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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2003, Seite 6

Kölner Grenzcamp von der Polizei gesprengt

Migration, Autonomie und Utopie

Vom 31.Juli bis zum 9.August 2003 fand in Köln das 6.antirassistische Grenzcamp statt. Eigentlich sollte das Camp erst am 10.August enden, das aber wollte die Kölner Polizei nicht. Doch dazu später.
Das Grenzcamp begann mit dem Auftaktforum vom 1. bis 3.August, das unter dem Motto »Antirassismus ausbuchstabiert« stand. Die Wende weg von der Konzentration antirassistischer Arbeit auf Flüchtlinge hin zum Gesamtkomplex der Migration gelang aber nicht überzeugend. Die Thematik Arbeit und Migration wurde im Wesentlichen unter dem Gesichtspunkt von konkreten Kampagnen gegen Lohnraub an Flüchtlingen betrachtet. Das von der Gruppe kanak attack entwickelte Konzept der Autonomie der Migration vermochte auch nicht wirklich zu überzeugen. Es hebt darauf ab, dass Migration unabhängig von Kapitalakkumulation stattfinde.
Verwiesen wurde in diesem Zusammenhang vor allem auf illegale Migration. Diese richtet sich aber auch nach einem bestimmten Arbeitsplatzangebot. Auf der Abschlussveranstaltung des Auftaktforums wurde die Konzentration auf illegale Migration als Verkürzung bezeichnet, vielmehr solle die Autonomie der Migration die gesamte komplexe Alltagswirklichkeit von allen MigrantInnen erfassen. Angefangen bei denen, die mittlerweile einen deutschen Pass haben bis zu denen, die illegal hier leben. Vielleicht ist Autonomie der Migration eher als Utopie zu verstehen, dass irgendwann alle Menschen unabhängig von Kapitalinteressen hingehen können, wo sie wollen.
Ein weiterer Schwerpunkt war die IOM (International Organisation for Migration), eine Organisation mit mittlerweile 101 Mitgliedstaaten. Dieser internationale Zusammenschluss arbeitet unabhängig von der UNO und ihren Konventionen. Sie befasst sich mit der »freiwilligen« Rückführung von MigrantInnen, der präventiven Eindämmung von Migration und seit kurzem mit der Anwerbung von Arbeitskräften für den Billiglohnsektor. Es handelt sich um eine Agentur, die versucht, Migrationsströme im Interesse kapitalistischer Verwertungsinteressen zu steuern. Dabei bleibt die Humanität meistens auf der Strecke. So leitet die IOM ein Flüchtlingslager im Südseezwergstaat Nauru, wo laut Amnesty International »höllische Zustände« herrschen. Auch an den Kriegsvorbereitungen im Kosovo, im Irak und anderswo war die IOM im Interesse des »Migrationsmanagements« beteiligt.
Des Weiteren wurden auf dem Forum auch die Ausreisezentren thematisiert, die zur Zeit in drei Bundesländern existieren. Eines befindet sich in Fürth. Dort können 72 Personen untergebracht werden, zurzeit befinden sich dort zehn Personen. Diese Ausreisezentren soll Migranten, die nicht abgeschoben werden können, soweit demoralisieren, dass sie das Land »freiwillig« verlassen. Das Zentrum in Fürth wird von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht, bei sich die BewohnerInnen an- und abmelden müssen. Es ist von einem Zaun umgeben und hat nur einen Zugang. So darf nur mit Genehmigung der Behörden empfangen werden. Die Flüchtlinge erhalten außer Sachleistungen lediglich einen Betrag von 40 Euro im Monat, der bei »nicht kooperationsbereiten« Leuten auf 20 Euro reduziert werden kann. Es finden willkürliche Zimmerdurchsuchungen statt, die Residenzpflicht ist auf das Stadtgebiet eingeengt. Gegen diese Ausreisezentren finden vom 11. bis 14.September 2003 Aktionstage in Fürth statt. (Siehe www.ausreisezentren.de.)
Nachdem das Auftaktforum am 3.8. zu Ende gegangen war, begann am 4.8. der aktionistische Teil des Camps. Ziel der Demonstrationen und spontanen Aktionen waren Firmen, die Migranten zu besonders schlechten Bedingungen beschäftigen, Behörden wie das Ausländerzentralregister beim Bundesverwaltungsamt, das für die rassistische Sondererfassung von MigrantInnen zuständig ist oder eben die bereits erwähnte IOM sowie die Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf.
Am Flughafen Düsseldorf, einem der neben Frankfurt am Main größten Abschiebeflughäfen, protestierten die Aktivisten gegen Abschiebungen und Fluggesellschaften wie LTU und Lufthansa, die davon profitieren. Die Chartergesellschaft LTU, die die meisten mit Sommer, Sonne, Urlaub in Verbindung bringen, betätigt sich nämlich mittlerweile auch als Deportation Airline. Alle Aktionen konnten ohne Krawall für öffentliche Aufmerksamkeit und Irritation sorgen. Die Polizei stand ihnen hilflos gegenüber. Die inhaltlichen Schwächen des Camps wurden so durch zum Teil sehr fantasievolle Aktionen ausgeglichen, die immer die wunden Punkte trafen, wo Rassismus in unserer Gesellschaft deutlich wird.
