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»Duroville« ist der Teil Kaliforniens, den Besucher nie zu sehen bekommen und den die großen Macher nicht im Blick haben, wenn sie
über die Zukunft der sechstgrößten Wirtschaft der Welt diskutieren. Die verkommene 4000-Seelen-Gemeinde im Coachella-Tal gibt es
offiziell gar nicht: Ein Slum, der an die Unterkünfte der Saisonarbeiter in John Steinbecks Früchte des Zorns erinnert und von obdachlosen
Landarbeitern auf dem Grundbesitz des Cahuilla-Indianers Harvey Duro errichtet wurde.
Das Coachella-Tal ist der Prototyp einer Zukunftsvision Filmstarresidenz plus Kurort
, den kalifornische Konservative überall verwirklichen wollen. Der Westteil des Tals, von Palm Springs bis La Quinta, ist ein klimatisiertes
Paradies fest umzäunter Gemeinden inmitten künstlich angelegter Seen und 18-Loch-Golfplätzen. Der durchschnittliche Bürger ist 65,
Rentner, weiß, männlich und fährt in einem Golfkarren umher. Er ist ein eifriger Wähler, lehnt Steuern, positive Diskriminierung und
Sozialleistungen für die Migrantinnen, die ihn bedienen, ab.
Im Ostteil des Tals, von Indio bis Mecca, wohnen die Dienstmädchen, Busfahrer,
Schwimmbadreiniger und Landarbeiter des Kurorts. Dort gibt es einen Berg, der aus 500000 Tonnen festgebackenem Schlamm aus Los Angeles entstanden ist
und den kein einziges Hälmchen ziert. Die größte Wasserstelle in Duroville ist ein Abwasserklärtümpel, und als Kinderspielplatz
dient eine dioxinverseuchte Müllhalde. Der Durchschnittsbürger ist 18, spricht Spanisch oder ein Mischmasch und arbeitet ganztägig in der
gleißenden Wüstenhitze. Er oder sie hat meist nicht die amerikanische Staatsbürgerschaft und darf daher nicht wählen.
Dreck, Ausbeutung und kein Wahlrecht sind keine Ausnahmeerscheinungen, die es nur in den
ländlichen Tälern und den »Agrarfabriken« Kaliforniens gibt. Es gibt auch städtische Durovilles wie die Siedlungen, die sich nur
wenige Wohnblöcke von Downtown-Los Angeles entfernt ausbreiten. Entlang des goldenen Strandes nördlich von San Diego kampieren etwa
10000 Migranten in der Wildnis der Canyons hinter 800000-Dollar-Residenzen. Überall im Staate Kalifornien wohnen Hunderttausende von Migranten in
illegal konvertierten Garagen, schrottreifen Wohnwagen, ja sogar in Hühnerställen.
Die wirtschaftliche Ungleichheit hat sich in der letzten Generation verschärft, besonders im südlichen Teil des Staates. Im Gebiet von Los
Angeles sind die Einkünfte der oberen 20% der Erwerbstätigen im Durchschnitt 25mal so hoch wie die der untersten 20%. Auch ist ein Drittel der
Bürger von Los Angeles nicht krankenversichert, hat daher nur Zugang zu einer Anzahl überlaufener städtischer Krankenhäuser. Von
den dort tätigen Ärzten gibt es aus jüngster Zeit einen bestürzenden Bericht über die wachsende Zahl der der Personal- und
Bettenknappheit geschuldeten, vermeidbaren Todesfälle.
Dieses Kalifornien der Dritten Welt, für das Duroville ein so tragisches Symbol darstellt,
ist nicht zufällig entstanden. Die berühmten Steuerrevolten der 70er Jahre waren eine steuerpopulistisch verbrämte
Rassendiskriminierungspolitik. In dem Maße, in dem der Latinoanteil der Bevölkerung wuchs, verweigerten die von rechten Demagogen
aufgehetzten weißen Wähler dem öffentlichen Sektor ihre Unterstützung. So wurde Kalifornien ein Staat mit schlechten Schulen, der
sich folgerichtig zum Niedriglohnstaat mauserte. Überfüllte Klassenräume und gefährliche Spielplätze sind zusammen mit
prekären Jobs und Elendsvierteln Teil eines Teufelskreises.
Die kalifornische Arbeiterbewegung, der eine neue Generation von Organisatoren einen
Aufschwung brachte, bekämpft die schleichende »Mississippisierung« mit Hilfe von Gesetzesvorlagen über Mindestlöhne, macht
Druck für Mehrausgaben für Bildung und bemüht sich um die Schließung der Steuerschlupflöcher für die Reichen. Es gab
Erfolge (hauptsächlich bei der Bildungsfinanzierung), fortschrittliche Politiker müssen aber einen zähen Kampf gegen zwei enorme
strukturelle Hindernisse führen.
