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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2003, Seite 9

Freie Heide

Widerstand gegen das »Bombodrom« im Ruppiner Land

Als die DDR eingemeindet wurde, zogen auch die Russen aus der Kyritz-Neuruppiner Heide bei Wittstock ab. Die sowjetische Armee hatte dort einen Luftkriegsübungsplatz betrieben, »Bombodrom« genannt. 40 Jahre lang wurde die Bevölkerung durch extremen Lärm, Detonationen und die Verseuchung der Umwelt massiv beeinträchtigt. Politiker aller Westparteien versprachen der Bevölkerung: »Hier wird nie wieder gebombt.« Aber Verteidigungsminster Struck möchte das Gelände wieder für Übungen nutzen, doch Widerstand und Protest wachsen.
Als 1992 die »verteidigungspolitischen Richtlinien« geändert wurden und der Auftrag der Bundeswehr ausgeweitet wurde auf den Erhalt des »freien Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt«, vergaßen die Politiker ihr Versprechen. Vor dem Hintergrund einer Umrüstung der Bundeswehr zu einer Interventions- und Angriffsarmee bestand nun ein erhebliches Interesse an der Wiederinbetriebnahme des Bombodroms.
Zentrales Element der modernen Kriegsführung sind Bombenangriffe aus großer Höhe wie in Jugoslawien, Afghanistan und Irak. Sie sollen auf dem Bombodrom bei Wittstock, dem größten Luft-Boden-Schießplatz Europas, trainiert werden. Damit werden Kriegshandlungen zur militärischen Durchsetzung von machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen in der ganzen Welt vorbereitet. Europa wird Weltmacht und seine Gesellschaft Schritt für Schritt militarisiert.
»Verteidigungsminister« Peter Struck hat im Juli entschieden, das Gelände der Kyritz-Wittstock-Ruppiner Heide erneut als Bombenabwurfplatz zu missbrauchen. Das Gebiet wurde bereits von 1950 bis 1990 als Bombenabwurfplatz der sowjetischen Armee verwendet. Die Bundeswehr will von den unrechtmäßigen Enteignungen jetzt profitieren und an 200 Tagen im Jahr Bomben abwerfen.
Viele Menschen in der Region, die sich noch gut daran erinnern können, wie hier früher die Wände gewackelt und die Babys geschrien haben, haben jedoch keine Lust, ihre Bedürfnisse nach Ruhe und Frieden dem Weltmachtstreben der wechselnden Regierungen unterzuordnen. Mit ihrem Widerstand haben sie die Inbetriebnahme des Bombodroms elf Jahre lang verhindert. Der Protest wurde von großen Teilen der einheimischen Bevölkerung und Freunden aus vielen anderen Regionen getragen und war für den Erfolg der Klagen von Landkreis und Gemeinden in zwei Instanzen auf Untersagung der militärischen Nutzung verantwortlich.
Auf dem Militärgelände hat sich eine der Lüneburger Heide vergleichbare Landschaft entwickelt, die klaren Seen und Waldlandschaften rings herum laden zum Genießen ein, in der Stille kreisen seltene Greifvögel am Himmel. In den verträumten Ortschaften stehen Schilder mit Aufschriften wie: »Dieses Dorf wehrt sich gegen den Bombenabwurfplatz«, Wegweiser zur FREIen HEIDe oder künstlerisch gestaltete Mahnsäulen. Zum ersten Mal stand ich hier vor einem Friedensdenkmal, das sich wohltuend von den üblichen Heldengedenktafeln unterscheidet.
In diesem Sommer nun hat Bundesverteidigungsminister Struck verkündet, die Bundeswehr solle schnellstens hier üben dürfen. Man muss sich das vorstellen: Flugzeuge, die Bomben abwerfen. Auf wen? Warum muss man das üben? Sind es nicht immer wieder die Häuser der Menschen in anderen Ländern gewesen, die bombardiert wurden?
Der militärischen Invasion soll mit zivilem Ungehorsam begegnet werden. Noch laufen Prozesse und Widerspruchsverfahren, eine gerichtliche Entscheidung wird im September 2003 erwartet. Die Bereitschaft zum Widerstand wächst. Während eines zehntägigen Aktionscamps Ende Juli betraten täglich Aktive das militärische Sperrgebiet, das Betretungsverbot wird ohnehin von der örtlichen Bevölkerung nicht allgemein respektiert. Immer wieder kommt es zu Protestwanderungen auf dem Gelände, einmal wurde sogar in einer Nacht- und Nebel-Aktion eine Gedenkstätte errichtet, da brisanterweise ein Massengrab aus dem Zweiten Weltkrieg unter dem Bombenabwurfplatz liegt. Am 14.9. wurde der erste Radwanderweg durch die Heide eingeweiht, etwa 40—50 Radwanderer durchquerten dabei das gesamte Gelände, ohne von der Polizei aufgehalten zu werden. Die Feldjäger und Werkschützer, die das Gelände bewachen sollen, haben es schwer, das 142 Kilometer große, von Wäldern umgebene Gebiet zu überblicken.
Die Idee ist, dass an jedem der 200 Tage, an dem die Bundeswehr üben will, kleine Gruppen auf das Gelände gehen und durch ihre Präsenz die Bombenabwürfe verhindern. Dazu müssen zu den Aktiven aus der Region Gruppen aus dem ganzen Bundesgebiet kommen. Blockiert werden soll hier an den rund 200 Übungstagen. Zum Auftakt jedoch, am »B-Day«, dem Tag, an dem die Bombenabwürfe beginnen, soll es eine große Aktion geben und der Übungsbetrieb unmöglich gemacht werden. Auch zu Ostern 2004 sollen wieder Massenaktionen auf dem Gelände stattfinden.
FREIe HEIDe soll heißen: Eine Heide, die frei ist, in der sich Menschen und Tiere frei bewegen können.
Zur Realisierung der Vision einer FREIen HEIDe muss der Widerstand breit und vielfältig werden.

Andreas Will

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