Das Grenzcamp traf bei den Richtigen auf Widerspruch. So waren einige BürgerInnen des Kölner Stadtteils Poll, wo das Camp stattfand, nicht begeistert vom zahlreichen Auftauchen antirassistischer Aktivisten. Denn sie selbst hatten im Juni mit ca. 300 Leuten gegen ein in Poll befindliches Flüchtlingswohnheim demonstriert und so dem dumpfen Rassismus eines Teils der deutschen Normalbevölkerung Ausdruck verliehen. Dadurch fühlten sich sowohl die sich bürgernah gebende faschistische Gruppe »Pro Köln« als auch die Stiefelnazis von den Freien Kameradschaften berufen, zu Demonstrationen gegen das Camp aufzurufen.
»Pro Köln« konnte aber am 2.8. nur 17 Leute mobilisieren und die freien Kameraden brachten es am 9.8. auf gerade mal 60, die stundenlang in der Sonne standen (Parole der antifaschistischen GegendemonstrantInnen in dieser Situation: »Wir haben Schatten und ihr nicht!«) und teilweise auf Socken durch Poll latschen mussten, weil die Polizei in einer Auflage das Tragen von Springerstiefeln verboten hatte. Beide Nazi-Manifestationen wurden von einer Überzahl antifaschistischer GegendemonstrantInnen zur Wirkungslosigkeit verurteilt.
Zeitgleich zum zweiten Nazi-Aufmarsch setzte die Polizei dem Grenzcamp mit einem Großaufgebot von über 2500 Beamten ein vorzeitiges Ende. Sie kesselte etwa 500 Menschen auf dem Gelände des Grenzcamps ein. Dabei kam es auch zu brutalen Schlagstock-, Pfefferspray- und Tränengaseinsätzen. Die Polizei begründete die Massengefangennahme, bei der 360 Personen zur Feststellung der Personalien in die Gefangenensammelstelle Brühl bei Köln gebracht wurden, mit »erheblichen Straftaten«, die im Laufe der Woche von den GrenzcamperInnen begangen worden wären. Dabei war immer wieder von 84 Straftaten die Rede, derentwegen ermittelt wird.
Da aber in keinem einzigen Fall ein Haftbefehl beantragt wurde, scheinen auch nach bürgerlichem Rechtsverständnis keine schweren Straftaten begangen worden zu sein. Alle Festgenommenen wurden bereits am Vormittag des 10.8. wieder freigelassen. Der Kölner Appell gegen Rassismus teilte mit, dass selbst einige Polizeibeamte die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes bezweifelten: »Wir haben mit einfachen Kölner Polizeibeamten gesprochen und uns wurde versichert, dass das, was den Grenzcampern an Delikten vorzuwerfen sei, von vielen Ereignissen um das Müngersdorfer Fußballstadion mehrfach in den Schatten gestellt wird — ohne dass die Stadtverwaltung oder die Landesregierung auf die Idee kämen, ein Bundesligaspiel verbieten zu lassen oder gar wildgewordene Fans in ein Gefangenensammellager zu transportieren.«
Die konservative Kölnische Rundschau berichtete am 11.8. über eine Äußerung des Kölner Polizeipräsidenten Steffenhagen wie folgt: Steffenhagen ist »sehr zuversichtlich«, dass das nächste Treffen (gemeint ist das Grenzcamp) vom zuständigen Gericht verboten wird. In den vergangenen Tagen hätten die Kräfte »eindeutiges Beweismaterial« gesammelt. Diese Äußerung legt nahe, dass es sich bei dem Polizeieinsatz um eine auf Landes- oder gar Bundesebene abgestimmte Aktion handelt, die erstens der Einschüchterung und Kriminalisierung antirassistischer AktivitistInnen dient und zweitens die Erfassung der Daten der meist sehr jungen und polizeilich bisher unbekannten CamperInnen ermöglicht.
Der Kölner Appell gegen Rassismus stellt dazu in einer Presseerklärung fest: »Engagierte junge Leute aus unterschiedlichen politischen und jugendkulturellen Milieus veranstalten seit sechs Jahren Grenzcamps, um dieses mörderische neue Grenzregime im sich vereinigenden Europa öffentlich anzuprangern. Diese Kritik — auch wenn sie hin und wieder in ungewöhnlichen und bisher unbekannten Formen vorgetragen wird — kann diese Stadt und dieser Staat offensichtlich nicht ertragen.«
Die Pressegruppe des Grenzcamps erklärte: »Das 6.Antirassistischen Grenzcamp, welches sich gegen staatlichen und alltäglichen Rassismus richtet, soll in der Öffentlichkeit als kriminell dargestellt werden. Angesichts von Abschiebungen in Folter und Tod sind Müll im Ibis-Hoteleingang sowie Störung der Flugabfertigungen wegen Beteiligung am Abschiebegeschäft Ausdruck von Zivilcourage und sollten nicht zu kriminellen Aktivitäten hochstilisiert werden. Die Aktionen des Grenzcamps sind in erster Linie symbolischer Natur und sollen irritieren und provozieren.«
In Kiel, Dresden, Leipzig, Hamburg, Göttingen, Freiburg, Köln, Bielefeld, Frankfurt am Main und im Wendland gab es teilweise noch am Abend des 9.8. spontane Solidaritätsaktionen. Am 16.8. fand abends auf dem Kölner Ringfest, das parallel zur Musikmesse Popkomm stattfand, eine Demonstration mit ca. 100 Teilnehmenden statt. Wegen der vielen Besucher des Ringfests erregte die Demonstration einiges Aufsehen und die Eingriffmöglichkeiten der Polizei blieben begrenzt. Es bleibt zu hoffen, dass der Versuch, antirassistischen Protest und zivilen Ungehorsam zu kriminalisieren, keinen Erfolg haben wird.


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