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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2003, Seite 12

Der Krieg im Krieg

Besatzung und Widerstand im Irak

Am 1.Mai hat US-Präsident Bush das offizielle Ende der Kampfhandlungen im Irak erklärt. Mit einer Militärmaschine auf einem Flugzeugträger gelandet, reklamierte er in Siegerpose und publicityträchtig den Sieg im Krieg gegen den Irak. Ein Ende des Krieges wurde, wie in Afghanistan, ausdrücklich nicht erklärt, da sich die US-Regierung ihre Aktionsmöglichkeiten nicht beschränken lassen will.
Eine offizielle Feststellung des Kriegsendes würde z.B. den Sieger nach internationalem Recht verpflichten, die ca. 7000 Kriegsgefangenen unverzüglich frei zu lassen und jegliche Straf- und Suchaktionen gegenüber Anhängern des Baath-Regimes einzustellen. Den Krieg offiziell nicht zu beenden, steht darüber hinaus in der Logik des von der US-Regierung erklärten, weder regional begrenzten noch zeitlich berfisteten »Kriegs gegen den Terror«. In Bezug auf den Irak bedeutet dies, dass der Krieg erst dann für die USA beendet sein wird, wenn die politischen, wirtschaftlichen und strategischen Interessen im Irak und im Nahen Osten, die mit dem Angriffskrieg erreicht werden sollten, auch erreicht sind.
Bei der Stärke und technischen Überlegenheit der US-Armee war von Anfang an klar, dass die irakische Armee der Militärmaschinerie der Invasionsarmeen nicht standhalten konnte. Der schnelle Zusammenbruch des Baath-Regimes war jedoch nicht nur das Ergebnis der Übermacht der britischen und US-Armee, sondern lag vor allem daran, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, inkl. der Soldaten, nicht bereit war, das Baath-Regime zu verteidigen. Die Soldaten der Interventionsmächte wurden nicht, wie offensichtlich von diesen erhofft, als Befreier gefeiert und behandelt, sondern von Anfang an als das gesehen, was sie tatsächlich sind: Angreifer und Besatzer.
Die Mehrheit der Bevölkerung begrüßte den Sturz des Regimes, forderte jedoch gleichzeitig den möglichst schnellen Abzug der Besatzer und den Übergang der Macht an eine gewählte irakische Übergangsregierung. Mit jedem Tag, mit dem das Besatzungsregime andauert, wächst deswegen der Unmut in der Bevölkerung, nehmen Protestaktionen und auch bewaffnete Angriffe auf die Besatzungstruppen zu. US-Regierungsbeamte sprechen bereits offen davon, dass ein »neuer« Krieg begonnen hat: Der Krieg im Krieg.

