingungslose und demütigende Kaptulation aufzuzwingen gerade dazu führt, dass nicht einmal 20 Jahre alte Studenten verzweifelt zu einer extremen Form des Widerstands greifen: zusammen mit dem Feind zu sterben. Einmal mehr sollte die Weltöffentlichkeit mit der falschen Hoffnung betrogen werden, dass es in der »heißesten« Region der Welt zum »Frieden« kommen würde, wenn man die Palästinenser zwingt, den Verlust ihres eigenen Landes zu akzeptieren, ohne auch nur die Hoffnung auf eine zumindest teilweise Wiedergewinnung zu hegen.
Die Attentate von Riyad, Casablanca und Ankara demonstrieren das Gegenteil. Offensichtlich reicht nach der militärischen Aggression gegen den Irak und seiner Besetzung, den ständigen Drohungen gegen Syrien und den Iran der Faktor Palästina nicht aus, die aktuelle Welle von Attentaten zu erklären, deren Zielscheibe westliche Personen waren und sein werden. Dennoch bleibt in jedem Fall die Palästinafrage zentral. Die ausschließlich militärische Vision, die die USA und die europäischen Länder von den internationalen Widersprüchen haben, besonders nach dem 11.September 2001, kann nur den Weg zu neuen Tragödien ebnen, deren Ausmaße nicht vorhersehbar sind.

Die Rolle Yasser Arafats

Es ist nicht das erste Mal, dass mit Posaunen das politische Ende Yasser Arafats verkündet wurde. Sicher befindet sich der betagte palästinensische Führer heute mehr in Schwierigkeiten als bei allen vorangegangenen Krisen.
Heute wird Arafat als extremistischer Führer beschrieben, der mehrmals Abkommen abgelehnt hat, die zur Errichtung eines palästinensischen Staates hätten führen können. Nichts könnte falscher sein. Seit 1974 (mit dem Verzicht auf die Befreiung des gesamten historischen Palästina) bis zu den Abkommen von 1993 hat Arafat im Gegenteil mehrfach Kompromisse zum niedrigsten Preis akzeptiert und dabei einige Male einen direkten innerpalästinensischen Konflikt riskiert.
Yasser Arafat aber hat eine Eigenschaft, die man anerkennen muss: ein politischer Spürsinn, der ihm in diesen Jahren beigebracht hat, wie weit er gehen kann. Auf diese Weise erklärt sich die Ablehnung des Abkommens, das ihm Clinton und Barak im Juli 2000 in Camp David aufzwingen wollten. Und dadurch lässt sich auch erklären, dass Arafat, als die zweite Intifada ausgebrochen war, sich an die Seite seines Volkes stellte. Dies musste er tun, wollte er den islamistischen Formationen Hamas und Islamischer Jihad nicht eine noch größere Zustimmung der Bevölkerung auf dem Silberteller präsentieren.
Heute werden in der israelischen Regierung Stimmen laut, die nach den jüngsten Selbstmordattentaten die Ausweisung Arafats fordern. Sharon aber weiß, dass Arafat im Exil für die Palästinenser weit glaubwürdiger ist, und ist dagegen. Für ihn ist es besser, Arafat zum wahren »Urheber« der Attentate von Hebron, Jerusalem usw. zu stempeln, ihn aber in Ramallah festzuhalten. Das Ziel Sharons ist es, noch mehr Druck auf das aktuelle Gefüge der palästinensischen Regierung (aus dem Arafat ausgeschlossen ist) auszuüben.
Die israelische Tageszeitung Yediot Ahronoth hat am 19.Mai die Abschrift eines Gesprächs zwischen Sharon, Abu Mazen, dem palästinensischen Innenminister Mohammed Dahlan und dem palästinensischem Parlamentspräsidenten Abu Ala veröffentlicht. Als sich Sharon darüber beklagte, wie schwer es für ihn sei, die eigene Regierung von der Road Map zu überzeugen, erwiderte Dahlan: »Verstehen Sie nicht, dass ich und Abu Mazen eine selbstmörderische Mission begonnen haben, als wir die Verantwortung dafür übernahmen, die Gewalt zu stoppen?« Soll heißen: diese Regierung bereitet sich darauf vor, diejenigen Palästinenser zu unterdrücken, die sich gegenüber der Vernichtung zu verteidigen suchen. Dies ist die wahre »selbstmörderische Mission«, von der Dahlan spricht.

