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Bangemachen gilt nicht Adornos Lieblingssprichwort, das er in den Minima Moralia als Titel einer Reflexion benutzt. Ein »wie leise doch
obstinat mitgesummtes ›bange machen gilt nicht‹« hört Benjamin als »wahrhaft erheiternde Unterstimme« aus einem
Text Adornos heraus, den dieser ihm zur Durchsicht schickte.
The Beatles Am 27.Dezember 1960 gaben John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und der später durch Ringo Starr ersetzte
Peter Best ihr erstes Konzert unter dem Namen The Silver Beatles. Der Name wurde dann bald auf das prägnante The Beatles verkürzt. Sie traten im
Gemeindesaal des Liverpooler Vorortes Litherland auf. Der Sound, den Manager Brian Epstein und Produzent George Martin schufen, die legendären
Auftritte im Hamburger Star Club und schließlich die berühmten Pilzkopffrisuren eine Kreation der Fotografin Astrid Kirchherr
trugen zu einer regelrechten »Beatlemania« bei. Bis 1973 wurden 90 Millionen LPs und 125 Millionen Singles verkauft. Neben den Rolling Stones
oder The Who waren die Beatles eine der wichtigsten britischen Popgruppen und immerhin so bekannt, dass auch Adorno von ihnen wusste. Über
ein Jahrzehnt blieben sie die »stärkste schöpferische Kraft der modernen Populärkultur« (Time). Sie lieferten den
»Soundtrack der 60er Jahre« (Melody Maker), eine an der Beatkultur orientierte Weiterentwicklung eines von Chuck Berry, Little
Richard bis Elvis Presley geprägten Rock n Roll. Kennzeichnend für die Beatles und ähnliche Gruppen war die Verbindung
von Jugendkultur, Mode, Konsum und Musikindustrie. Mit dem »Musik-Fan« wurde eine weitere Rezeptionsweise von Musik etabliert, de
über den kollektiven Konsum hinaus einerseits subjektiv motivierte Momente genießender, körperbetonter Wahrnehmung einschließt
(Tanzen), sich andererseits in einer leidenschaftlichen Beziehung zur Musik, in großem fachlichen Wissen über das Privatleben der Musiker oder im
Bestreben, eine möglichst vollständige Plattensammlung zu besitzen, manifestiert. Adorno erkannte im Jazzfan ein ähnliches
Rezeptionsverhalten: Im Verhalten der Jazzfans kristallisiere sich ein harmlos gewordener Protest gegen die offizielle Kultur, ein letzthin falsches
Bedürfnis nach »musikalischer Spontaneität, die dem vorgezeichnet Immergleichen sich entgegensetzt«, sowie ein sektenhafter
Bezug zur Musik. Die Fans begegnen anderer Musik, zumal der ernsten Musik, mit Aversionen. Über den Jazzfan heißt es: »Dem
gesellschaftlichen Bewusstsein nach ist der Typus vielfach progressiv; er findet sich selbstverständlich am meisten in der Jugend, wird wohl auch vom
Teenager-Geschäft gezüchtet und ausgebeutet. Schwerlich hält der Protest lange vor; dauern wird bei vielen die Bereitschaft zum Mitmachen.
Die Jazz-Hörer sind sich untereinander einig, und die Gruppen pflegen ihre besonderen Varietäten.« Gleichwohl distanziert sich der Jazzfan
von der »grölenden Gefolgschaft des Elvis Presley«.
