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Die fälligen Entscheidungen über das zentrale Führungspersonal in der IG Metall wurden nach
einstimmigem Vorstandsbeschluss von dem für Oktober vorgesehenen Gewerkschaftstag auf Ende August vorgezogen. In den Frankfurter Messehallen
wird sich in den Tagen vom 29. bis 31.August zeigen, ob sich für die schwere Orientierungs- und Führungskrise der Gewerkschaft ein
Lösungsweg anbahnt.
Skepsis ist angebracht. Die massiven Mitgliederverluste, das rückläufige
Engagement und die daraus resultierende Schwächung der Organisations- und Finanzkraft halten unvermindert an. Die organisationsinterne
Auseinandersetzung um den abgebrochenen Streik in Ostdeutschland für die Einführung der 35-Stunden-Woche auch dort, verknüpft mit dem
Machtkampf um die zentrale Führung, hat die Krise nur schonungslos offengelegt. Ansehen und Handlungsfähigkeit der größten
Einzelgewerkschaft im DGB waren jedoch schon vorher geschwächt. Kräfte und Konzepte, die Krise progressiv anzugehen, sind bisher kaum in
Sicht aber letztlich entscheidend.
Schon vor dem Streikdebakel war deutlich, dass die IG Metall unfähig ist, wirksam und
mit unabhängigen Aktionen gegen die Massenerwerbslosigkeit vorzugehen und gegen die Sozialschweinereien der Schröder/Fischer-Regierung
für eine Sozial- und Steuerreform zu mobilisieren, die den Namen verdient. Alle Konzepte, im Angestellten- und Jugendbereich neue Mitgliederpotenziale
zu erschließen, sind gescheitert; die Mitgliedschaft ist stark verunsichert, das Engagement der betrieblichen Vertrauensleute ist massiv
zurückgegangen, Zehntausende Mitglieder sind ausgetreten das alles ist nicht erst Ergebnis des Streikabbruchs.
Wenn jetzt die sog. Tandemlösung, d.h. die Wahl von Peters und Huber an die Spitze der
Organisation, wieder aufgelebt ist, muss dies deshalb keineswegs bedeuten, dass die entscheidenden Fragen nun auf progressive Weise entschlossen angegangen
würden. Ob die Fortsetzung des Gewerkschaftstags im Oktober, wo es vor allem um die programmatische Orientierung geht, die fällige Erneuerung
einleitet, ist ebenfalls nicht ausgemacht. Der Personalkompromiss kann sich auch als vorübergehender »Modus Vivendi« im Machtapparat
herausstellen.
Immerhin wird der geschäftsführende Vorstand von 10 auf 7 Mitglieder
verkleinert. Soweit absehbar, dürfte der »Huber-Flügel« darin das Übergewicht haben. Ein linksgewerkschaftlicher Exponent des
Vorstands wie Horst Schmitthenner, der 1988 gegen den Willen des damaligen Vorsitzenden Franz Steinkühler vom Gewerkschaftstag in den Vorstand
gewählt wurde, scheidet aus Altersgründen aus. Offen ist derzeit, ob es kurzfristig noch zu Kandidaturen für den engeren Vorstand kommt
und wer sich dabei durchsetzt. Schon jetzt hat Peters erklärt, daß er bereit ist, nach einer Wahlperiode als Erster Vorsitzender den Stab an Huber zu
übergeben. Das Zugeständnis gehört offenbar zu dem Kompromißpaket.
Führende Funktionäre bestreiten, daß die IG Metall vor einer
Richtungsentscheidung steht. Sie mögen insoweit recht haben, als die Unterschiede zwischen Peters und Huber überhaupt nicht so sind, wie in der
veröffentlichten Meinung dargestellt (»Betonköpfe« gegen »Reformer«). Sie sind vorhanden und keineswegs belanglos.
Ohne sie wäre der Streit um die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche im Osten nicht zu erklären und erst recht nicht die Offensive des rechten
Flügels gegen den Streik und nach dem Streikabbruch. Aber gemessen am Reformbedarf in der IG Metall, insbesondere am Bedarf an innerer Demokratie,
regierungsunabhängiger Ausrichtung und konsequenter Interessenwahrnehmung sind die Unterschiede zwischen den beiden Hauptfunktionären in
der Tat programmatisch nicht gegensätzlich.
Dies machten Peters und Huber auch in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 23.7.03
deutlich. Der Abschnitt über die »Reform des Sozialstaats« verliert kein Wort über die gewaltige Umverteilungsoffensive durch die
Bundesregierung und die Aufgaben der IG Metall, sondern wiederholt nur die formelhaften Sprüche der Regierung und der veröffentlichten
Meinung. Da schreibt selbst Zwickel in seiner Rücktrittserklärung: »Viele Mitglieder und Funktionäre, unsere Vertrauensleute und
unsere Betriebsräte spüren in der täglichen Arbeit, dass wir mit einer Politik des ›Weiter so‹ immer weniger Arbeitnehmer
erreichen.« Aber, damit keine falschen Hoffnungen aufkommen, schränkt er sofort ein: Man müsse »sowohl die Meinung der
Gesamtheit unserer Mitglieder und der Arbeitnehmerschaft, als auch die wirtschaftlichen Gegebenheiten und die gesellschaftliche Realität zur Kenntnis
nehmen«. Und: »Die IG Metall muss in der Wirklichkeit ankommen.« Aussagen, die geradezu banal sind, aber vor dem Hintergrund der
Streits über den Einsatz von Streiks zur Durchsetzung der Mitgliederinteressen nur anpasslerisch gemeint sein können. »Andere«, so
Zwickel weiter, »halten daran fest, dass gerade unter schwierigen Bedingungen kein Zweifel an der gewerkschaftlichen Entschlossenheit und den
bisherigen Zielsetzungen aufkommen dürfe. Auch dann nicht, wenn die aktuellen Erfahrungen wie z.B. beim Widerstand gegen die Agenda 2010 und die
tarifpolitische Niederlage in Ostdeutschland dagegen sprechen.«
Ist man hier buchstäblich gezwungen, zwischen den Zeilen zu lesen, so haben sich
andere aus Zwickels bzw. Hubers Lager, u.a. der Hauptkassierer Bertin Eichler, der wieder kandidieren wird, gegenüber Betriebsräten und
Vertrauensleuten deutlicher ausgedrückt. Er deutet die schwache Mobilisierung gegen die Agenda 2010 im Frühsommer schlicht in Zustimmung
zum Regierungskurs um und fordert eine entsprechende Kurskorrektur der IG Metall.
Zu einer wirklichen Erneuerung der Gewerkschaft, die überfällig ist, bedarf es mehr: einer breiten Basisbewegung und einer alternativen
gewerkschaftspolitischen Orientierung gegen die sozialpartnerschaftliche Grundorientierung. Das wäre ein echter Richtungsstreit mit der
Möglichkeit für die Delegierten, auch eine Richtungsentscheidung zu treffen. Eine so verstandene Richtungsentscheidung ist von Kombinationen in
der Apparatspitze und von seiten der einflussreichen Spitzenbetriebsräte nicht zu erwarten. Aber genau diese Basisbewegung hat als innerorganisatorischer
Faktor bisher kaum Gewicht.
Das Potenzial dafür ist durchaus vorhanden. Das beweisen allein schon die zahlreichen
Briefe und Stellungnahmen an den Vorstand nach dem Streikabbruch und angesichts des offenen Ausbruchs der Führungskrise. In den offiziellen
Publikationen der IG Metall oder auf ihren Internetseiten fanden diese in aller Regel keine Beachtung.
Unschätzbar wertvolle Hilfe hat hier die Kommunikationsplattform Labournet geleistet.
Bis hinunter in Bezirksleitungen, Ortsvorstände und Betriebsratsgremien haben dagegen wichtige Funktionäre die Flut von Stellungnahmen nicht als
Ausdruck von demokratischem Engagement, sondern von Führungsschwäche interpretiert.
Das nach wie vor vorhandene, fortschrittliche Potenzial in der IG Metall kommt auch in den
zahlreichen Anträgen zum 20.o.Gewerkschaftstag zum Ausdruck (die ohnehin schon gefiltert sind) sei es zur Arbeitszeit-, Entgelt- und
Sozialpolitik, zum Erhalt des Flächentarifvertrags, zum Arbeitsrecht oder zur Friedenspolitik. Was bisher nicht gelungen ist gewisse Ausnahmen
bestätigen die Regel , ist eine stärkere Koordination der Aktivitäten an der Basis, die Ausarbeitung von gemeinsamen tarif- und
sozialpolitischen Vorstellungen, Forderungen zur Überwindung der Orientierungskrise und zur Demokratisierung der Organisation.
Wenn es nicht gelingt, eine Strömung aufzubauen, die erfolgreich dafür
kämpft, die Gewerkschaft wieder zu einer von Staat und Parteien unabhängigen Sozialbewegung zu machen, ist der weitere Abstieg auch von
scheinbar festgefügten Organisationskolossen wie der IG Metall vorgezeichnet.
Hermann Dierkes
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