Die Praxis der Besatzungsmächte

Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns — dieses Denken prägt auch den Umgang der Besatzungsmächte mit der Zivilbevölkerung, die neben den Anhängern des Baath-Regimes längst zum inneren Feind erklärt wurde.
Protestaktionen wegen der schlechten Versorgungslage, fehlendem Strom und Wasser und der katastrophalen Sicherheitslage für die Zivilbevölkerung begegnen die Besatzungstruppen inzwischen mit Festnahmen und Waffeneinsatz. Mehrere Demonstranten wurden in den letzten Monaten erschossen, Hunderte verletzt. Werden Besatzungssoldaten angegriffen, folgen Strafaktionen gegenüber dem ganzen Stadtviertel, in dem der Angriff stattfand.
Neben Hausdurchsuchungen und oftmals willkürlichen Festnahmen, wird die Bevölkerung auch kollektiv, z.B. mit Stromabschaltung, bestraft. Bei Razzien, die mit der Suche nach Anhängern der Baath-Partei begründet werden, gehören Verletzte und Tote längst zu den »normalen« Begleiterscheinungen. Britische wie auch US-Soldaten beschädigen bei Razzien ohne Grund Häuser und Besitz der Betroffenen, Türen werden eingetreten, Wohnungseinrichtungen zertrümmert, Angst und Schrecken verbreitet, geprügelt, selbst Kinder in Handschellen gelegt.
Besonders demütigend wird auch das Vorgehen gegenüber Frauen empfunden, wenn diese von den Soldaten körperlich durchsucht werden und die Art der Gewaltanwendung eindeutig sexistisch motiviert ist. Die Verhaltensweisen der Besatzungstruppen entsprechen einer Kolonialherrenmentalität und lassen jeglichen Respekt gegenüber der irakischen Bevölkerung vermissen.
Die Einhaltung der Menschenrechte, aus Propagandagründen von Bush und Blair noch als Kriegsgrund aufgegriffen, ist längst kein Thema mehr für die Besatzer. Willkürliche Verhaftungen, Liquidierungen von tatsächlichen und vermeintlich feindlichen Kräften sind an der Tagesordnung, festgenommenen Personen werden die Hände auf dem Rücken gefesselt und mit Kapuzen und Tüten über dem Kopf abtransportiert. Internationalen Organisationen ist der Zugang zu den Gefangenen- und Internierungslagern verwehrt, die Haftsituation ist menschenunwürdig und widerspricht jeglichen rechtlichen Vorgaben.
Amnesty International wirft den US-amerikanischen und britischen Truppen im Irak vor, Tausende irakische Gefangene ohne Anklage und unter entsetzlichen Bedingungen festzuhalten. Einige Iraker seien gezwungen worden, 48 Stunden lang in sengender Hitze in der Sonne zu stehen. In den Gefangenenlagern fehle es an sanitären Einrichtungen, die Familien würden über den Verbleib der Gefangenen nicht informiert und bewusst über deren Schicksal im Unklaren gelassen.
In einem dazu erstellten Memorandum werden Einzelheiten dargestellt: Die Gefangenen müssen in Zelten oder sogar unter freiem Himmel in extremer Hitze (Tagestemperaturen um 50 Grad) ausharren; sie werden mit lauter Musik beschallt und werden zu schmerzhaften Körperhaltungen gezwungen; die Wasserrationen sind so knapp, dass sich die Gefangenen teils wochenlang nicht waschen können. Viele ehemalige Gefangene der US-Armee berichten außerdem, dass bei der Festnahme persönliches Eigentum und Geldbeträge beschlagnahmt würden, eine Rückgabe bei der Haftentlassung aber nicht erfolge.
Auch die britische Armee ging und geht mit irakischen Gefangenen, egal ob es sich um Soldaten oder Zivilisten handelt nicht besser um. So soll z.B. Oberstleutnant Collins, gegen den jetzt immerhin ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, irakische Zivilisten misshandelt und Scheinexekutionen durchgeführt haben. Die untergebenen Soldaten wurden von ihm angehalten, dem Feind gegenüber »keine Gnade« zu zeigen. Der Feind müsse »vernichtet« und »ausgemerzt« werden.
Den Besatzungstruppen wird sogar die Folterung von Kriegsgefangenen vorgeworfen. In von Amnesty International gesammelten Zeugenaussagen ist von stundenlangen Schlägen, ausgeschlagenen Zähnen und Misshandlungen mit Elektroschocks die Rede.

