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Irgendwann, wenn der Staub sich gelegt hat und das 21.Jahrhundert herum ist, wird jemand auf einen merkwürdigen
Umstand hinweisen: im ersten Jahrzehnt sei über zwei wichtige Themen (Kapitalismus und Imperialismus) wenig geredet worden, über zwei davon
abzuleitende (Globalisierung und Europa) umso mehr.
Auf Jürgen Elsässer trifft dies allerdings nicht zu. Er nennt auch die beiden
hässlichen Themen beim Namen. Das ist umso verdienstvoller, als sein Buch sich um ein breiteres Publikum über seine bisherigen Zirkel-
und Zirkularheimat hinaus bemüht. Die pädagogische Anstrengung zeigt sich auch darin, dass er linke Personen mit Titeln versieht. Der uns
allen bekannte Winnie Wolf z.B. heißt bei ihm der »Rüstungsexperte Winfried Wolf«. Vielleicht hat der Lektor seinem neuen Autor
geraten, er solle den breiten Massen doch auch gleich miterklären, was es mit Manfred Sohn und anderen ihm, dem Lektor, bislang unbekannten
Menschen aus der politischen Unterwelt auf sich hat.
Dass andererseits mit der heißen Nadel gearbeitet wurde, zeigt sich an
Flüchtigkeitsfehlern: auf Seite 83 wird Johannes Rau mit Hans-Jochen Vogel verwechselt, auf S.257 Erich Honecker mit Walter Ulbricht.
Es ist zu hoffen, dass andere wichtigere Informationen, die das Buch bietet,
zuverlässig sind. So wird festgestellt:
»Die USA bezogen im Jahr 2000 ein Viertel ihrer Ölimporte vom Golf, ein
weiteres Viertel aus Venezuela, der Rest verteilt sich in abnehmender Größenordnung auf Kanada, Nigeria, Mexiko und die EU (Nordsee-Öl).
Noch stärker abhängig vom Golf-Öl sind asiatische Staaten wie Japan und die Volksrepublik China. Die Bundesrepublik bezieht mehr als ein
Drittel ihres Öls aus den GUS-Staaten und ein knappes weiteres Drittel aus der Nordsee, die Golfstaaten Saudi-Arabien (4,6 Prozent) und Iran (0,9 Prozent)
rangieren nur unter ›ferner liefen‹. Putin hat der EU am 30.Oktober 2000 eine langfristige Abdeckung ihres Energiebedarfs (›europäisch-russische
Energiepartnerschaft‹) angeboten.«
Der Nahe Osten sei aber für die Bundesrepublik als »Exportmarkt teurer
Maschinen« wichtig. Beide Konstellationen erklärten, dass die deutschen und die US-amerikanischen Interessen in dieser Region
gegensätzlich seien. Andererseits bestehe eine »steigende Exportabhängigkeit Deutschlands von den USA«. Diese lebten jedoch
längst über ihre Verhältnisse und müssten den Moment fürchten, in dem das Schuldenmachen für sie ein Ende habe.
»Die besondere Aggressivität der USA verdankt sich ihrer Agonie ein taumelnder Riese, der um sich schlägt.«
Hier nun sieht der Verfasser aber nicht nur eine Gefahr, sondern auch eine Chance. Seiner
Meinung nach hat die Bundesrepublik nach 1945 den alten deutschen Sonderweg fortgesetzt, jetzt allerdings in einer neuen Konstellation: im Bunde mit den
USA versuchte sie zur europäischen Vormacht gegen Frankreich und die Sowjetunion zu werden.
Auch auf dem Balkan sei es ihr in den 90er Jahren gelungen, die USA für ihre Zwecke
zu instrumentalisieren. Durch den Übergang der USA zum bedingungslosen Unilateralismus sei es damit nun vorbei. Nun postuliert Jürgen
Elsässer die Chance für ein eurasisches Bündnis: Frankreich BRD Russland. Hierdurch könne Deutschland
gezähmt werden. Diese neue Möglichkeit stellt er sich als eine durchaus friedliche vor.
Angesichts des ungemütlichen, da in Tschetschenien Krieg führenden Putin
sowie der vom Autor durchaus wahrgenommenen Anstrengungen für eine Rüstungskooperation zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland
erscheint das völlig unrealistisch.
Auch stellt sich die Frage, wie eine Neuorientierung der deutschen Außenpolitik mit der
Abhängigkeit der BRD vom US-amerikanischen Markt zu vereinbaren ist.
Offenbar löst sich für Elsässer das Problem dadurch, dass in den USA
seiner Meinung ohnehin bald Schluss mit lustig ist. Unerfindlich bleibt, wer die deutschen Waren dann abnehmen soll. Hier überschätzt der Autor
offenbar »Eurasien«, oder er muss sich mit einem gewaltigen Standortwettbewerb abfinden.
Jürgen Elsässer listet friedenspolitische Forderungen auf, die er im Stil eines
Programms vorträgt:
»Keine Ankurbelung der Rüstung, sondern allgemeine Demilitarisierung. Keine
weltweiten Interventionen, sondern Rückzug der Truppen. Die Friedensdividende wird für die zivile Wirtschaft sowie Bildung und Kultur
verwendet. Das vom Krieg zerstörte Jugoslawien und die vom Neoliberalismus ins Elend gestoßenen Länder des Ostens werden
wiederaufgebaut.«
Als gesinnungsethischer Katalog ist das akzeptabel. Es fehlt nur jede Verbindung zur vom
Autor zuvor analysierten außenpolitische Konstellation.
So nimmt denn der Schluss des Buches den Ton an, welcher entsteht, wenn Männer in
der Badewanne singen: »Ein friedliches Europa ist nötig. Eine andere Welt ist möglich.«
Dem wäre etwas abzugewinnen, wenn der Verfasser hätte zeigen können,
dass und unter welchen Umständen das für Europa Nötige mithilfe des Dreibundes Chirac Schröder Putin auch
möglich ist. Es wäre das Zentralstück seiner Argumentation, und gerade dieses fehlt. Allenfalls hätte es durch die Benennung
innenpolitischer Potenziale ersetzt werden können. Realistischerweise sucht der Verfasser diese gar nicht erst.
Georg Fülberth
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