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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2003, Seite 10

Kollaps am Bau

Unternehmer wollen Tarifvertrag nicht einhalten

Gibt es in der deutschen Wirtschaft 2003 Wachstum, Stillstand oder Rezession? Deutsche Professoren und Politiker werden noch lange darüber streiten und ellenlange Berichte schreiben. Tatsache ist: Die Bauindustrie in der BRD steckt in der Krise.
Seit 1995 haben über 500000 Bauarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren. Das sind mehr, als die Bahn AG Beschäftigte hat. Wird ein Bauarbeiter arbeitslos, nimmt er zwei bis drei Kollegen und Kolleginnen aus anderen Berufen mit zum Arbeitsamt, die die Inneneinrichtung der Häuser und Wohnungen hätten gestalten können: angefangen bei der Gardinennäherin über den Möbelschreiner bis zum Maschinenbauer, der die großtechnischen Geräte für den Bau herstellt. Aus einer halben Million werden so 1,5 bis 2 Millionen.
Die Umsätz im Bauhauptgewerbe sind in sieben Jahren um 31% geschrumpft. 35000 Unternehmen des Bauhauptgewerbes mussten in den Jahren 1995—2002 Insolvenz anmelden. Sie die Firmen pleite, ist der Job weg und auch der Lohn. Der Bau von Bürogebäuden, Fabriken, öffentlichen Einrichtungen und Mehrfamilienhäusern ist zurückgegangen. 1995 wurden noch 350000 Mehrfamilienhäuser gebaut, 2002 waren es nur noch 79000 Neubauten, das ist ein Viertel weniger. Im März 2003 war jeder dritte Bauarbeiter — im Westen 27% und im Osten fast jeder Zweite (45,6%) — im Bauhauptgewerbe ohne Arbeit. Sie werden wieder Wanderarbeiter, von Ost nach West, Tagelöhner, Saisonarbeiter, für kleines Geld. Die Hartz-Gesetze machen es möglich.
Trotz der vielen Erwerbslosen und der mangelhaften Auftragslage hatten die Bauarbeiter im vergangenen Jahr den Mut zu streiken — zum ersten Mal nach 50 Jahre Sozialpartnerschaft. Sie kämpften für eine akzeptable Lohnerhöhung und den Mindestlohn II für Facharbeiter. Die Baufirmen waren bis zuletzt der Meinung, die wollen und können gar nicht streiken. Sie hatten nicht damit gerechnet, und das führte zum schnellen Erfolg. In der Sprache der Fußballer sagt man, sie wurden auf dem falschen Fuß erwischt. In kommenden Verhandlungen werden sie besser vorbereitet sein.
Der erstrittene Mindestlohn II muss seit dem 1.9.2003 gezahlt werden. Für Facharbeiter in Westdeutschland und Berlin liegt er bei 12,47 Euro, in Ostdeutschland bei 10,01 Euro. Das ist immer noch — und das nach zehn Jahren Anschluss der DDR — eine große Lohndifferenz zwischen Ost und West. Der Tarifvertrag wurde von Arbeitsminister Riester für rechtsverbindlich erklärt. Das heißt, der Tarif muss von allen Baufirmen, auch von denen im Bauhauptgewerbe, die sich aus der Allgemeinverbindlichkeit verabschiedet haben, gezahlt werden.
Das durchzusetzen, wird nicht einfach sein. Auf den Baustellen herrschen in Ost und West anarchistische Lohnverhältnisse. Im Osten zahlen nur 5—10% aller Baubetriebe Tariflohn; die Stammbelegschaften im Westen — heute fast nur noch Poliere, Vorarbeiter und technisches Personal — sollen auf zusätzliche Leistungen verzichten. Am 9.August dieses Jahres — auf den offenen Baustellen stiegen die Temperaturen auf 50—60 Grad — konnten die Kollegen in der Presse lesen, die Tarifparteien hätten sich geeinigt, einen Teil des 13.Monatslohns in eine Alterssicherung umzuwandeln und einen Teil zu streichen. IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel sprach von einem »akzaptablen Kompromiss in schwierigen Zeiten«.
