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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2003, Seite 20

Mord & Totschlag

Ulrich Ritzel, Die schwarzen Ränder der Glut, btb Taschenbuch 2003, 413 S., 9 Euro.

Hans Filbinger, Ex-Ministerpräsident von Baden-Württemberg, soll zu seinem 90.Geburtstag am 15.September von der Stadt Freiburg eine Feier ausgerichtet bekommen. Der grüne Oberbürgermeister Salomon, dessen Pressesprecher noch auf die »unbestreitbaren Leistungen« des mit rechtsextremen Kreisen verbandelten früheren Landesvater hinweisen musste, bekommt nach ersten Protesten kalte Füße und will nun die Durchführung der Feierlichkeiten der CDU überlassen.
Erinnert sich die Kommissarin Tamar in Ulrich Ritzels Die schwarzen Ränder der Glut daran, wie sie als Kind genötigt wurde, dem schmallippigen, ehemaligen Marinestabsrichter die Hand zu schütteln, überfällt sie immer noch ein mulmiges Gefühl. Tamar ermittelt den Tod des Gerolf Zundt, abgestürzt am Franzosenstieg auf der Schwäbischen Alb. Ihr Ulmer Dienstleiter versucht nach Interventionen Stuttgarter Schlapphutkreise die Untersuchungen abzuwürgen. Es scheint übergeordnete Interessen zu geben, nicht allzu gründlich im Umfeld des verstorbenen Leiters der deutschnationalen Johannes-Grünheim-Akademie zu recherchieren.
Tamars Kollege Berndorf ist ihr am Tage seiner Pensionierung abhanden gekommen: Kurz vor der Übergabe seiner Entlassungsurkunde erhielt er die Nachricht vom Selbstmord eines ehemaligen Polizisten, der 1972 während eines von Berndorf geleiteten Einsatzes im Mannheim einen vermeintlichen irischen Terroristen erschoss. Berndorf begibt sich auf eine Reise in seine Vergangenheit und sucht die Menschen auf, die damals im Umfeld der sozialdemokratischen Zeitung Aufbruch die schwäbischen Verhältnisse zum Tanzen bringen wollten. Was aus ihnen geworden ist, hängt eng mit den Ereignissen des Juni 1972 zusammen.
Mit seinem Debutroman Der Schatten des Schwans, Ende der 90er Jahre erschienen, ist Ritzel ein großer Wurf gelungen, und sein dritter Krimi Die schwarzen Ränder der Glut steht dem in nichts nach: Quer durch die deutsche Geschichte verfolgt Ritzel die Spuren kleinbürgerlicher Opportunisten, deren jeweilige ideologischen Mäntelchen nur ihren Egoismus verdecken. Kleinliche Rachsucht und staatliche Intrigen befördern Tragödien, die in voller Absicht Leben und Lebenswege zerstören sollen. Soviel schamlose Böswilligkeit im Musterländle? Ritzel nimmt die gutbürgerliche Gesellschaft in Ulm und um Ulm und um Ulm herum gnadenlos auseinander, viele Romanfiguren aus dem schwäbischen 68er Milieu kommen einem seltsam bekannt vor.
Und wer zu guter letzt noch wissen will, wie es heutzutage in Lehr(er)körpern zu geht, der kommt auch da auf seine Kosten.

Udo Bonn

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