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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2003, Seite 8

Hamburg nach Schill

Weiterhin »Bürgerblock« für das reiche Hamburg

Nach dem spektakulären Rauswurf von Ronald Barnabas Schill, der Führerfigur der Schill-Partei, aus der Hamburger Landesregierung, haben sich viele Oppositionelle auf ein Auseinanderbrechen der Koalition von CDU, FDP und Schill-Partei gefreut. Nach drei unruhigen Tagen gibt es nun jedoch einen neuen Innensenator der Schill-Partei, Dirk Nockemann, der die militante Law-and-Order-Politik seines Vorgängers Schill in der Sache unverändert fortsetzen will, wie er in Interviews versicherte. Er forderte eine Gesetzesänderung auf Bundesebene, damit Migranten bereits beim bloßen Verdacht der Mitgliedschaft in einer sog. terroristischen Vereinigung ohne weiteres abgeschoben werden können. Aber auch bei der Konzeption, wie Hamburg sich als Stadt entwickeln soll, offenbart sich beim Hamburger Senat eine reaktionäre Ausrichtung, die nicht nur die Schill-Partei betreibt.

Urbaner Klassenkampf

»Ohne Verdichtung kommt es zur Abwanderung ins Umland, zum Verlust der gutsituierten Bevölkerungsschichten und damit zur Verelendung der Stadt. Behinderte, Alte, Kranke, Sozialfälle, Ausländer, Kriminelle und andere Gruppen würden übrig bleiben.« Gerd Steinbach, der Mitglied im Ortsausschuss Alstertal ist und für die Schill-Partei in der Deputation — einer Art Beirat — der Innenbehörde sitzt, ist ein Freund klarer Worte. Und Steinbach ist nicht der einzige, der dem Parteigründer Schill hierin nacheifert.
Wolfgang Barth-Völkel, Schill-Bürgerschaftsabgeordneter, erklärte vor etwa einem Jahr mit Blick auf Migranten und Flüchtlinge: »Es muss einen Zwang zum Gesundheitscheck für alle geben, die in Hamburg leben wollen. Wer hochansteckende Krankheiten hat, muss interniert werden.« Die Politroutiniers der Koalitionspartner CDU und FDP drücken sich dagegen geschliffener aus, wenn sie propagieren, wer in der Stadt erwünscht ist und wer nicht. Leif Schrader, FDP-Bürgerschaftsabgeordneter, erklärte im Februar aus Anlass der nächtlichen Abschiebung der siebenköpfigen Familie Yilmaz, dass »es für niemanden angenehm ist, Menschen für eine Abschiebung nachts aus dem Bett zu holen, am allerwenigsten für die Beamten, die die Abschiebung vollstrecken müssen«. Das kommt jetzt öfters vor — im letzten Jahr wurden 2966 Flüchtlinge aus Hamburg abgeschoben, das ist eine Steigerungsrate von 36% gegenüber 2001.
Auf der anderen Seite verabschiedete der Hamburger Senat am 11.Juli 2002 das Grundsatzpapier »Leitbild: Metropole Hamburg — Wachsende Stadt«. Neue Steuerzahler sollen gewonnen werden, »junge und kreative Menschen sind — neben jungen Familien mit Kindern — eine wichtige Zielgruppe«, heißt es in dem Papier. Bei »Empfängern von Sozialhilfe, Hilfen zur Erziehung und Wohngeld« sei dagegen mithilfe der »zielgruppenorientierten Strategie … von einem unterdurchschnittlichen Anteil dieser Personengruppe an den Zuziehenden auszugehen«.
Orientiert wird auf eine kontrollierte Gewinnung von Neuhamburgern, die ordentlich Steuern zahlen, im Eigenheim wohnen und viel konsumieren. Während die Sozialausgaben gekürzt werden, der soziale Wohnungsbau eingestellt ist und günstige städtische Freizeitangebote und Dienstleistungen geschlossen oder privatisiert werden sollen — die Wasserwerke und die städtischen Krankenhäuser stehen vor dem Verkauf —, wird mit der »Wachsenden Stadt« eine Steigerung der Einwohnerzahl propagiert: »Zwei Millionen Hamburgerinnen und Hamburger — das ist ein gutes und realistisches Ziel«, erklärte Bürgermeister Ole von Beust im Juni.
Tatsächlich schrumpft die Einwohnerzahl von zirka 1,7 Millionen jedes Jahr um etwa 10000: Das sind die Häuslebauer, die ins Umland ziehen, in den Speckgürtel Hamburgs. Und zum zweiten sinkt der Anteil von Flüchtlingen und Migranten an der Wohnbevölkerung.
Passend zum neuen Leitbild einer wirtschaftsfreundlichen Metropole sprach sich CDU- Wirtschaftssenator Uldall für eine rigorose Sparpolitik aus: »Den Negativtrend bei der Finanzlage können wir nur durch eine drastische Ausgabenreduzierung umkehren … Deshalb müssen wir den Zustrom in die Sozialhilfe reduzieren.« Uldall stellte auch rasch klar, dass dagegen die Ausgaben zwecks besserer Kapitalakkumulation selbstverständlich nicht reduziert werden: »Dazu ist Wachstum notwendig, das wir mit vier Schwerpunktthemen fördern: große Infrastrukturvorhaben, Förderung des Mittelstands, Umsteuerung des Arbeitsmarkts und die Entbürokratisierung von Verwaltungsabläufen.«
Beim Arbeitsmarkt ließ er die staatlichen ABM-Stellen massiv abbauen, bei den Infrastrukturvorhaben geht es vor allem um schnellere, größere Verkehrswege. So soll die Elbe weiter ausgebaggert werden zum Kanal für Containerschiffe, und der Flugzeugbauer Airbus bekommt weiteres Gelände. Einwände hierzu von Umweltgruppen weist Uldall zurück: »Wir dürfen nicht zulassen, dass Einzelinteressen das Recht der Gemeinschaft auf neue Arbeitsplätze zerstören.«
Mit dem nebulösen »Recht der Gemeinschaft auf neue Arbeitsplätze« bügelt Hamburgs rechter Senat jeden Protest gegen teure Großprojekte ab. Wo der vorherige Senat aus SPD und GAL die meisten Kritiker durch Verhandlungen und kleine Zugeständnisse einband, setzt der CDU/Schill-Partei/ FDP-Senat seine Vorstellungen knallhart durch. Das meint Uldall mit der »Entbürokratisierung von Entscheidungsabläufen«.
Mitspracherechte von Bürgern sind seither eingeschränkt worden, und die erst 1997 in den Bezirken eingeführten Bürgerbegehren werden vom Senat in der Regel per Einspruch annulliert, wenn es um Bauvorhaben oder Verkehrsprojekte geht. So hat Bausenator Mario Mettbach, Schill-Partei, den monatelangen Protest der bekanntesten Bürgerinitiative Hamburgs zu Verkehrsfragen einfach an sich abperlen lassen und die 1991 erreichte Einengung der Stresemannstraße auf zwei Spuren zügig rückgängig gemacht.