Das erste ist das Erbe der Verfügung Nr.13, die für fast alle
Steuererhöhungen überwältigende Mehrheiten fordert. Das zweite noch entmutigendere Hindernis ist das Schneckentempo bei der Verleihung
des Wahlrechts an Migranten. Obwohl die englischstämmige Bevölkerung inzwischen eine Minderheit ist, stellt sie immer noch 70% der
Wählerschaft. Folgt man den demografischen Voraussagen des Public Policy Institute of California für 2040, so werden die 35% der
Gesamtbevölkerung umfassenden Weißen dann immer noch 53% der Wählerschaft ausmachen. Wenn sich die derzeitige Tendenz fortsetzt,
wird die altersschwache weiße Minderheit auch die Mehrzahl der Leistungen aus steuerlichen Mitteln für sich in Anspruch nehmen.
Die konservative Ideologie stellt diese Realitäten auf den Kopf. Geführt von Ex-
Gouverneur Pete Wilson behaupten die Republikaner, dass der Staat eine Müllhalde für faule und unkultivierte Habenichtse aus dem
südlichen Mexiko geworden ist. »Sie sind im Kommen!«, wie es in einer berüchtigten Wahlwerbungsanzeige Wilsons heißt. Sie
überfallen Anglo-Kalifornien und stülpen seinen ehrbaren Bürgern enorme Steuern, Verbrechen und Umweltverschmutzung über. Die
wahren Verdammten dieser Erde sind nämlich die geduldigen, mit Steuern überlasteten weißen Jungs in ihren Golfwägelchen.
Die Vernunft stößt Todesschreie aus angesichts dieses Unsinns, der aber wird 24
Stunden am Tag über die aggressiven Talkshowmoderatoren vertrieben, die den kalifornischen Vormittagsrundfunk und immer mehr auch das
kommerzielle Fernsehen beherrschen. Die Wut der Weißen ist auch das Bindemittel, von dem die republikanischen Strategen hoffen, es werde Arnold
Schwarzenegger das erforderliche Schwergewicht für die Oktoberwahlen verleihen. Fortschrittliche Kommentatoren haben den Filmstar attackiert, weil er
sich auffallend karg zu allen entscheidenden Fragen äußerte, aber diese Kritik ist unfair.
Der Terminator kann sogar auf eine lange Geschichte ideologischen Engagements zurückblicken, die seine Wahlberater aus taktischen
Erwägungen aber eher herunterspielen wollen. Herausragend war seine umfassende Mitwirkung in den Kampagnen der Alteingesessenen zur
Verweigerung von medizinischer Versorgung und Bildungsmöglichkeiten für Migranten ohne Papiere und für Englisch als
ausschließliche Amtssprache. Der arme Junge aus dem bayerischen Hinterhof war 1994 führend an der Unterstützung der
migrantenfeindlichen Gesetzesvorlage 187 beteiligt. Noch fragwürdiger ist, dass er lange Zeit Vorstandsmitglied von US English war, einer über die
USA verbreiteten Organisation mit Verbindungen zu Männern in weißen Kapuzen.
Es wäre aber ein Irrtum zu glauben, dass Arnie wirklich der Hauptakteur in seinem
neuesten und großzügig finanzierten Film ist. Nach Meinung aller Abzocker in Sacramento sollte der Film eigentlich »Wilsons
Wiederauferstehung Teil III« heißen. Der Ex-Gouverneur ist das Gespenst, das bei den Wahlen umgeht.
Sein altehrwürdiger Stab, dem auch George Gorton angehört, der Boris Jelzins
Wiederwahl managte, zieht alle Strippen, an denen sich Schwarzenegger bewegt, während sich Wilson selbst in einer Kampagne erfolgreich den
Multimillionären des Staates anbiedert. Der Kreis der engsten Förderer von Schwarzeneggers »populistischem« Kreuzzug ist eine
Altherrenriege vom Schlage Donald Brens, George Schultz, David Murdocks, Warren Buffetts und ähnlicher Leute. Wilson kann man
natürlich Latinos, Schwarzen und der Arbeiterbewegung nicht zumuten. Wahrscheinlich hat Kalifornien seine rassistische Spalterpolitik satt, denn die
Wähler haben 1998 seinen Protegé, Generalstaatsanwalt Dan Lungren, und im vorigen Jahr einen weiteren reichen Wilson-Klon nicht
gewählt.
