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Bild hat es schon lange gewusst: »Steuern runter macht Deutschland munter«. Der Kanzler hats dann auch
kapiert und selbst die Opposition ist nun auf den Trichter gekommen: Runter mit den Steuern für mehr Wachstum und Beschäftigung! Und sozial ist
ja bekanntermaßen, was Beschäftigung schafft. Alle freuen sich, der Dax zieht an, Lob kommt selbst vom Dauerspaßvogel Westerwelle.
Wer nicht in die Laudatio einstimmt, wird als Blockierer und Modernisierungsfeind
öffentlich geächtet. Nur: Wer die Fakten ansieht, wird nicht umhin können, die Steuerreform abzulehnen, weil sie nicht nur nicht hält,
was sie verspricht sondern sich die Versprechungen in ihr Gegenteil verkehren.
Die dritte Stufe der Steuerreform ist in erster Linie ein Geschenk an die Besserverdienenden. Zwar wird der Eingangssteuersatz von 19 auf 15% gesenkt und
der Freibetrag angehoben, wovon niedrige Einkommen profitieren, am meisten jedoch nicht nur absolut, sondern auch relativ gewinnen
Gutverdienende. Sie haben einen doppelten Vorteil: Einmal werden sie von der Absenkung des Spitzensteuersatzes von derzeit 48,5 auf 42% begünstigt,
genauso dürfen sie sich aber über die Entlastung durch niedrigere Eingangssteuersätze und höhere Grundfreibeträge freuen.
Ein Beispiel: Eine alleinstehende Arbeitnehmerin, 1 Kind, Jahreseinkommen brutto 23000
Euro. Ihr monatliches Haushaltseinkommen beträgt derzeit einschließlich Kindergeld 1793 Euro. Ab 2004 würde sie ohne den neuen
Freibetrag für Alleinerziehende pro Monat 1774 Euro erhalten, also 19 Euro weniger, weil der bis einschließlich 2003 geltende Steuerfreibetrag
für den Haushalt Nichtverheirateter mit Kindern aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes ab 2004 abgeschafft werden musste. Das
Bundesverfassungsgericht sah nämlich den besonderen Schutz der Ehe und Familie bedroht, wenn Unverheiratete einen steuerlichen Vorteil erhalten, den
Verheiratete nicht erhalten.
Als der Regierung nach einigen Monaten bewusst wurde, dass Alleinerziehende trotz der
Steuerreform de facto schlechter gestellt sind, haben sie einen Freibetrag für »wirklich« Alleinerziehende eingeführt. Abgesehen davon,
dass fraglich ist, wann jemand »wirklich« allein erziehend ist, ist der finanzielle Vorteil minimal: Im Ergebnis erhält die Alleinerziehende mit
dem neuen Freibetrag 15 Euro pro Monat mehr als in 2003, das entspricht 0,89%.
Zum Vergleich: Ein allein stehender Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen von 68000
Euro erhält 2003 jeden Monat 3802 Euro. Ab 2004 werden ihm 4018 Euro im Monat überwiesen, mithin 5,7% mehr. Soweit zur sozialen
Gerechtigkeit.
Richtig wäre es gewesen, durch Absenkung des Eingangssteuersatzes, Erhöhung
des Grundfreibetrags und deutliche Anhebung des Spitzensteuersatzes endlich die Umverteilung von unten nach oben zu stoppen. Mit dem Vorziehen der
Einkommensteuerreform 2004 wird das verhängnisvolle Auseinanderdriften bei den Arbeitnehmerbezügen durch unangemessen niedrige
Lohnerhöhungen bei den unteren Einkommensklassen durch die Steuerreform noch verstärkt.
Nach wie vor sind gering verdienende Alleinerziehende weit schlechter gestellt als ihre
verheirateten Artgenossen. Es wird Zeit, das bisher sakrosankte Dogma der Ehe und das damit einhergehende patriarchale Gesellschaftsverständnis
über Bord zu werfen und die staatliche Subvention der Ehe als Institution endlich abzuschaffen.
Zunächst: Die Wachstumsfrage kann nicht nur unter rein ökonomischen Gesichtspunkten gestellt werden. Die Frage nach den Grenzen des
industriellen Wachstums ist keine, die leicht beantwortet werden kann. Unzweifelhaft ist aber, dass immense Wachsumspotenziale in den Bereichen Gesundheit,
Bildung und Kultur vorhanden sind, die garantiert ökologisch unschädlich sind. Natürlich stellt sich hier die Frage, wer zahlt und wer bietet
an.
Hierzu nur kurz: Der Nutzen solcher Güter, deren Ausweitung gesamtwirtschaftlich
sinnvoll ist, wird häufig vom Einzelnen zu gering geschätzt. Er wird also lieber mehr Geld in den industriellen Konsum stecken mit all den
ökologischen Problemen. Und: Private Anbieter wollen Gewinne sehen. Sie werden also bevorzugt solche Leistungen anbieten, die maximale Profite
versprechen. Es liegt auf der Hand, dass diese Selektion nach ökonomischen Gesichtspunkten wohl kaum mit den realen Bedürfnissen von
Menschen in Einklang zu bringen ist. Doch das nur am Rande.