Kurzer Draht zwischen Wirtschaft und Politik

Die Metropole Hamburg will auch potenziellen Investoren lästige Klärungsprozesse ersparen, so Finanzsenator Peiner: »Berechenbarkeit und Schnelligkeit städtischer Entscheidungen sind ein wichtiger Standortvorteil.« Dagegen hilft nur eins: »Wir brauchen viele kleine Revolutionen in den Amtsstuben.«
Dabei ist der von Peiner propagierte kurze Draht zwischen Regierung und Wirtschaft in Hamburg bereits lange etabliert. Sinnfälliger Ausdruck davon ist die direkte Nachbarschaft von Rathaus und Handelskammer. Mit den Rückfronten stehen sie direkt aneinander, nur vom gemeinsamen Hinterhof getrennt.
Im Unterschied zur jahrzehntelang regierenden SPD ist der Rechtssenat aber bereit, auch noch die extremsten Vorgaben der Handelskammer nahezu 1:1 umzusetzen. »Das erste Amtsjahr des Senates ist von programmatischem Ehrgeiz und viel versprechenden Ansätzen gekennzeichnet. Unsere Handelskammer findet viele ihrer langjährigen Themen im Programm des Senats wieder«, erklärte Karl-Joachim Dreyer, Präses der Handelskammer, bei der letzten »Versammlung des Ehrbaren Kaufmanns«. Diese Versammlung findet traditionell zum Jahreswechsel statt. Zum Jahresende 2002 nahmen nicht nur über 2000 Kapitalvertreter teil, auch der rechte Senat war nahezu vollzählig angetreten und ließ sich von Dreyer für das Leitbild der »Wachsenden Stadt« loben.
Dass der Senat die staatlichen Berufsschulen in eine Stiftung überführen will, in der Schulbehörde und Kapitalverbände paritätisch vertreten sind, gefällt der Handelskammer sehr gut. In keinem anderen Bundesland wäre ein derartig großer direkter Einfluss auf Berufsschulen möglich. Bei einigen kleineren Punkten forderte Dreyer den Senat zum Nachsitzen auf: Die Bebauung des citynahen Domplatzes lasse »noch den erforderlichen Pep vermissen«, dort solle unbedingt ein »Hamburg- Wellcome-Center« entstehen. Auch der Ausbau einiger Hauptstraßen sei zu langsam.
Beim großen Thema der wachsenden Stadt sieht sich die Handelskammer jedoch mit dem rechten Senat völlig einig: »Deshalb brauchen wir attraktive Gewerbeflächen, verkehrliche Erreichbarkeit, wettbewerbsfähige Steuer- und Abgabensätze und die Zuwanderung von Leistungsträgern.«
Dazu passend hat der Fraktionsvorsitzende der Schill-Partei, Norbert Frühauf, Mitte August einen Vorstoß gegen sichtbare Armut auf der Straße gestartet: »Uns geht es nur um aggressives Betteln und um massive Störungen durch Trinkergruppen und laute Musik.« Frühauf sieht sich dabei als Opfer peruanischer Musiker: »Das macht einen ja wahnsinnig, wenn vor dem eigenen Bürofenster hundertmal am Tag ›El condor pasa‹ gespielt wird.«
Bei diesem Thema zeigte sich einmal mehr, dass in Hamburg die potenzielle alternative Regierungspartei keine ernstzunehmende parlamentarische Opposition darstellt. Der SPD-Innenexperte Michael Neumann warf der Schill-Partei vor, sie hätten die Idee von seiner Partei abgeschrieben: »Wir haben schon im Frühjahr beschlossen, dass gegen offensives Betteln vorgegangen werden muss. Öffentliche Flächen dürfen nicht von Randgruppen besetzt werden.«

Gaston Kirsche

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