SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2003, Seite 22

Neue Einheit

Das Bundesministerium für Wertschöpfungsgemeinschaft ist schon unter seinem früheren Namen Wirtschaftsministerium immer fest in der Hand der großen Stromversorgungsunternehmen gewesen. Das hat sich mit der Amtsübernahme durch Clement und die Anbringung des zweiten Türschilds »Arbeitsministerium« nicht geändert. Denkmodelle aus den Konzernzentralen von EON und Konsorten finden deshalb immer den kürzesten Weg zur Verwandlung in Tischvorlagen des Ministeriums. So dürfen die neue Aktionseinheit von Industriebossen und Minister gegen die Wind- und andere »erneuerbare« Energie und die Planungen zur Beendigung des — angeblichen — Ausstiegs aus der Atomenergie nicht verwundern. Der publikumswirksame Stromausfall in den USA brachte zufällig auch noch ein wagnerianisches Bühnenbild für entsprechende Initiativen. Der »Ausstieg« aus der Atomenergie war immer nur eine betriebswirtschaftlich unbedenkliche, höchstens noch taktisch motivierte Pseudoregelung mit der Regierung. Wenn die Profite wieder locken, sind die Abmachungen keinen Pfifferling wert, das werden insbesondere die Grünen noch erfahren.
Zur Runde aus Politik und Kapital gesellt sich neuerdings auch wieder eine lustige Bruderschaft, die als Phantom der ML-Oper auch schon seit 1969 mit skurrilen Botschaften be- und entgeistert. Die Gruppe Neue Einheit, früher KPD/ML (Neue Einheit), sah in der Verteidigung der »großen Technik«, inkl. der Atomenergie, bereits seit langem eine ihrer Hauptaufgaben. Aus Anlass des New Yorker Blackouts präsentierte die Gruppe einen ihrigen:
»Wir haben hier aber seit langem eine andere Energiedebatte gehabt, die in einem deutlichen Widerspruch dazu steht. Bei uns wurde lange Zeit gefordert, dass der ›Energieüberhang‹ verschwindet. Eine zentrale Losung der Anti-AKW-Ideologen war, den ›Energieüberhang‹ zu streichen, dann könne man sich die Kernenergie sparen. ›Energie sparen‹ war die zentrale Losung aller bürgerlichen Parteien und wurde es auch eine Zeit lang bei den Gewerkschaften.« Und dem, nein der großen Ver.di wird vorgehalten: »Ist nicht an eurer Spitze selbst ein Grüner, Mitglied der Partei, die jahrzehntelang als zentrale Losung vertreten hat, man müsse die Energie verknappen und die Arbeitskraft verbilligen? … Habt ihr, die Grünen in Ver.di und ideologisch verwandte Kräfte, nicht die Forderung nach der schnellen Abschaltung der Kernenergie unterstützt? Seid ihr nicht an der Demontage der Kernenergie mit all ihren Konsequenzen aktiv beteiligt?«
Jetzt müsse Schluss sein mit den reaktionären Energiespargesetzen. »Die Industriegesellschaft braucht Energie jedenfalls in einem gewissen Überfluss und Überhang, das muss als Prinzip festgeschrieben werden.« Und als herrliches Fazit: »Die Beherrschung der Natur aber ist die Grundlage des sozialen Emanzipationsprozesses des Menschen, die Grundlage seiner Freiheit — diesen elementaren Gedanken, den der Sozialismus frühzeitig übernahm, haben diese Leute vergessen.«
Bei den Hardcore-MLern der Neuen Einheit kommt der Strom aus der Dose, das scheint klar zu sein. Aber große Erleuchtung ihrer Hirne kam dennoch nicht zustande. Ohne Atomenergie gehen bei uns die Lichter aus: der Filbinger hatte seinerzeit um dem vom Kampf gegen das AKW in Wyhl aufgebrachte Volk mal eine Harke zu zeigen, auch mal dem Stuttgarter Fußballstadion den Saft abgedreht, dem Eberle — Profitstreberle —, dem damaligen Wirtschaftsminister in Baden Württemberg, gaben‘s die Wyhler Bauern mit der Hochdruckgüllespritze.
Vielleicht sollte die Neue Einheit diese und viele andere Atommafiosi in ihre Märtyrerahnenreihe aufnehmen. Oder sie feiert den Jahrestag der legendären »Großmobilisierung« der deutschen Stromgewerkschaften mit ihren Betriebsräten aus dem »Aktionskreis Energie«, damals ÖTV, BSE, Chemie, 1977 im Stadion Rote Erde, für den Ausbau der Atomenergie als Highlight des westdeutschen Klassenkampfs und Zeiten noch echter Stärke der Gewerkschaften. Und wenn sie nicht gestorben sind, spinnen sie auch noch in weiteren fünfundzwanzig Jahren.

Thies Gleiss

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang