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Wenige Monate vor dem offiziellen EU-Beitritt Polens und anderer osteuropäischer Länder setzen deutsche und
polnische Erwerbslosenorganisationen eine dauerhafte Kooperation in Gang.
Deutsche und polnische Erwerbslose trafen sich Anfang September in Rostock zu einem
gemeinsamen Seminar über »Chancen, Ängste und Hoffnungen im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung«. Taufpate dafür
hat das Europäische Sozialforum gestanden, das im vergangenen wie auch in diesem Jahr von einem Osteuropäischen Sozialforum aktiv mit
vorbereitet wurde. In Florenz traf das Komitee zum Schutz der Erwerbslosen aus Miastko auf die Europäische Erwerbslosenversammlung und so
fing alles an.
Das Rostocker Seminar wurde von den Euromärschen angestoßen und vom
Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen unterstützt; bewusst war es darauf ausgerichtet, die Situation der Erwerbslosen auf beiden
Seiten der Oder, in Mecklenburg-Vorpommern und in Pommern, in den Mittelpunkt zu stellen. Die Westdeutschen waren diesmal in der Zuhörerrolle
und das war sehr lehrreich.
Der Pommersche Verband umfasst Erwerbsloseninitiativen aus fünf Wojewodschaften
und stellt damit den größten Regionalverband von Erwerbslosen in Polen dar. Einen kleineren Regionalverband gibt es in der Region um Guben; in
den restlichen Landesteilen gibt es sonst nur noch örtliche Initiativen. Ähnlich wie die deutschen beklagen auch die polnischen Erwerbslosen die
Zersplitterung ihrer Bewegung.
In der Region Pommern leben 1,3 Millionen Arbeitslose. Sie haben Anrecht auf bis zu 18
Monate Stütze, wenn sie entsprechend lang gearbeitet haben; und sie müssen mindestens 18 Monate erwerbstätig sein, um wieder Anspruch
auf Arbeitslosengeld zu haben. Diese Regelung ist die vorteilhafteste, sie gilt nicht in allen Regionen. Arbeitslosenhilfe gibt es keine. Laut Gesetz gibt es
anschließend ein Anrecht auf Sozialhilfe, die die Gemeinden auszahlen; der Sozialhilfetopf wird zu gleichen Teilen vom Staat und von der Kommune
bestückt. Einen Regelsatz gibt es allerdings nicht. Die Kommune zahlt aus, was sie hat und verteilt das auf die Anzahl der bedürftigen Familien.
Reiche Gemeinden können viel zahlen, arme nur wenig. Da passiert es, dass manche gerade mal 20 Zloty (5 Euro) im Monat Sozialhilfe bekommen; das
ist auch in Polen praktisch nichts. Wie kann man da überleben? Mit Subsistenzwirtschaft, aus Mülltonnen, mit Schwarzarbeit oder durch
Auswanderung, z.B. als Saisonarbeiter nach Deutschland.
Armut hat in Polen ein anderes Gesicht als hier; das prägt auch die Arbeit des Erwerbslosenkomitees. Dreht sich in Deutschland die Arbeit der
Initiativen um den Umgang mit den Behörden, das Ausfüllen von Formularen, das Schreiben von Bewerbungen und die Schuldnerberatung, dreht
sie sich in Polen um die Suppenküche, die Kinderbetreuung und die Tauschwirtschaft.
Auch die Arbeitsvermittlung sieht anders aus: Hierzulande werden die Betroffenen zunehmend
von den Arbeitsämtern schikaniert, damit Vorwände gefunden werden, die Leistungen zu verweigern die Ämter wachen
darüber, die Erwerbslosen möglichst schnell in irgendeinen Job abzuschieben. In Polen werden Arbeitsplätze auf offener Straße
verkauft; private Geschäftsleute verdienen ihr Geld damit, dass sie Vermittlungsgebühren für einen Arbeitsvertrag kassieren. So ein
Arbeitsvertrag kann fünfmal »verkauft« werden, bevor er an den Arbeitsuchenden gerät, Erpressung und Kriminalität sind an der
Tagesordnung.
Da schützt auch die neue EU-Verfassung nicht, die ein »Recht auf kostenlose
Arbeitsvermittlung« vorsieht. Das »Recht« ist eben keine Pflicht zur unentgeltlichen Arbeitsvermittlung, die nur staatlich sein kann; und wo
nichts ist, hat auch der Kaiser sein Recht verloren. Die neue Mafia auszuschließen oder zu verdrängen, liegt im unmittelbaren Interesse der
Erwerbslosenverbände, die deshalb wie in Darlowo auch eigene Vermittlungsagenturen betreiben.
Kein Wunder, dass konkrete Hilfe ein unmittelbares Anliegen des Seminars war. Sie ist
angeschoben im Bereich der Kinderfreizeit, der Kleiderspenden, aber auch der vertraglichen grenzüberschreitenden Kooperation, die die
Möglichkeit eröffnet, Gelder des Europäischen Sozialfonds anzuzapfen.
