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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2003, Seite 22

Karl Marx lesen und spielen

Kolumne von Thies Gleiss

»Dass die jetzige Welt nach Marxismus schreit, ist doch banal. Die Gegenwart ist eine einzige Bestätigung von großen Teilen des marxschen Werkes.« Solche Worte vom PDS-Professor Uwe-Jens Heuer hört man 120 Jahre nach dem Tod des von einer unbekannten, aber eindrucksvoll großen Internetgemeinde zum »Denker des Jahrtausends« ernannten Bartträgers einfach gern. Ob die private Antwort des Genossen Professor auf diesen Schrei: »Ich zum Beispiel werde ein Buch veröffentlichen: Marxismus und Politik«, ausreichend ist, wird sich zeigen. Vielleicht hilft ja zusätzlich ein praktischer Hinweis unseres alten, sich in letzter Zeit auf diesen Seiten rar machenden Mitstreiters Winnie Wolf: »Da fand ich das Treffen der Europäischen Antikapitalistischen Linken am 10.Mai in Frankfurt am Main zur Vorbereitung der Europawahlen spannend. Wir müssen diskutieren, ob eine solche linkssozialistische, kommunistische Liste in der ganzen EU aufgestellt wird. Dazu gehören dann Rifondazione Comunista aus Italien und die Ligue Communiste Révolutionnaire aus Frankreich, Gruppen aus Spanien, aus Portugal, aus Dänemark und eben auch aus Deutschland.«
Aber statt an Buch und Liste zu arbeiten, gönnen sich der Professor und der Verkehrsexperte zur Zeit ein ziemlich merkwürdiges Extravergnügen. Weil irgendwie alle scharf auf Sonderparteitage sind, opfern sie viel Zeit und Geld zur Begleitung eines solchen ihrer Hauspartei. Das Ritual des Frühsommers heißt generell Sonderparteitag. SPD, Grüne, PDS und FDP sonderparteitageln wild herum. Aber wer glaubte, dass hier besondere Themen sonderlich behandelt würden, wurde allein von der FDP an Rhein und Ruhr zufrieden gestellt. Sie hat wirklich exklusiv den letzten Absprung ihres Ex-Vizevorsitzenden vorbereitet. Das gibt‘s nur einmal.
SPD und Grüne — und demnächst auch die PDS, das vorherzusagen ist wahrlich nicht schwer — dagegen organisierten die blanke Normalität: eine so bürokratisch wie gut durchorganisierte Akklamationsshow für die Mainstream-Oberturner, Sachzwangverwalter und selbst ernannten Realpolitiker — alle drei Berufe werden heute auch gern »Reformer« genannt. 90% Zustimmung — angeblich — bei SPD und Grüne für die Sozialraubagenda 2010, und niemand war überrascht. Die »Linke« wusste schon vorher, was ihr blühte.
Im Fall der SPD wurde der Ausgang des Sonderparteitags denn auch zum Anlass genommen, sich öffentlich zur gerechten Strafe zu bekennen und auf alle Mitgliederbegehren und Proteste ab sofort zu verzichten. Die unpolitischen, völlig individualisierten und für alle Notfälle noch zusätzlich zutiefst undemokratischen Entscheidungsstrukturen bei SPD und Grüne fanden in den Sonderparteitagen nicht etwa ihre — auch nur partielle — Negation, sondern eine krönende Bestätigung. Das hätte nicht unbedingt so sein müssen, war aber so, und die Linke hätte sich ihm rechtzeitig entziehen sollen. Das wäre wirkungsvoller gewesen als die erneute Bestätigung des alten Bonmots, dass der Zeitgeist die Ideologie derjenigen ist, die weder das eine noch das andere davon haben.
Beim Sonderparteitag der PDS wird es nicht anders sein. Die Linke hat ihren Kampf schon jetzt verloren, weil sie sich einen Streit um personellen Pipifax statt um politische Prinzipien hat aufzwingen lassen. Es gibt in der Geschichte der Arbeiterbewegung Parteitage, wo nach deren Ende eine Spaltung offenkundig und vermittelbar wurde; es gibt auch welche, an denen die Trennung vor Parteitagsbeginn sinnvoller ist. Die PDS steht für das letztere.
Wem als PDS-Linker nur noch »Verteidigt Gera« einfällt, dem ist das passiert, was die Hamburger Kammerspiele gerade erlebten: Nachdem sie lange Zeit heftig für einen Kulturabend am 17.Juni mit dem Titel warben: »Dietmar Mues spielt und liest Karl Marx«, hieß es am Vorabend plötzlich zerknirscht: Alles Irrtum. »Dietmar Mues spielt und liest Karl May.«

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