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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2003, Seite 18

WTO-Agrarrunde

Mordwaffe Welthunger

Weltweit stirbt alle vier Sekunden ein Mensch an Hunger oder dadurch verursachten Krankheiten, pro Tag 24000. Jeder Fünfte in den Ländern des Südens ist chronisch unterernährt — die Mehrzahl davon Frauen und Kinder.
Die Verhandlungsrunden der WTO über die Landwirtschaft sind nicht dazu angetan, den Trend zu stoppen, sondern werden ihn weiter anheizen; doch die politischen Führer der Welt scheinen gegenüber diesem Leid abgestumpft zu sein. Ihr Hauptaugenmerk bleibt auf die Profite der Agrobusinesskonzerne und die globalen Märkte gerichtet, die sie aufbrechen können.
Seit vier Jahren fordern einige Verhandlungsführer der Länder des Südens Handelsregeln, die ihnen Nahrungsmittelsicherheit und stabile Beschäftigung auf dem Land verschaffen; doch mehr als Lippenbekenntnisse hat es dazu seitens der WTO nicht gegeben. Studien unterstreichen, dass die ungerechten Handelsregeln Armut und Hunger auf dem Land auf die Spitze getrieben haben.
Die Verhandlungsführer des Südens ihrerseits bleiben aber nicht standhaft bei ihrer Forderung nach Gleichbehandlung oder bei ihrem vollen Recht, sich gegen die Angriffe mit subventionierten Nahrungsmitteln zu wehren, die ihnen vor die Haustür geschleudert werden. Sie balgen sich stattdessen um die Brosamen, die vom Verhandlungstisch fallen, an dem die USA, die EU und die mächtigeren Mitglieder der Cairns-Gruppe Platz genommen haben. [Zur Cairns-Gruppe gehören u.a.: Australien, Neuseeeland, Kanada, Argentinien, Brasilien, Costa Rica, Malaysia, Thailand, Chile.]