Kolonialstatus mit UN-Mandat

Die US-Regierung möchte zwar den demokratischen Schein wahren — im Vordergrund steht aber die Etablierung einer Regierung, die die Interessen der USA in der Region unterstützt, Militärstützpunkten der US-Armee im Irak zustimmt und die wirtschaftlichen Grundentscheidungen im Sinne einer Durchkapitalisierung und Privatisierung entsprechend den Kapitalinteressen vor allem der US-amerikanischen Konzerne absichert. Da darf es dann auch ein bisschen weniger an Demokratie sein. »Ich denke die Amerikaner haben eine ziemlich klare Vorstellung davon, was sie im Irak wollen. Was sie wollen ist demokratischer als Saddams Regime, aber weniger demokratisch als das, was wir als Demokratie bezeichnen würden«, so der Sicherheitsexperte am Royal Institute of International Affairs, Tim Garden.
Vor diesem Hintergrund wurden verschiedenste US-Modelle für eine irakische Regierungsbildung in den letzten Monaten entworfen und verworfen. Allen diesen Vorschlägen gleich ist jedoch der Charakter einer letztlich von US- Gnaden eingesetzten, nach Religion und Ethnie bestimmten Kriterien gebildete Regierung. Selbst unter diesen, von den Besatzern festgelegten, einschränkenden Bedingungen müssen die USA und ihre Kriegspartner jedoch damit rechnen, dass sich die in einer solchen Regierung vertretenen politischen Strömungen nicht den Interessen der USA unterordnen und als Marionetten benutzen lassen würden.
Deshalb wurde selbst diese Demokratie-light-Version auf Eis gelegt. Eingesetzt wurde lediglich eine Übergangsverwaltung, die den Besatzungsmächten zuarbeitet. Sprecher der US-Regierung warnten dabei vor einer voreiligen demokratischen Regierungsbildung im Irak und malten das Schreckgespenst einer möglichen neuen Diktatur an die Wand.
Gleichzeitig wird die langjährige Besatzung des Irak vorbereitet. Am 21.April hatte zunächst der ehemalige Dreisternegeneral Jay Garner als Chef jener Besatzungsbehörde, die irreführender Weise »Büro für Wiederaufbau und humanitäre Unterstützung« genannt wird, sein Amt angetreten. Bereits Anfang Mai wurde dann der direkt dem Weißen Haus unterstehende Paul Bremer zum obersten Zivilverwalter im Irak ernannt. »Es ist eine wunderbare Aufgabe, dem irakischen Volk dabei zu helfen, sein eigenes Land von einem despotischen Regime zurückzugewinnen«, so Bremer bei seiner Ankunft im Irak. Ob die irakische Bevölkerung die »Hilfe« nach US-Art überhaupt will, war ihm keine Frage wert.
Die Besatzungszeit wurde zwischenzeitlich immer weiter ausgedehnt. War Anfang Mai noch von einem Jahr die Rede, so spricht die US-Regierung nun von der Notwendigkeit einer mehrjährigen Besatzungszeit.
Mit der Durchsetzung der Sicherheitsratsresolution 1483 ist es den USA und Großritannien gelungen, ihrem Besatzungsregime im Irak den Mantel der Legitimität zu verleihen und dieses nun auch auf der politisch- diplomatischen Ebene zu festigen und abzusichern. Am 22.Mai hat der UN-Sicherheitsrat mit 14 von 15 Stimmen (der Vertreter von Syrien hat die Sitzung boykottiert) dem von den USA eingebrachten Resolutionsentwurf zugestimmt, mit dem die USA und Großbritannien als »oberste Autorität« im Irak anerkannt werden.
Der Sicherheitsrat stimmte zu, dass die oberste Kontrolle und alle wesentlichen Entscheidungen im Irak auf unbestimmte Zeit in der Befugnis der Besatzer bleiben. Die Besatzung soll erst dann enden, wenn »durch das irakische Volk eine international anerkannte, repräsentative Regierung« etabliert ist. Da zur Art und Weise, wie diese Wahl erfolgen soll, welche Parteien daran teilnehmen können usw., keine Angaben gemacht werden, obliegt offensichtlich auch diese Entscheidung den Besatzungsmächten.
Mit der Zustimmung zur Resolution 1483 haben die BRD, Frankreich und Russland den Krieg gegen den Irak nicht nur nachträglich legitimiert, sie sind darüber hinaus auch ab sofort mitverantwortlich für die Handlungen der Besatzungsmächte. Dies betrifft die geplante Ausplünderung der Rohstoffreserven ebenso wie die Ausbeutung der Arbeitskraft der irakischen Arbeiterklasse und die Repressions- und Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber der Bevölkerung.
Die in der Bevölkerung anhaltenden Proteste gegen die unzumutbaren Lebensbedingungen, das Versagen bzw. die Untätigkeit der Besatzer bei der Instandsetzung notwendiger Infrastruktur, sowie die erkennbare Absicht der Besatzer, sich dauerhaft festzusetzen, hat die US-Regierung Mitte Juli zum neuesten Schachzug veranlasst: Einsetzung eines Regierungsrats aus 25 handverlesenen Persönlichkeiten, der nach außen hin als demokratisches Feigenblatt fungieren und die Lage etwas befrieden soll, jedoch keinerlei wirkliche Machtbefugnisse besitzt. Die Kontrolle über den Irak bleibt weiter beim US-Verwalter Bremer, der ein Vetorecht bezüglich aller Entscheidungen des Regierungsrates besitzt.
Dem Regierungsrat wurden zwar personelle und Haushaltsbefugnisse zugestanden, er verfügt aber über keinen unabhängigen Zugang zu finanziellen Mitteln. Die Verfügungsgewalt über die wichtigste Einnahmequelle des Irak, das Erdöl, verbleibt ebenso wie die Kontrolle über alle anderen Guthaben und Einnahmen bei den Besatzungsmächten. Auf dieser Grundlage kann der Regierungsrat letztendlich nichts anderes als Handlanger der Besatzungsmacht sein.
Zu den von den Besatzungsmächten an den Regierungsrat übertragenen Aufgaben gehört der Aufbau der zivilen Strukturen wie z.B. die Wasser- und Stromversorgung und das Gesundheitswesen. Die Taktik der Besatzungsmächte ist offensichtlich: Kritik an den Lebensbedingungen soll von den Besatzungsmächten weg und auf den Regierungsrat hin umgelenkt werden.