»Was gegen die Beatles zu sagen ist«, äußerte Adorno 1965 in einem
Gespräch Über die geschichtliche Angemessenheit des Bewusstseins, »ist gar nicht so sehr etwas Ideosynkratisches, sondern ganz einfach das,
was diese Leute bieten, womit überhaupt die Kulturindustrie, die dirigistische Massenkultur uns überschwemmt, seiner eigenen objektiven Gestalt
nach etwas Zurückgebliebenes.« Allerdings haben nun gerade die Beatles sich von den Maßgaben der »dirigistischen
Massenkultur« losgesagt und mit den beiden Langspielplatten Revolver (1966) und Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band (1967), von denen
Adorno wohl nichts mitbekommen haben dürfte, den Weg avancierter Popmusik eingeschlagen. Die Beatles wichen vom traditionellen Songschema ab,
experimentierten unter der Regie des Produzenten George Martin mit der damals neuesten Studiotechnik und mit nichteuropäischen Instrumenten,
beispielsweise dem Sitar (bei »Lucy in the Sky with Diamonds«), griffen auf ein Orchester zurück (»Yesterday«) oder
arrangierten surreale Geräuschcollagen (»Revolution No.9«). Das Sgt. Peppers-Album ist, inkl. der Covergestaltung und weiteren
nicht primär musikalischen Aspekten, konzeptionell als ästhetisches Gesamtkunstwerk angelegt. All das ist zu messen an den Kriterien
hochkultureller, vermeintlich »seriöser« Kunst, aber auch am Abgebrochensein der Kunst, der Verfransung der Künste.
Spätestens jetzt galt nicht mehr, »dass die Ausdrucksmittel, die hier verwandt und konserviert werden, in Wirklichkeit allesamt nur
heruntergekommene Ausdrucksmittel der Tradition sind, die den Umkreis des Festgelegten in gar keiner Weise überschreiten«.
Nichtsdestotrotz zeigt sich an dem Phänomen der Beatles die Dialektik der
Kulturindustrie. Der Einfluss der Beatles auf den so genannten Mainstream der Popmusik ist noch immer ungebrochen: Der Brit-Pop von Bands wie Oasis oder
Blur bezeugt nachgerade die Bedeutung der Musik der Beatles für die Kulturindustrie; ohnehin sind die berühmten Beatles-Songs so populär,
dass sie von Radiostationen überall auf der Welt gespielt werden. Die Tatsache, dass Michael Jackson die Rechte an den Songs gekauft hat, verrät
zudem etwas über die Struktur der Musikindustrie überhaupt: Die musikalische Form ist abhängig von ihrer ökonomischen Verwertung.
Insofern ist Adornos Kritik an der Musik der Beatles und dem Phänomen selbst durchaus ernst zu nehmen. Fans nennen die von ihnen verehrten Musiker
beim Vornamen, um persönliche Nähe zu suggerieren. Die »Fab four« bleiben für die Eingeweihten John, Paul, Ringo und
George. »Kulturindustrie ruft ihre cracks mit Vornamen wie die Oberkellner und Friseure das jet set.«
Donald Duck Eine mit menschlichen Charakterzügen ausgestattete, gezeichnete Ente, von Carl Barks entworfen und durch
amüsante Comic-Episoden sowie schließlich durch Trickfilme berühmt geworden. Donald Duck hatte 1934 in einer Nebenrolle in Walt
Disneys Zeichentrick-Kurzfilm The Orphans Benefit sein Debüt. In der Dialektik der Aufklärung wird er zweimal erwähnt: Der
»Mythos des Erfolgs« sei das Leistungsprinzip, dem die Konsumenten »widerstandslos verfallen« und das »Donald Duck gegen
Betty Boop« einfordere. Doch der Spießer Donald scheitert, er unterliegt der Konkurrenz: »Donald Duck in den Cartoons wie die
Unglücklichen in der Realität erhalten ihre Prügel, damit die Zuschauer sich an die eigenen gewöhnen.« Dagegen hat
Walter Benjamin in seinem Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« Disney und insbesondere Mickeymaus
stark gemacht: »Die Filme Disneys bewirken eine therapeutische Sprengung des Unbewussten.« Auch Benjamin konstatiert, dass das
Publikum darin sein eigenes Leben wiedererkenne, führt jedoch konträr zu Adorno und Horkheimer aus, dass sich die Menschheit
im Anblick der Mickeymaus darauf vorbereite, »die Zivilisation zu überleben«, und nicht ihr vollends anheim falle.