Märkte knacken

Die Länder des Südens werden mehr und mehr von Nahrungsmittelimporten abhängig, vor allem betrifft dies die lagerungsfähigen Waren. Getreide deckt mindestens die Hälfte des Kalorienbedarfs der Bevölkerungen in diesen Ländern; trotzdem verlagert sich die Getreideproduktion zunehmend in die OECD-Länder und einige andere wie Brasilien und Argentinien.
Was die Sache noch schlimmer macht ist, dass es gerade Getreide und die lagerfähigen Waren sind, die am meisten von den Regierungen der OECD-Länder subventioniert und in die Märkte des Südens gedrückt werden: Weizen, Soya, Mais, Reis und auch Milchprodukte. Das sind zugleich die Landwirtschaftsprodukte, die die Agrobusinesskonzerne kontrollieren — in den Ländern des Nordens wie des Südens. Dieselben Riesenkonzerne, die den Getreidehandel in den USA kontrollieren, operieren auch in Mexiko, Brasilien und Argentinien.
Der Vorgang lässt sich zum Teil an den Handelszahlen ablesen. In den letzten Jahren haben die Nahrungsmittelimporte der Länder des Südens zugenommen, während ihre Exporte mehr oder weniger stagnieren: Ihr Exportanteil am Handel betrug in den Jahren 1995—1997 26%, wie schon in den 80er Jahren; ihr Importanteil ist von 28% in den 70er Jahren auf 37% 1997 gestiegen. Der Zunahme der Importe ist bei den am wenigsten entwickelten Ländern (LDC) und den 19 Nettoimporteuren von Nahrungsmitteln noch stärker ausgeprägt: bei den ersteren stiegen sie von 1980 bis 1997 um fast 50% (von 3,9 auf 6 Mrd. US-Dollar), bei den letzteren um 40% (von 9,3 auf 13 Mrd. US-Dollar).
Der Nahrungsmittelmangel in den Ländern des Südens wächst kontinuierlich. Nicht nur steigt ihre Abhängigkeit von Grundnahrungsmittelimporten; die hohen Rechnungen, die sie dafür zu zahlen haben, werden zunehmend eine Last.
Das Landwirtschaftsgesetz, das George Bush im Mai 2002 durchpaukte, sieht Ausgabenerhöhungen für die US-Landwirtschaft im nächsten Jahrzehnt um 73,5 Mrd. Dollar vor — das ist ein Zuwachs von 63%! Subventioniert werden sollen hauptsächlich acht Feldfrüchte, die alle in den Ländern des Südens wichtige Lebensmittel sind: Baumwolle, Weizen, Mais, Soyabohnen, Reis, Graupen, Hafer und Hirse. Die meisten dieser Subventionen werden in Form von Direktzahlungen geleistet. Die USA drücken heute Nahrungsmittel zu Dumpingpreisen in die Märkte der Dritten Welt; sie exportieren Mais 20% und Weizen 46% unter dem Kostenpreis. Auch der Preis für US-Baumwolle ist seit 1995 um 66% auf 50 Cent das Pfund gefallen, um die Produzenten aus der Dritten Welt zu unterbieten; die US-Anbauer erhalten pro Pfund 75 Cent Subvention. Das Landwirtschaftsgesetz wird diese Verzerrungen noch verschärfen.
Im Sprachgebrauch der WTO sind dies angeblich nicht-handelsverzerrende Subventionen, da sie unabhängig von der Produktion gezahlt werden. Der derzeit gültige Landwirtschaftsabkommen erlaubt solche Subventionen (Green-Box- Programme) ohne Begrenzungen. Dass sie jedoch den Handel nicht verzerren würden, ist offensichtlich unwahr, da sie natürlich das Einkommen der Hersteller steigern und ihre Risiken vermindern, sie also zu mehr Produktion ermuntern. Die künstlich niedrig gehaltenen Preise machen sie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig. Während Bauern im Norden für die niedrigen Preise einen Ausgleich erhalten, werden Bauern im Süden ausgestochen.
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union unterscheidet sich davon nur wenig. Ausdrücklich will die EU ihre Exportsubventionen und zunehmend auch ihre Flächenstilllegungsprämien (Blue-Box-Zahlungen genannt) in Direktsubventionen (Green Box) umwandeln, weil die WTO sie im Gegensatz zu den ersteren für legal hält. Angeblich wird der Handel dadurch weniger verzerrt. Die Drift weg von Exportsubventionen wird von der WTO begrüßt. Doch die Länder des Südens müssen aufpassen, dass diese Subventionen nicht in anderer Form wiederkehren. Dazu gibt es bereits einschlägige Erfahrungen. Die EU hat zwischen 1992 und 1999 ihre Exportsubventionen für Getreide um 60% gesenkt (von 2,2 Mrd. Euro auf 883 Mio. Euro). Die Getreideanbauer bekamen dafür in derselben Zeit Direktzahlungen in Höhe von 2,102 Mio. Euro. Die Gesamtsumme der Subventionen ist um 36% gestiegen.
Hätten die Direktzahlungen tatsächlich den Handel nicht verzerrt und wären sie von der Produktion abgekoppelt gewesen, hätte die Produktion sinken müssen. Der EU-Interventionspreis lag schließlich um 50% niedriger. Die Zunahme an Direktzahlungen führte jedoch zu 25% höherer Getreideproduktion in der EU. Somit nehmen nicht nur die Subventionen zu, die Dumpingmechanismen für den Export werden auch zunehmend weniger transparent und machen es den Ländern des Südens viel schwerer, dagegen zu argumentieren.
Länder, die Handelsabkommen mit der EU haben, sind von solchen Praktiken besonders leicht zu treffen; das gilt z.B. für die über 70 AKP-Länder, wo die EU derzeit bilateraler Handelsabkommen verhandelt. EU-Produkte, die der Preiskonkurrenz »standhalten« können, werden diese Märkte überschwemmen.
Die Ernährung in den Ländern des Südens hängt zunehmend vom Weltmarkt ab; das ist äußerst besorgniserregend. In den USA sind nur 2% der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, 5% sind es in der EU; aber 75—80% in China, 77% in Kenia, 67% in Indien und 82% in Senegal bestreiten ihre Existenz aus landwirtschaftlicher Produktion.