Die Schwäche der Opposition

Die Tatsache, dass sich alle bedeutenden politischen Kräfte der früheren innerirakischen Opposition wie KDP, PUK, IKP, Dawa-Partei, Sciri darauf eingelassen haben, sich am Regierungsrat zu beteiligen und nicht in der Lage waren, das Besatzungsmanöver gemeinsam zu boykottieren, zeigt die Schwäche und Uneinigkeit der innerirakischen Kräfte, die sich die Besatzungsmächte zunutze machen.
So ist es den früheren Oppositionsparteien bisher nicht gelungen, unabhängig von den Besatzungsmächten eine demokratische Alternative sichtbar werden zu lassen. Die von ihnen geforderte Nationale Konferenz aller politischen Kräfte, die ein Gremium zur Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs bestimmen und eine Übergangsregierung wählen sollte, hat bis jetzt nicht stattgefunden. Man hatte offensichtlich weder die politische Kraft noch den Mut, ein solches Projekt als Gegenmodell zu den Plänen der Besatzungsmächte durchzuziehen. Inhaltliche Differenzen wie Hegemonie- und Führungsansprüche einzelner Parteien verhindern bisher zudem ein gemeinsames Vorgehen. Alle am Regierungsrat beteiligten politischen Parteien der Kollaboration mit den Besatzungsmächten zu beschuldigen, ist jedoch in dieser schlichten Form zu vereinfachend und wird der Komplexität der politischen Situation und der Kräfteverhältnisse im Irak nicht gerecht.
Außerdem ist auf die internationale Situation hinzuweisen: Massenmobilisierungen wie gegen den Krieg hat es bisher gegen die Besatzung als Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln nicht gegeben. Gerade jetzt wäre jedoch eine internationale Solidaritätsbewegung unter Bezugnahme auf die demokratischen und fortschrittlichen Kräfte im Irak dringend notwendig.
Vor allem die Irakische Kommunistische Partei (IKP) wird wegen ihrer Beteiligung am Regierungsrat kritisiert. Die Beteiligung ist auch innerhalb der IKP nicht unumstritten, wird aber von einer deutlichen Mehrheit der Parteimitglieder mitgetragen. In einer Ende Juli beschlossenen Erklärung des ZK der IKP wird die Teilnahme am Regierungsrat, außer wegen einer befürchteten Kriminalisierung, vor allem damit begründet, dass sich »alle anderen irakischen politischen Parteien und nationalen und religiöse Gruppierungen im Land« beteiligen wollten. Die IKP macht zwar deutlich, dass die ursprüngliche Zielorientierung einer unabhängigen Übergangsregierung und des Abzugs der Besatzungstruppen nach wie vor besteht und weiter verfolgt wird, und dass die Teilnahme am Regierungsrat rein taktischer Natur ist. Die gleichzeitig vorgenommene Einschätzung, trotz aller Unzulänglichkeiten sei der Regierungsrat doch ein Schritt in die Richtung einer unabhängigen irakischen Regierung, ist jedoch angesichts der Rahmenbedingungen für die Einsetzung dieses Gremiums eine Fehleinschätzung. Die Gefahr, dass sich die IKP wegen der Teilnahme an einem Gremium, das keinerlei demokratische Legitimation besitzt, diskreditiert, wird nicht einmal thematisiert.

