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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2003, Seite

Zeitzeugenschaft

Hermann Bogdal, »... dann werden wir künden, wie wir einst gelebt«. Erinnerungen, Norderstedt 2003, 162 S., 9 Euro

Wie oft haben wir das Lied von den Moorsoldaten gesungen, bei Gedenkfeiern oder bei politischen Veranstaltungen, und natürlich kannten wir die Entstehungsgeschichte dieses Liedes. Doch zum ersten Mal habe ich eine so eindrucksvolle Schilderung der Zustände aus einem dieser »Moorlager« gelesen, den Strafgefangenenlagern in den großen, unkultivierten Moorgebieten des Emslands. Beeindruckt hat mich vor allem die Solidarität und der Zusammenhalt unter den politischen Häftlingen, die ihnen die Kraft gaben, trotz der unmenschlichen Bedingungen durchzuhalten.
Im ersten Teil der Autobiografie zeichnet Hermann Bogdal ein lebendiges Bild vom Leben in den kinderreichen Bergarbeiterfamilien um die Jahrhundertwende, die aus Polen und Schlesien in das Ruhrgebiet kamen. Es war ein karges Leben in beengten Wohnverhältnissen und einer allgegenwärtigen sozialen Not. Da verwundert es nicht, wenn der Vater sich politisiert und Mitglied der KPD wird. Im Kommunistischen Jugendverband beginnt auch die politische Tätigkeit von Hermann. Wir erfahren, wie reichhaltig die »Arbeiterkultur« war, wie neben der politischen Arbeit die Beschäftigung mit Malerei, Musik und Fotografie ein lebendiges Kulturleben trotz der vielen Entbehrungen darstellte.
Die Familiengeschichte spiegelt das wechselvolle, von Streik und Aussperrung, Hunger und Arbeitslosigkeit gekennzeichnete Leben in der Weimarer Republik wider. Erzählt wird aber auch vom politischen Kampf gegen das soziale Elend. In den Schilderungen zum 1.Mai wird die gewaltige Kraft der KPD und ihr Einfluss auf die Arbeiterklasse deutlich.
Einen breiten Raum nimmt die Darstellung der zunehmenden Präsenz der Nationalsozialisten und das sich verändernde Klima im öffentlichen Leben der beginnenden 30er Jahre ein, gekennzeichnet von Unterdrückung und Verhaftungswellen. Die politische Arbeit im Jugendverband endet 1936 mit Haft, Prozess und Lager. Der Weg in die Katastrophe wird nicht ohne Kritik an der Politik der KPD beschrieben. Nach Zuchthaus und Strafgefangenenlager, Entlassung und Arbeitslosigkeit kommt 1944 noch die Einberufung in ein Strafbataillon. Nur durch Zufall erlebt Bogdal das Kriegsende.
Ungebrochen beteiligt er sich am Aufbau der KPD, bleibt aber auch hier nicht ohne Kritik am Verfolgungswahn der Partei gegenüber »Abweichlern«. Er erlebt Restauration und mangelnde Anerkennung der Widerstandskämpfer bis hin zur Aberkennung einer Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht, oft genug waren es ehemalige Nazis, die an diesen Urteilen beteiligt waren.
Mit 90 Jahren fasst er sein wechselvolles Leben zusammen und wird so zu einem wichtigen »Zeitzeugen« für die nachfolgende Generation. Entstanden ist eine engagierte Darstellung und ein lesenswertes Buch.
Hermann Bogdal starb am 21.Juli 2003 im Alter von 93 Jahren, ein Nachruf erschien in der Augustausgabe der SoZ.

Larissa Peiffer-Rüssmann

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