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Gibt man den Suchbegriff »Paris-Belleville« im Internet ein, findet man einen netten Schüleraufsatz
über das »untypische« Quartier und sein Pendant am Boulevard Barbès-Rochechouart: Trotz
»Sanierungsmaßnahmen« in der Ära Chirac haben beide Viertel ihren Charakter als innerstädtische Wohngebiete für
Einwanderer nicht verloren, und beim Verlassen der Metro befindet man sich im »anderen« Paris.
Noch Mitte der 90er Jahre war zu befürchten, dass durch die städtebauliche
Gentryfizierung, den Anstieg der Mieten, den Kontrollzugriffen der Sozialbehörden und der Polizei die Vertreibung der aus Asien und Afrika
eingewanderten Menschen gelingen würde. In diesen 90er Jahren spielt der Roman Monsieur Malaussène von Daniel Pennac.
Es hagelt Zwangsvollstreckungen und Räumungsbefehle, das alte Filmtheater
Zèbre ist von der Schließung bedroht. Es gibt schlitzohrigen Widerstand und kleine Hoffnungen. Jeremy Malaussène will im letzten Kino in
Belleville ein selbstgeschriebenes Theaterstück aufführen und erreicht, dass der gesamte Familienclan einschließlich des epileptischen Hundes
zur Dauerprobe ins Zèbre zieht. Wie immer haben die Malaussènes Familienprobleme: Die Mutter ist vom Liebhaber zurückgekehrt, diesmal
und zum allerersten Mal ohne Nachwuchs. Den erwarten das Familienoberhaupt Benjamin und seine Freundin Julie. Doch Ruhe hat der 10-köpfige Haufen
nicht: Ein cineastisches Vermächtnis erweist sich als verhängnisvoll, und Benjamin wird zum Verdächtigen in einer Mordserie an
Prostituierten. Wie in den vorangegangenen Romanen Paradies der Ungeheuer oder Wenn alte Damen schießen wird Benjamin zum Sündenbock
eine lebensgefährliche Rolle, die er als Ernährer seiner Geschwister auch schon mehrfach professionell ausgeübt hat. Daniel Pennac,
der selbst seit 30 Jahren in Belleville lebt, hat mit seinen makaber-grotesken Malaussène-Romanen ein ganzes Panoptikum an Personen geschaffen, die als
echte und falsche Freunde, Ganoven, Polizisten, Schlosser, Restaurantbesitzer und Ärzte das Leben dieser Familie begleiten und hin und wieder die
notwendigen Rettungsringe auswerfen.
Das Zèbre hat überlebt, am Boulevard Belleville 75/77 finden heute
Musikveranstaltungen und Ausstellungen statt. Und wer vielleicht im November das Leben des Viertels spüren will, sollte sich in einer der
kleinen Seitenstraßen in einem vietnamesischen Restaurant eine Nudelsuppe bestellen und schauen.
Udo Bonn
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