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Hundert Schritte beträgt die Entfernung zwischen den Häusern der Familien Impastato und Badalamenti in dem
kleinen sizilianischen Ort Cinisi bei Palermo. Gaetano Badalamenti ist der Chef der örtlichen Mafia, Luigi Impastato einer seiner Kumpane. Wer jetzt eine
klassische Mafiageschichte erwartet, liegt weder ganz falsch noch ganz richtig. Denn es handelt sich um einen politischen, gesellschaftskritischen Film
über die Mafia.
Es gibt sowohl in Italien als auch in den USA eine Tradition, Filme zu drehen, die sich mit der
Rolle der Mafia in der Gesellschaft befassen. In den USA wurde dieses Thema bspw. von Martin Scorsese mehrmals bearbeitet. In Italien waren es Regisseure
des neorealistischen Films, die sich des Themas in den 50er und 60er Jahren annahmen, so Francesco Rosi 1962 in dem Film Salvatore Giuliano. Im Mittelpunkt
dieser Filme stehen immer die Mafiosi und ihre Verbindungen zur gutbürgerlichen Gesellschaft, wodurch klar wird, dass Mafia und bürgerliche
Gesellschaft keine Gegensätze sind.
Marco Tullio Giordana, der Regisseur von 100 Schritte, stellt einen Antimafiakämpfer in
den Mittelpunkt. Dieser ist aber kein Polizist oder Staatsanwalt wie in populären Fernsehserien wie Allein gegen die Mafia, die eine andere, die
bürgerliche Gesellschaft eher rechtfertigende Tradition der filmischen Auseinandersetzung mit der Mafia repräsentieren. Die Hauptperson ist
vielmehr ein Linker, ein revolutionärer Sozialist: Giuseppe »Peppino« Impastato, der Sohn des Mafioso Luigi Impastato.
Peppino Impastato ist eine historische Figur, geboren1948, ermordet 1978. Dafür wurde
Gaetano Badalamenti am 11.April 2002 zu lebenslanger Haft verurteilt. 24 Jahre kämpften Freunde und Verwandte dafür, dass der Schuldige
für den Mord zur Rechenschaft gezogen wird. Peppino Impastato sagte sich Mitte der 60er Jahre von seiner Familie und damit von der Mafiakarriere, die
sein Vater für ihn geplant hatte, los. Er gründete in Cinisi eine linke Zeitung und engagierte sich zunächst in der linkssozialistischen PSIUP.
Ab Ende der 60er Jahren gehörte er zu der in Italien entstehenden Neuen Linken. 1976 gründete er immer noch in Cinisi ein
unabhängiges Radio und kandidierte 1978 für Democrazia Proletaria. Er verbrachte sein Leben in Cinisi und kämpfte dort, in Mafiopolis, wie
er es nannte, gegen die Mafia und ihre Verfilzung mit der bürgerlichen Politik und der »seriösen« Geschäftswelt. Seine
»Waffen« waren das gesprochene und geschriebene Wort.
Der Film entgeht der Gefahr, ein Heldenepos zu dichten. Peppino Impastato wird als durchaus
schwieriger Mensch dargestellt, der auch seinen Freundinnen und Freunden viel abverlangt. Seine Integrität wird aber nie in Frage gestellt. 100 Schritte ist
auch ein Film über die 68er-Bewegung und ihre Irrungen und Wirrungen mit esoterischem Hippiekult und unpolitischem Kommuneleben. Peppino
Impastato bleibt aber ein ernstzunehmender politischer Aktivist, der letztlich wegen seines Engagements ermordet wird.
Italien ist auch heute ein Land, in dem es einerseits eine relativ weit entwickelte soziale
Bewegung gibt, auf die viele deutsche Aktivistinnen und Aktivisten mit Neid schauen. Andererseits hat Italien in Gestalt von Silvio Berlusconi einen
Regierungschef, der wie kaum ein anderer die Verfilzung von bürgerlicher Politik und windiger Geschäftemacherei repräsentiert. Das macht
diesen Film so aktuell und so sehenswert. In Italien war 100 Schritte einer der erfolgreichsten Filme der letzten Jahre. Wo ist der deutsche Regisseur, der
gesellschaftliche Probleme in der BRD ähnlich überzeugend thematisiert wie Marco Tullio Giordana in Italien und Ken Loach in
Großbritannien?
Andreas Bodden
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