Formen und Charakter des Widerstands

Täglich wird aus dem Irak über Anschläge auf Soldaten der Besatzungstruppen und von Demonstrationen gegen die Besatzungsmächte berichtet. Teil des Widerstands sind außerdem die vielfältigen Formen der Selbstorganisation der Bevölkerung, die für die Herausbildung von Strukturen einer Gegenmacht zum Besatzungsregime von Bedeutung sind. Trotz der grundsätzlichen Rechtfertigung ist es jedoch wichtig, den Widerstand gegen die Besatzer hinsichtlich seiner Formen, politischen Zielsetzungen und Akteure genauer zu analysieren, um falsche Solidarisierungen zu vermeiden.
Die bewaffneten Angriffe richteten sich zunächst gegen die Soldaten der Besatzungsmächte. Zwischenzeitlich fand eine Ausweitung der Angriffe auch auf Kollaborateure mit den Besatzungsmächten statt. Dazu zählen die Angreifer auch Polizisten, die sich von den Amerikanern verpflichten ließen, außerdem Hilfspersonal der Besatzer und Verwaltungspersonen, denen Nähe zu den Besatzern unterstellt wird. Auch Ölpipelines, Elektrizitäts- und Wasserwerke werden immer öfter zu Angriffsobjekten. Dabei haben die Angriffe auf die Strom- und Wasserversorgung eine andere Qualität, da sie sich in den Auswirkungen nicht unmittelbar gegen die Besatzer, sondern gegen die Zivilbevölkerung richten.
Diese Angriffe verschlechtern die bereits miserablen Lebensbedingungen der Bevölkerung noch mehr und sind deshalb nach Ansicht der fortschrittlichen Kräfte im Irak grundsätzlich als Kampfmittel nicht geeignet. Angriffe auf die Ölpipelines treffen dagegen eine zentrale Kriegs- und Wiederaufbaufinanzierungsader der Besatzungsmächte und behindern deren Ausplünderungspläne.
Nach Einschätzung auch der linken und demokratischen Kräfte im Irak stehen hinter den bewaffneten Aktionen in erster Linie Anhänger des alten Baath-Regimes und radikale islamistische Gruppen. Die einen wollen am liebsten Saddam Hussein zurück an die Macht verhelfen, die anderen kämpfen für einen islamischen Gottesstaat. Mit solchen Zielvorstellungen kann allerdings der bewaffnete Widerstand der benannten Gruppierungen kein Bezugspunkt fortschrittlicher Kräfte sein. Es ist zwar eine steigende Akzeptanz und Unterstützung der bewaffneten Aktionen in der Bevölkerung festzustellen, dies hat jedoch wenig mit einer Verankerung oder gar Massenbasis der derzeitigen bewaffneten Angriffe zu tun, auch nicht mit einer politischen Unterstützung der benannten Gruppen.
Keine der früheren Oppositionsparteien im Irak fordert derzeit zum bewaffneten Kampf gegen die Besatzungstruppen auf, auch nicht die IKP und die Arbeiterkommunistische Partei (API). Unter keinen Umständen möchte man sich außerdem in einer Allianz mit Saddam-Anhängern und Radikalislamisten wiederfinden, auch dann nicht, wenn das vordergründig gemeinsame Ziel der Abzug der Besatzer ist. Der Abzug der Besatzungsmächte kann nicht ohne eine Perspektive für die Nachbesatzungszeit gedacht werden und da könne es keine Zusammenarbeit mit den Anhängern des Baath-Regimes oder einer Religionsdiktatur geben.