Die Unternehmer werteten das Ergebnis als »Pakt der Vernunft«. Der Pakt hatte nicht lange Bestand; die Unternehmer wollten mehr: Weihnachtsgeld wie in den 50er Jahren — ein Nylonhemd, das nach der ersten Wäsche in den Müll wandert, und 5 Euro — und ein warmer Händedruck sollen genügen. Die Verhandlungen fanden hinter verschlossenen Türen statt; die Mitglieder der IG BAU wurden durch die bürgerliche Presse informiert.
Am Verhandlungstisch ist aber ohne Information und Druck der Kollegen nichts mehr zu holen, das sollte auch der Kollege Wiesehügel begriffen haben. Er ist als Bundestagsabgeordneter mit einem Antrag zur Riesterrente und auch in der Rürupkommission gescheitert. Die Linke in der SPD will jetzt seinen Antrag ins Parteiprogramm aufnehmen. Schröder hat aber schon klar gestellt, dass das Parteiprogramm und die Politik der Bundesregierung nichts miteinander zu tun haben. Der Antrag des Kollegen Wiesehügel ist nicht schlecht. Aber durchsetzen sollte er ihn mit der Kraft aller Gewerkschaften und Betroffenen.
»Kein Lichtblick am Bau«, so steht es in der bürgerlichen Presse. Der Kollege Laux, Vorstandsmitglied der IG BAU, hat auch nicht mehr zu bieten. in einem »Zwischenruf« für den Grundstein, die Zeitung der IG BAU, in der Ausgabe Juli/August bittet er: »Nicht nur einzelne Baufirmen aus Ostdeutschland erklären offen, dass sie die Tarifverträge nicht einhalten, nun wird es sogar von Arbeitgeberverbänden geäußert, die den Vertrag mit unterstützt haben.« Er schließt mit dem Satz: »Und nun meine Zwischenruf, der zum Hilfeschrei wird: Vertragstreue Arbeitgeber, Ehrenmänner, überzeugt die Vertragsbrüchigen!« Der Lohneinbruch auf den Baustellen, das beweist der Hilfeschrei, ist dem Kollegen Laux bekannt. Den Zwischenruf überhören die »Ehrenmänner«. Schreien hilft nicht, was tun ist besser.
Arbeitskräfte aus elf Nationen arbeiten für Sklavenlöhne auf deutschen Baustellen, auf den Feldern und in den Häusern der Reichen für 3—5 Euro die Stunde, und das 10—12 Stunden am Tag, 200—240 Stunden im Monat. Sie müssen den Rücken krumm machen, Spargel stechen, Erdbeeren sammeln, Weintrauben ernten, auf Baustellen und in Haushalten Schwerstarbeit leisten. Der illegale Profit, der den Männern und Frauen abgepresst wird, landet ganz legal auf den Konten der Baufirmen.
Auf den Baustellen wird ein Flugblatt in elf Sprachen übersetzt und verteilt, um die Kollegen aus den ärmeren Ländern über ihre tariflichen Rechte und das deutsche Arbeitsrecht zu informieren. Das ist gut und wichtig; wenn wir kommende Arbeitskämpfe zu unseren Gunsten entscheiden wollen, müssen wir die Kollegen überzeugen und für den Arbeitskampf gewinnen. Ohne sie haben deutsche Bauarbeiter schlechte Karten, die Unternehmer können sie als Streikbrecher einsetzen.
Arbeitskräfte, die keine Erlaubnis haben, sind erpressbar. Quotenregelungen, Arbeitserlaubnis, Polizeikontrollen sind gut fürs Kapital. Das kann und darf in allen Ländern spekulieren und die sozialen Rechte ausser Kraft setzen, die es behindern — die Globalisierung macht‘s möglich. Für Menschen aus ärmeren Ländern jedoch, die in reichen Ländern arbeiten wollen, werden die Grenzen dicht gemacht.
Ausländerhass kocht hoch in solchen Zeiten; er muss bekämpft und verhindert werden. Unsere ganze Wut muss sich auf die konzentrieren, die im Interesse des Kapitals die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds kürzen, die Arbeitslosenhilfe streichen und auf die Sozialhilfe herabstufen, die Renten privatisieren und das Krankengeld aus der paritätischen Beitragszahlung ausklammern wollen. Alle vom Sozialbetrug Betroffenen müssen begreifen, dass wir uns nur gemeinsam erfolgreich wehren können.
Gegen Schröders sozialen Kahlschlag — Widerstand und Streik, das ist unser Ratschlag!

Klaus Schilp

Klaus Schilp hat 35 Jahre auf dem Bau gearbeitet.



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