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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2003, Seite 21

Gescheiterte Hoffnungen

Lichter, BRD 2002, Regie: Hans-Christian Schmid, Buch: Hans-Christian Schmid, Michael Gutmann, seit dem 31.7.2003 in den Kinos

Als der Schlepper die Flüchtlinge aus Osteuropa mitten im Wald absetzt, sagt er ihnen, dass sie bis zum Abend warten sollen. Dann sollen sie die Straße herunter gehen, bis sie die Lichter sehen, dann wären sie in Berlin. In Wirklichkeit sind sie noch nicht einmal in der BRD, sondern in der Nähe der polnischen Kleinstadt Slubice, der am östlichen Ufer der Oder gelegenen Nachbarstadt von Frankfurt an der Oder. Licht symbolisiert Hoffnung, wie das viel berufene Licht am Ende des Tunnels. Um die Hoffnungen sehr verschiedener Menschen geht es in diesem Film.
Da sind die Flüchtlinge aus der Ukraine, die von ihrem Schlepper betrogen werden. Sie hoffen auf ein besseres Leben in Deutschland. Berlin erscheint ihnen als die Stadt des Reichtums und der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Motive, die sie nach Deutschland treiben sind die gleichen, die viele Deutsche im 19. und beginnenden 20.Jahrhundert nach Amerika getrieben haben: Armut und Hoffnungslosigkeit. Während die damalige USA die deutschen Einwanderer mit offenen Armen empfing, schottet die sich die BRD heute an ihrer Ostgrenze martialisch gegen Einwanderer ab — so wie die heutige USA an ihrer Südgrenze.
Der Bruder eines Flüchtlings hat den Potsdamer Platz als Bauarbeiter mitgebaut, sah ihn aber nie fertig, weil er vorher abgeschoben wurde — das Schicksal vieler »Illegaler«. Sein Bruder will Fotos vom Potsdamer Platz machen, damit der Bruder in der Heimat sein Werk zumindest auf Bildern bewundern kann. Ein Pärchen ertrinkt fast in der Oder, als es versucht, ins »gelobte Land« zu gelangen.
Auf der deutschen Seite der Oder schlägt sich derweil ein gescheiterter Kleinunternehmer mit seinen Schulden und anderen Widrigkeiten des Lebens herum. Seinetwegen verlieren sowohl eine deutsche als auch eine polnische Angestellte, die jeden Tag von Slubice nach Frankfurt pendelte, ihren Job. Ihr Chef steht aber materiell kaum besser da als sie. Wieder eine Geschichte von gescheiterten Hoffnungen. Eine Dolmetscherin beim BGS versucht währenddessen Flüchtlingen zu helfen. Den Bruder des Bauarbeiters bringt sie tatsächlich nach Berlin. Dort fotografiert er den Potsdamer Platz mit einer Kamera, die er ihr gestohlen hat. Er besitzt keine eigene.
Zwei Brüder, ihr Vater und ein Mädchen betätigen sich derweil als Zigarettenschmuggler. Der jüngere Bruder erleidet die Brutalität seines Vaters und die Verachtung seines älteren Bruders. Er hofft, die Liebe des Mädchens zu gewinnen, das mit dem Älteren zusammen ist. Das Mädchen hofft, mit seiner Hilfe aus dem Heim zu entkommen. Alle hoffen, mit dem Zigarettenschmuggel reich zu werden. Aber es gibt viele Irrlichter, so wie die Lichter von Slubice nicht die von Berlin sind.
Ein polnischer Taxifahrer wird zum Schlepper, um sich das Kommunionkleid für seine Tochter leisten zu können. Seine Frau, die entlassene Angestellte, greift stattdessen selbst zur Nähmaschine.
Der Film erzählt mehrere Geschichten, die durch die Begegnungen der verschiedenen ProtagonistInnen miteinander verknüpft werden. Einige Szenen sind mit Handkamera gedreht, wie es aus den dänischen Dogma-Filmen bekannt ist.
Es wird ein interessantes Panorama der Lebensrealität an der Ostgrenze der »Festung Europa« geboten, das zutiefst menschlich ist, da es niemanden verurteilt und niemanden idealisiert. Hans-Christian Schmid kann genau hinsehen und bemüht sich zu verstehen. So ist ihm ein in jeder Hinsicht sehenswerter Film gelungen.

Andreas Bodden

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