Unter diesen Umständen können natürlich viele Demokraten den
Amtsinhaber Gray Davis als eine besonders unglückliche Wahl abtun. Er ist ein bestechlicher Roboter ohne Charisma, der zuließ, dass Enron
während der Pseudoenergiekrise vor drei Jahren den Staat schröpfte. Gerechterweise muss aber gesagt werden, dass Davis genau jene Eigenschaften
repräsentiert konzernfreundlich, politisch der Mitte zugeneigt, ein harter Law-and-order-Mann , die die Führung der Demokratischen
Partei für die Rettung der Partei empfiehlt. Auch ist sein Niedergang keineswegs einzigartig, betrachtet man die anderen
»gemäßigten« Demokraten in den Startlöchern der Präsidentenwahl.
Deshalb hätte der Arbeiterflügel der kalifornischen Demokraten die Gelegenheit
dieser Wahl nutzen sollen, um seine eigenen Kandidaten nach vorn zu bringen. Die meisten Gewerkschaftsaktivisten haben Davis abgelehnt und dennoch ist die
State Federation of Labor wie sonst niemand »Seiner Grauheit« treu ergeben geblieben. Die kalifornische Gewerkschaftsorganisation hat zudem
zugelassen, dass Gray Davis ebenso gewiefter wie prinzipienloser Stellvertreter, Cruz Bustamante, die offizielle Unterstützung der Partei bekam.
Man mag Bustamante Pete Wilson, der sich in einem trojanischen Pferd namens
Schwarzenegger verbirgt, vorziehen, aber der Unterschied dürfte geringer sein, als es sich die meisten Wähler der Demokraten vorstellen. Vor
einigen Jahren wollte Bustamante den damaligen Gouverneur Wilson in der Debatte um die Novellierung des Gesetzes, das die Hinrichtung von
Minderjährigen gestatten sollte, sogar noch übertreffen. Wilson schlug die Todesstrafe für Verbrecher ab 14 Jahren vor, während
Bustamante erwiderte, er könne, »ohne eine Träne zu vergießen, sein Votum abgeben, damit ›hartgesottene Verbrecher‹
bereits mit 13 hingerichtet werden können«.
Die einzige Alternative zu den Kindermördern sind die kalifornischen Grünen. Bei der Gouverneurswahl im vorigen Jahr gewann der
grüne Kandidat Peter Camejo 5% der Stimmen und ermutigte Tausende von fortschrittlichen Bürgern dazu zu glauben, es könne ein Leben
nach den Demokraten geben. Camejo, ein Berkeley-Veteran aus den 60er Jahren, ist noch voller Enthusiasmus und war wie ein Michael Moore überall im
Staate präsent. Er ist einer der ersten Grünenpolitiker, die sich in den Gewerkschaften und unter den Latinos Freunde machen.
Leider wurde ein großer Teil der Aufmerksamkeit der Medien für die
Grünen durch die unabhängige Kandidatin Arianna Huffington abgelenkt. Sie ist eine Fernsehkommentatorin und Talkshowgast und war einmal mit
einem der reichsten Republikaner Kaliforniens verheiratet. Sie hat in der dürren Landschaft der amerikanischen Politik den seltenen Weg von weit rechts
nach gemäßigt links angetreten und hat wortgewandt und effektiv Bushs Kriegs- und Terrorpolitik kritisiert.
Anders als Camejo, der von der Basis der Grünen delegiert wurde, ist sie bewusst
unabhängig und kandidiert mit Hilfe von Geld aus Hollywood und ihrem privilegierten Zugang zu den Medien. Ihr Glaubhaftigkeitskredit wurde
allerdings gemindert, als bekannt wurde, dass sie als Besitzerin eines 7-Millionen-Dollar-Anwesens seit Jahren so gut wie keine Einkommensteuer bezahlt.
Obwohl sie versprach, ihre Kandidatur mit der Camejos zu koordinieren, wird diese sehr wahrscheinlich zu Stimmenverlusten und nicht Gewinnen für die
Kandidaten links von den Demokraten führen.
Ganz gleich wie die Wahlen im Oktober ausgehen, haben die Wahlkämpfe bereits einige
der neuen Fragen kalifornischer Politik geklärt. Die Republikaner haben ihrerseits viel Selbstvertrauen in ihre Fähigkeit gewonnen,
zukünftige gesetzgeberische Versuche einer Steuerreform oder Wirtschaftsgerechtigkeit abzuschmettern, und die liberalen Demokraten sind in den
moralischen Sumpf ihrer Partei eingesunken. Indessen schauen die Bürger von Duroville über ihren Abwassertümpel auf das gute Leben eines
sich schnell verflüchtigenden kalifornischen Traums.
Mike Davis ist Verfasser von Standardwerken über Los Angeles (City of Quartz) sowie
über den kalifornischen Traum (Ökologie der Angst). Sein neuestes Werk Die Geburt der Dritten Welt. Hunger und Massenvernichtung im
imperialistischen Zeitalter erscheint demnächst im Verlag Assoziation A.
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