Nach diesem Exkurs steht die Frage zu beantworten, ob die Steuerreform überhaupt
Wachstum fördert. Die These: Nein.
Warum? Bund, Länder und Gemeinden haben durch die Steuerreform weniger
Einnahmen, auch wenn die Ausfälle zu zwei Dritteln durch Subventionsabbau refinanziert werden sollen. Es bleibt ohne Neuverschuldung
bei einem Drittel weniger. Nun geben aber Bund, Länder und Gemeinden jeden Euro, den sie verdienen auch wieder aus; sei es für Investitionen
oder für die Entlohnung ihrer Angestellten. Jeder vom Staat und seinen Gebietskörperschaften bezahlte Euro erhöht so das
Bruttoinlandsprodukt, den entscheidenden Wachstumsindikator.
Gibt man nun den BürgerInnen mehr Geld auf die Hand, können sie damit
zweierlei machen: Entweder sie geben das Geld aus oder sie sparen es. In der Regel ist es so, dass die Neigung, zusätzliches Geld auszugeben, abnimmt, je
mehr Geld jemand hat. Das leuchtet unmittelbar ein, es macht keinen Sinn, noch eine Spülmaschine zu kaufen, wenn man schon eine hat.
Wie oben gezeigt, entlastet die Steuerreform Besserverdienende mehr als Wenigverdiener.
Weil die Besserverdiener aber mehr sparen, kann mit diesem Teil erst mal kein Wachstum erzielt werden. Vergleicht man das Wachstum, das erzielt
würde, wenn das Geld vom Staat ausgegeben wird mit dem, das erzielt wird, indem man die Steuerzahlenden entlastet, stellt man fest, dass die
Steuerreform das Wachstum nicht verstärkt, sondern bremst.
Auch hier müsste eigentlich erst die Frage nach der unter sozialen und fortschrittlichen Gesichtspunkten wünschenswerten Art von
Beschäftigung geklärt werden. Weil aber die Ausführungen dazu Schränke füllen, sei hier nur die These vertreten, dass
Menschen sichere, ausreichend bezahlte und ihren Fähigkeiten gerecht werdende Beschäftigungen brauchen. Nur um den Ausbau solcher
Arbeitsplätze geht es also.
Dass Wachstum sich generell positiv auf die Beschäftigung auswirkt, ist unumstritten.
Aber: durch die Steuerreform wird umverteilt, Geld kommt vom Staat zu Einzelpersonen, die entweder selber Beschäftigung schaffen oder über
ihren Konsum zu mehr Beschäftigung beitragen in der Regel im privaten Sektor. Dem Staat als Arbeitgeber steht jedenfalls weniger Geld zur
Verfügung. Ist man der Meinung, dass die Beschäftigung im öffentlichen Dienst grundsätzlich eine gute Sache ist, weil der Staat als
Anbieter gesamtgesellschaftlich sinnvoller Leistungen nicht den Profitzwängen Privater unterliegt und so dem Ideal einer Verteilungsgerechtigkeit
zumindest theoretisch näher kommen kann, so ist der Abbau des öffentlichen Dienstes ein sozialer Rückschritt.
Abgesehen davon, dass das Wachstum durch die Steuerreform eher gebremst wird, also
weniger Beschäftigungsimpuls entsteht, ist jetzt noch die Frage zu beantworten, welche Beschäftigungswirkung sich durch den Mehrkonsum
Privater und Unternehmer ergibt. Einmal sicher eine im haushaltsnahen Bereich durch die Entlastung von Besserverdienern. In der Realität häufig in
Form von asozialer Schwarzarbeit. Die Auswirkungen durch den Mehrkonsum auf Arbeitsplätze sind nicht so leicht festzustellen: Zum Teil wird
importierte Ware konsumiert, was möglicherweise Arbeitsplätze im Ausland entstehen lässt, also nicht das Schlechteste.
Ob und wie der Konsum Arbeitsplätze in der BRD schafft, hängt davon ab, ob
Produkte im kapitalintensiven oder eher im lohnintensiven Bereich nachgefragt werden. Geht man aber davon aus, dass der Staat als Arbeitgeber
hauptsächlich in den personalintensiven Bereichen (wie öffentliche Sicherheit, Bildung, Gesundheit und Kultur) beschäftigt, liegt die
Vermutung nahe, dass staatliche Mehreinnahmen eher zu Mehrbeschäftigung führen als Mehrkonsum.
Fazit: Der Regierung ist es einmal wieder gelungen, in einem geschickten Coup die
gutgläubige Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen. Nur: Der Kaiser bleibt nackt, auch wenn es keiner wahrhaben will.
Astrid Kraus
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