Zum Scheitern verurteilt

Die Road Map ist nicht nur nicht praktikabel, weil sie wie oben angedeutet allen wirklichen Problemen ausweicht, sondern auch weil sie widersprüchlich ist.
Einerseits strebt sie den israelischen Rückzug an, aber andererseits vermeidet sie, Israel zum Abbau der seit 1967 gebauten Siedlungen zu zwingen, und sie gibt keinerlei Hinweis auf die territoriale Stetigkeit des zukünftigen palästinensischen Staates, die durch das Vorhandensein der Siedlungen von vor 2001, und nicht der von seit 2001, verhindert wird. In den Schlussabsätzen der Abkommen »über das permanente Statut und das Ende des israelisch-palästinensischen Konflikts (2004 bis 2005)« wird behauptet: »Eine zweite internationale Konferenz, vom Quartett für Anfang 2004 nach der Konsultation beider Parteien vorgesehen, wird zum Ziel haben, das über den unabhängigen palästinensischen Staat mit provisorischen Grenzen ausgehandelte Abkommen zu bestätigen und einen Prozess einzuleiten, der mit aktiver, konkreter und operativer Unterstützung des Quartetts 2005 in eine Resolution mündet, die zu einem endgültigen Statut führt, das die Fragen der Grenzen, Jerusalems, der Flüchtlinge und der Siedlungen umfassen muss.« Es ist offensichtlich, dass ein dermaßen verschwommener und widersprüchlicher Plan nur darauf abzielt, dass Israel Raum und Zeit gewinnen kann.
Während die Teile über die Sicherheit den Palästinensern ausführliche »Anweisungen« darüber geben, wie das eigene Volk zu unterdrücken ist, beschränken sie sich bezüglich Israels darauf, den Rat zu geben, »keinerlei Maßnahmen zu ergreifen, die das Vertrauen untergraben könnten, insbesondere Vertreibungen, Angriffe gegen Zivilpersonen, Durchsuchungen oder Zerstörungen palästinensischer Wohnungen und palästinensischen Eigentums — sei es als Strafmaßnahmen oder Maßnahmen, die dazu bestimmt sind, die Errichtung israelischer Gebäude zu erleichtern —, die Zerstörung palästinensischer Institutionen und Infrastruktur…«
Dieser »Ratschlag« reichte der israelischen Regierung, den Plan abzulehnen. Deren wahres Ziel bleibt der Transfer, d.h. die Vertreibung einer größtmöglichen Zahl von Palästinensern, um die Annexion des größten Teils des Westjordanlands durchführen zu können.
Diese Bedingungen machen diese »Karte der Lügen« undurchführbar. Sie bietet den Palästinensern keinerlei Garantien, außer jener, in einem noch engeren Käfig wie zuvor gefangen zu sein. Gewiss, die aktuelle palästinensische Regierung scheint bereit, alles zu akzeptieren, und betrachtet die Repression der Intifada mit Wohlwollen, auch weil sie in ihrer Mehrheit, angefangen mit Abu Mazen, der Intifada stets fremd gegenüber stand. Aber auch wenn seine repräsentativsten Führer im Gefängnis sind oder ermordet wurden, wird das palästinensische Volk die Kapitulation nicht passiv hinnehmen. Dies zeigt sich nicht nur an den Ereignissen dieser Tage, sondern vor allem an der Tatsache, dass nach fast 5000 Ermordeten in einem Zeitraum von weniger als drei Jahren kein Palästinenser bereit ist, das eigene Land aufzugeben.

Cinzia Nachira (21.5.2003)

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