Süden uneins

Der Hauptstreit in der Agrarpolitik dreht sich um den Marktzugang. Die großen Nahrungsmittelkonzerne hungern danach. Der Vorsitzende des Agrarausschusses, Harbinson, hat am 12.Februar einen ersten Entwurf für ein neues WTO-Abkommen über die Landwirtschaft herausgegeben, mit geringfügigen Veränderungen am 18.März. Seither zanken sich die großen Exporteure darüber, wie stark die Zölle gesenkt werden sollen.
Harbinson hat verschiedene Zollklassen vorgeschlagen: Zölle über 90% sollen um 60%, Zölle von 15—90% um 50%, Zölle unter 15% um 40% gesenkt werden. Für die Länder des Südens sind die Zollklassen anders zugeschnitten: Zölle über 120% sollen um durchschnittlich 40% gesenkt werden; Zölle von 60—120% um durchschnittlich 35%; Zölle von 20—60% um durchschnittlich 30%; und Zölle unter 20% um durchschnittlich 25%.
Harbinson macht den Ländern des Südens ein schwaches Friedensangebot, indem er »Strategische Produkte« definiert, für die die Zölle durchschnittlich nur um 10% (aber mindesten 5% für einen Zeitraum von 10 Jahren) gesenkt werden sollen. Zu den strategischen Produkten zählt er solche, die die Nahrungsmittelversorgung, die ländliche Entwicklung und den Lebensunterhalt sichern. Die Länder des Südens können einige ihrer Produkte zu strategischen Produkten erklären.
In den gegenwärtigen Verhandlungen haben sich die Positionen polarisiert zwischen den USA und der Cairns-Gruppe auf der einen Seite, der EU und einer Reihe von Ländern des Südens auf der anderen Seite. Die USA und die Cairns- Gruppe bemängeln, die Vorschläge von Harbinson gingen nicht weit genug. Sie fordern noch weitergehende Zollsenkungen. Die EU, die selber ihren Agrarmarkt nur zögerlich öffnet, bemängelt, die Einschnitte seien zu tief. Die EU hat sensible Produkte in der Zone 15—90%.
Japan, Norwegen und die Schweiz wiederum sind vor allem wegen der Zone über 90% alarmiert, weil sie für ihre eigenen Produzenten den einheimischen Markt gefährden würden. Die EU und ihre Verbündeten berufen sich auf die Uruguay-Formel, die das letzte Agrarabkommen angenommen hat. Darin mussten die Länder des Südens ihre Zölle um durchschnittlich 36% senken, mindestens aber um 15%. Die EU, Norwegen und die Schweiz haben eine Kampagne gestartet, um Länder des Südens auf ihre Seite zu ziehen und die Formel von Uruguay zu verteidigen.
Am 28.Februar präsentierten sie dem Agrarausschuss eine entsprechende gemeinsame Erklärung, die die Unterschrift von 75 Ländern trug. Viele Unterschriften kamen aus den AKP-Staaten (die bevorzugten Zugang zu den EU- Märkten haben) und aus Indien. Venezuela, Kenya, Zimbabwe, Sri Lanka, Pakistan, die Dominikanische Republik und Honduras haben die Erklärung nicht unterschrieben. In wesentlichen Fragen stimmen sie mit der EU nicht überein: So wünschen viele Länder des Südens, dass einheimische Subventionen gekürzt werden, während die EU diese beibehalten will. Sie hoffen auch, sich mit dem Konzept der »Strategischen Produkte« retten zu können.
Exportorientierte Länder des Südens wie Argentinien, Brasilien, Malaysia, Thailand, Costa Rica und Chile haben sich auf die Seite der USA und Australiens gestellt und fordern eine aggressive Öffnung der Märkte. Sie stellen sich damit auch frontal gegen andere Länder des Südens, die versuchen, die Lebensgrundlage ihrer Kleinbauern zu bewahren und deshalb eine Ausdehnung der Kategorie der »Strategischen Produkte« fordern; sie argumentieren, damit werde der Handel zwischen den Ländern des Südens behindert.
Die Positionen sind so verfahren, dass eine Frist am 31.März nicht eingehalten werden konnte.