Monika Balt, früher Abgeordnete der PDS im Bundestag und langjähriges
führendes Mitglied im Arbeitslosenverband (ALV), hat den Kooperationsvertrag vorgestellt, den der ALV Brandenburg mit den Erwerbslosen der Region
Lubuskie geschlossen hat. Er umfasst Möbelprojekte, Kleiderkammern, die kritische Begleitung der Anwerbung von Saisonarbeitern, die Qualifizierung
von Beschäftigten in Arbeitslosenprojekten, gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit. Weitere Vorhaben sind die gemeinsame Beratung von Erwerbslosen,
deutsch-polnische Sprachkurse, das Vorgehen gegen Menschenhandel (vor allem mit Frauen).
Gerd-Erich Neumann vom ALV Mecklenburg-Vorpommern plädiert für eine
stabile Vernetzung der Non-Profit-Organisationen und ihre enge Zusammenarbeit mit den Hochschulen des Landes, um zu ermitteln, in welchen Bereichen ein
lokaler oder regionaler Bedarf besteht und durch entsprechende Ausbildungsprogramme darauf reagieren zu können. Einen solchen Bedarf macht er
sowohl im Handwerk wie auch im Dienstleistungsbereich aus beides Branchen, die für die Entwicklung des Tourismus wichtig sind. Dazu
gehört auch, dass Deutsche in der Grenzregion Polnisch lernen und die Arbeitsämter entsprechende Kurse anbieten.
Der Ausbau des Tourismus, da pflichtet Ryszard Dul vom polnischen Komitee bei, ist auch
für Pommern eine wichtige Perspektive.
Diese mögliche gemeinsame Entwicklungsperspektive kann eine fundamentale Ungleichheit in den deutsch-polnischen Beziehungen nicht verdecken.
Deutsche Firmen sind sehr daran interessiert, nach Polen zu exportieren; umgekehrt gilt eher, dass Polen in Deutschland einkaufen.
Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern setzt Hoffnungen in den Beitritt Polens. Sie
will die Übergangsregelung, wonach polnische Arbeiter bis zu 7 Jahre warten müssen, bevor sie in Deutschland und Österreich einer
unbefristeten Erwerbsarbeit nachgehen und polnische Handwerker ihre Dienstleistungen auch im Westen feilbieten können, so schnell wie möglich
»kippen« mindestens für die Grenzregionen. Das fordert auch der Arbeitslosenverband.
Die Landesregierung verspricht sich davon, die Region aus ihrer bisherigen Randlage
herauszuholen und neue Absatzmärkte zu erschließen. Polen habe in den 90er Jahren ein dynamischeres Wirtschaftswachstum gezeigt als
Deutschland, berichtet der Vertreter des Arbeitsministeriums in Schwerin, der das Seminar am Freitagabend eingeleitet hat. Es sei Ostdeutschland
gegenüber deshalb im Vorteil, weil die polnischen Industriebetriebe nicht einfach geschlossen würden, wie dies nach der Wende in Ostdeutschland
der Fall war. Er sieht gute Chancen, dass die polnische Wirtschaft gedeiht, wenn »die Infrastruktur aufgebaut, die Betriebe modernisiert und die
Arbeitskräfte qualifiziert« würden.
In dieser Optik erscheint ein Wirtschaftsaufschwung in Polen als Bedingung für einen
Aufschwung in Ostdeutschland. »Uns geht es in Ostdeutschland gut, wenn es Polen gut geht«, brachte er das gemeinsame Interesse auf einen
Nenner.
Leider gab es keine Gelegenheit, diesen Ansatz intensiver zu diskutieren. Immerhin muss man
feststellen, dass selbst unter den Bedingungen, dass das Wirtschaftswachstum anhält, was schon spekulativ ist Wirtschaftswachstum nicht
gleichbedeutend ist mit Lohnanstieg. Sicher wird man hier differenzieren müssen: Hochqualifizierte Arbeitskräfte in Polen haben durch
verstärkte Nachfrage auf dem deutschen Markt unter den Bedingungen der Freizügigkeit die Möglichkeit, ihre Lohnsituation gemessen an der
jetzigen zu verbessern. Geringer qualifizierte Arbeitskräfte hingegen werden weiter genötigt sein zu emigrieren.
Es steht zu erwarten, dass sich die Lohnschere in Polen wie in Deutschland weiter öffnet.
Dagegen hilft freilich keine Abschottung des nationalen Arbeitsmarkts, worauf die deutschen Gewerkschaften noch ihre Politik aufbauen, sondern nur die
Erkämpfung gemeinsamer Lohn- und Sozialstandards in ganz Europa.
Angela Klein
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