Froschkönig »Mit sehnsüchtigen Augen blickt der Froschkönig, ein unverbesserlicher Snob, zur Prinzessin auf und
kann von der Hoffnung nicht lassen, dass er sie erlöse.« Der Soziologe Stefan Müller-Doohm vermutete einmal, dass sich Adorno hier selbst
charakterisiert, schließlich heißt es ebenda: »Für jeden Menschen gibt es ein Urbild aus dem Märchen, man muss nur lange genug
suchen.«
Gänsehaut In der Ästhetischen Theorie schreibt Adorno über den möglichen Ursprung der Kunst aus der
Gänsehaut: »Am Ende wäre das ästhetische Verhalten zu definieren als die Fähigkeit, irgend zu erschauern, so als wäre
die Gänsehaut das erste ästhetische Bild.«
Rätsel, Rätselcharakter Kunstwerke sind Rätsel, bewahren ein Geheimnis, sind Vexierbilder: »Die Werke sprechen
wie Feen in Märchen: du willst das Unbedingte, es soll dir werden, doch unkenntlich.« Dass sich der Wahrheitsgehalt der Kunstwerke als
Unbedingtes nicht unmittelbar erschließt, ist für die ästhetische Theorie Adornos zentral. Kunstwerke als Rätsel zu interpretieren, die es
gewissermaßen zu lösen gilt, ist ein Gedanke, den Adorno von Benjamin übernimmt. Der Rätselcharakter der Kunstwerke weist
über die Kunst hinaus; das Geheimnis der Kunst ist mehr als Kunst. Wenn es in der verwalteten Welt noch Sinn gibt, dann ist er in den Kunstwerken
eingeschlossen. Was Kunstwerke bedeuten, teilt sich als Orakel mit, und nicht Interpretation, dieses Rätsel zu lösen ist Aufgabe einer kritischen
Theorie der Kunst. Die Lösung kann dabei keine eindeutige sein, sondern nur ein allegorischer Verweis auf den Rätselcharakter der Kunst,
eben darauf, dass Kunst nichts anderes ist als ihr eigenes Rätsel. »Kunst wird zum Rätsel, weil sie erscheint, als hätte sie gelöst,
was am Dasein Rätsel ist, während am bloß Seienden das Rätsel vergessen ward durch seine eigene, überwältigende
Verhärtung.«
Reklame Adorno und Horkheimer beschließen das Kapitel über Kulturindustrie in der Dialektik der Aufklärung mit dem
mehrdeutigen Hinweis »Fortzusetzen«. Zu den letzten Thesen des Kapitels gehört die vom möglichen Ende der Kulturindustrie: die
These, dass sich die Kulturindustrie in Reklame auflöst: »Kultur ist eine paradoxe Ware. Sie steht so völlig unterm Tauschgesetz, dass sie
nicht mehr getauscht wird; sie geht so blind im Gebrauch auf, dass man sie nicht mehr gebrauchen kann. Daher verschmilzt sie mit der Reklame. Je sinnloser dies
unterm Monopol scheint, um so allmächtiger wird sie. Die Motive sind ökonomisch genug. Zu gewiss könnte man ohne die ganze
Kulturindustrie leben, zuviel Übersättigung und Apathie muss sie unter den Konsumenten erzeugen. Aus sich selbst vermag sie wenig dagegen.
Reklame ist ihr Lebenselixier. Da aber ihr Produkt unablässig den Genuss, den es als Ware verheißt, auf die bloße Verheißung
reduziert, so fällt es selber schließlich mit der Reklame zusammen, deren es um seiner Ungenießbarkeit willen bedarf.«
Die Produkte der Kulturindustrie machen nur noch Reklame für sich selber, verweisen
auf keinen außerhalb von ihnen liegenden Sinn; ihr Zweck ist es zu sagen, dass sie da und deshalb interessant und wichtig sind. Auch die avancierten
Künste können sich der Tendenz, zur bloßen Reklame ihrer selbst zu werden, nicht entziehen. So gilt für jedes Konzert, jede Aufnahme
und Darbietung: »Das Aufführen von Musik hat an sich etwas Aufschwätzendes, Überredendes, Propagandistisches und zeigt sich damit
der heute herrschenden Kulturindustrie verschwistert. Übertrieben könnte man sagen, jede Aufführung eines musikalischen Werkes hat etwas
von Reklame für dieses.«
Verblendungszusammenhang Die Moderne ist von der Vorherrschaft des Auges gegenüber den anderen Sinnesorganen bestimmt. Die
neuzeitliche Philosophie ist geprägt von optischen Metaphern. Aufklärung bezeichnet in dieser Weise durchaus wörtlich, dass ein Licht
aufgeht, dass sich ein Zustand oder Sachverhalt gleich der Morgendämmerung erhellt. Zu viel Licht allerdings blendet. Das benennt der
Begriff Verblendungszusammenhang. Aufklärung schlägt in ihr Gegenteil um: Sie erhellt nicht die Umstände und Bedingungen des Lebens,
um sie zu verbessern und die Not abzuschaffen, sondern es tritt gewissermaßen eine Überbelichtung, eine Verblendung ein: in der Dialektik der
Aufklärung wird entwickelt, wie dies in der Kulturindustrie als Verblendungszusammenhang zum Tragen kommt: »Aufklärung als
Massenbetrug«, so der Untertitel des Abschnitts über die Kulturindustrie.