Das eingetretene Machtvakuum nach dem Zusammenbruch des Baath-Regimes konnten bisher vor allem die religiösen Kräfte zur Ausweitung ihres Einflusses in der Bevölkerung ausnutzen. Über die Moscheen verfügten sie über eine Organisationsstrukur, die sich nicht nur bei politischen Demonstrationen bewährte, sondern auch bei der Verteilung von Hilfsgütern und der Bildung von Selbstschutzgruppen gegen Plünderungen und zur Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung. Die größten, ein Ende der Besatzung fordernden Demonstrationen der letzten Monate waren politisch durch die »gemäßigten islamischen Parteien« geprägt.
Alle früheren politischen Oppositionskräfte im Irak haben nach dem Sturz des Baath-Regimes mit der Reorganisation ihrer Parteistrukturen begonnen. Auch IKP und API haben in vielen Städten des Irak Parteibüros eröffnet und erste eigene Parteipublikationen herausgebracht. Die politischen Kräfte, meist linke Parteien, die sich offen gegen den Kriegskurs der USA ausgesprochen hatten, setzen in ihrer politischen Arbeit derzeit auf die Selbstorganisation der Bevölkerung und Bildung einer Gegenmacht von unten, die Stück für Stück eine Parallelmacht zur Besatzungsmacht herausbilden soll. In diesem Zusammenhang wurde eine Vielzahl neuer Organisationen gebildet, wie z.B. die Gewerkschaft der arbeitslosen Arbeiter, die Organisation für die Freiheit der Frauen, Komitee für die Bildung von Arbeiterräten und Gewerkschaften.
Ein zentraler Punkt der Auseinandersetzung ist der Kampf um die zukünftige Struktur und politische Ausrichtung der Gewerkschaften. Das Interesse der Besatzungsmächte ist es, die Arbeiter möglichst zu den alten Arbeitsbedingungen und Niedrigstlöhnen wieder zur Arbeitsaufnahme zu bewegen. Dabei wollte man sich nicht zuletzt der alten Gewerkschaftsstrukturen der Saddam-Zeit und »bewährter Funktionäre« bedienen. Es ist ein nicht hoch genug zu bewertender Erfolg der Linken, diese Absicht in wichtigen Bereichen verhindert zu haben. So ist es gelungen, die Besatzungsmächte zumindest teilweise zu zwingen, bereits von den Besatzungsmächten eingesetzte Gremien wieder aufzulösen und die Gewerkschaftsgremien neu wählen zu lassen. Entgegen den Versuchen der Besatzer, die irakische Bevölkerung entlang ethnischer und religiöser Kriterien zu spalten, zeigte sich gerade bei den Gewerkschaftswahlen, dass die Arbeiterklasse andere Kriterien besitzt: im »schiitischen« Basra hat die IKP die Mehrheit erhalten. Die Frage, ob die alten Baath-Gewerkschaften überhaupt Bezugspunkt der Arbeiterklasse sein können oder deren Abschaffung die erste Aufgabe ist, ist innerhalb der Linken allerdings weiter heftig umstritten.
Die Option der Selbstorganisation der Bevölkerung und der Herausbildung von Strukturen der Gegenmacht zur Besatzung, die gleichzeitig Kern eines wirklich demokratischen Neuanfangs sind, dürfte sich als der einzige politische Ansatz erweisen, der eine grundlegende politische Alternative zu imperialistischer Bevormundung und Besatzung eröffnet.

Brigitte Kiechle

Brigitte Kiechle ist Autorin des Buches Irak. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft — Mit dem Maßstab der Freiheit (Schmetterling- Verlag 2003). In SoZ 6/03 erschien ein Interview mit ihr zur damaligen Lage im Irak.



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