Schutzmaßnahmen nur für den Norden?

Die Länder des Südens haben wiederholt gefordert, Zollschranken, Subventionen für einheimische Produkte und Exportsubventionen müssten zusammen behandelt werden. Harbinson hat dies ignoriert. Diese Länder haben auch Obergrenzen für die Subventionierung einheimischer Produkte gefordert und vor allem für die Green Box. Auch dies wurde nicht aufgegriffen. Viel Aufsehen wurde um Harbinsons Vorschlag gemacht, Exportsubventionen neun Jahre lang auszusetzen. Aber die EU, die am meisten Exposrtsubventionen zahlt, ist bereits dazu übergegangen, diese nicht aufzuheben, sondern in die Green Box zu verschieben.
Angesichts dieser Marktverzerrungen ist das Konzept der »Strategischen Produkte«, das einige Länder des Südens als Erfolg feiern, weil es angeblich die Sicherung ihrer Nahrungsmittelversorgung und der Existenz ihrer Kleinbauern berücksichtige, nicht mehr als Sand in die Augen, ein Feigenblatt, mit dem weniger WTO-erfahrene Politiker aus der Dritten Welt geködert werden sollen.
Die Länder des Südens fordern auch einen Schutzmechanismus: Es soll ihnen möglich sein, die Zölle anzuheben, wenn die Preise unter ein bestimmtes Niveau fallen oder wenn die Importe plötzlich ansteigen. Die Betroffenen sollen nicht nachweisen müssen, dass die Importe Schaden angerichtet haben, bevor der Mechanismus ausgelöst wird. Die Länder wollen damit ihre Kleinbauern vor den Schwankungen der Weltmarktpreise schützen. Es gibt derzeit einen Schutzmechanismus, den jedoch nur sieben Länder (EU, Japan, Südkorea, Polen, USA, Ungarn und Schweiz) bisher in Anspruch nehmen konnten. 38 Mitglieder der WTO haben sich das Recht darauf gesichert; doch machen die Länder des Nordens ein Vielfaches mehr an schutzwürdigen Produkten geltend als die des Südens.
Der Entwurf von Harbinson ist ein harter Schlag gegen die Forderung nach einem Schutzmechanismus. Es werden Pläne vorbereitet, die die Anzahl der Produkte aus den Ländern des Südens, die unter einen solchen Schutzmechanismus fallen können, masssiv einschränken. Solche Beschränkungen wären empörend angesicht des Tatsache, dass allein die EU den Schutzmechanismus für 539 ihrer Produkte, und die USA immer noch für 189 Produkte in Anspruch nimmt. Länder des Südens sollen ihn auch nicht im Handel untereinander in Anspruch nehmen dürfen. Das richtet sich gegen Länder wie Indien, Sri Lanka, Indonesien, Pakistan usw.
Die Agrarrunde befindet sich somit in einer politischen Sackgasse. In Cancún wird ein Hauptstreit auf diesem Gebiet zwischen den USA und der EU ausgefochten werden. Aber gleich welche Seite sich durchsetzt, es sind hauptsächlich die Bevölkerungen in den Ländern des Südens bedrohen. Von ihnen wird verlangt werden, dass sie ihre Zölle trotz der Dumpingpraktiken aus dem Norden senken.

Aileen Kwa

Aileen Kwa arbeitet in Genf und erstellt Analysen für Focus in the Global South.


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