Der Verblendungszusammenhang resultiert aus der strukturellen Dynamik der in sich
widersprüchlichen Kraftfelder der kapitalistischen Moderne: Der ökonomische Liberalismus des Marktes des 19.Jahrhunderts führt
schließlich zum Ende des Marktes im 20.Jahrhundert; die Befreiung des bürgerlichen Individuums führt zum Individualismus; die
tatsächliche Verwirklichung des freien, selbstbestimmten Individuums bleibt uneingelöstes Versprechen, ja, das Individuum selbst bleibt Schein,
autoritäre Persönlichkeit. Die demokratischen Strukturen der Massengesellschaft besiegeln eine totalitäre, inhumane Propaganda; Ideologie
geriert sich als Kulturindustrie. Die Mündigkeit des Menschen, nach Kant das erklärte Ziel der Aufklärung, zeigt im Antisemitismus ihre
Kehrseite: die freiwillige Selbstbeherrschung von Unmündigen, die sich weigern, dem den anderen angetanen Unrecht anders als mit
Gleichgültigkeit zu begegnen. Nicht eine Logik des Fortschritts, sondern eine Logik des Zerfalls kennzeichnet den Entwicklungsprozess der
bürgerlichen Gesellschaft.
Die Medien, deren vielfältige Angebote Freiheit und Befriedigung verheißen,
fesseln den Konsumenten an den Fetischcharakter der Waren. Die Beziehungen der Menschen untereinander sind in der verwalteten Welt von Verdinglichung
gekennzeichnet; Glück gibt es nur als Surrogat, als Glücksversprechen.
Kritiker Adornos haben eingewendet, dass es wissenschaftlich unlogisch sei, zu behaupten, es
handele sich dabei um einen Verblendungszusammenhang. Das sei eine Aporie, weil es einen Ausweg nicht gebe. Adorno hat dagegen an vielen Stellen auf den
dialektischen Charakter des Verblendungszusammenhangs hingewiesen: »Jeder einzelne Zug im Verblendungszusammenhang ist doch relevant für
sein mögliches Ende.« Und: »Der Verblendungszusammenhang, der alle Menschen umfängt, hat teil auch an dem, womit sie den
Schleier zu zerreißen wähnen.« Zugleich gab Adorno zu bedenken, dass der Zusammenhang eben nicht total sei. »Die Integration von
Bewusstsein und Freizeit ist offenbar doch nicht gelungen.« Die gesellschaftliche Totalität hat Risse und Randzonen, in denen sich Brüche
des Verblendungszusammenhangs abzeichnen: »Totalität ist in den demokratisch verwalteten Ländern der industriellen Gesellschaft eine
Kategorie der Vermittlung, keine unmittelbarer Herrschaft und Unterwerfung. Das schließt ein, dass in der industriellen Tauschgesellschaft keineswegs
alles Gesellschaftliche ohne weiteres aus ihrem Prinzip zu deduzieren ist. Sie enthält in sich unzählige nicht-kapitalistische Enklaven.« Wie
eine Durchbrechung des Verblendungszusammenhangs vorzustellen ist, bleibt allerdings eine Frage der Praxis in spezifischen, nicht vorhersehbaren Situationen;
die kritische Theorie entwirft diese Möglichkeiten als negative Utopie.
Roger Behrens
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