SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003, Seite 7

Europäisches Bildungsforum

Ja zum Bologna-Prozess?

Im September trafen sich in Berlin Wissenschaftsminister aus über 40 Ländern Europas. Thema war die Schaffung eines europäischen Hochschulraums. Die Stimmung bei den Studierenden ist angesichts umwälzender Veränderungen geteilt. Teils wird das Projekt mitgetragen, teils radikal kritisiert.
Während die Wissenschaftsminister am 18. und 19.September im Berliner Hilton tagten, trafen sich in der Humboldtuniversität etwas mehr als 500 Studierende, SchülerInnen und LehrerInnen zum »European Education Forum« (EEF), einem Treffen von Aktiven im Bildungsbereich, das sich an das Europäische Sozialforum anlehnt. Auf der Podiumsdiskussion, aber auch bei zahlreichen Flurgesprächen kam immer wieder die Frage auf: Sollen Studierende, die an der Ministerkonferenz teilnehmen, auch auf dem Forum ein Podium bekommen? Zugespitzt: Sind sie Verräter oder Vertreter?
Die Ministerkonferenz im Rahmen des sog. Bologna-Prozesses tagt alle zwei Jahre. 1999 beschlossen in Bologna 29 Ländern — mittlerweile sind es 40 —, bis 2010 einen Europäischen Hochschulraum zu schaffen. Die zentralen Maßnahmen hierfür sind zunächst rein technokratischer Natur: europaweiter Aufbau vergleichbarer, zweistufiger Studienabschlüsse (Bachelor und Master); Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung im Hochschulbereich; europaweite Einführung eines Transfersystems für Studienleistungen, um die Anerkennung von Auslandsstudien zu erleichtern.
Der Streit unter den Studierenden hätten vielleicht vermieden werden können, hätte man die Minister machen lassen. Eine studentische Beteiligung war zunächst weder vorhanden noch vorgesehen. In Bologna waren die Minister unter sich. Doch der anhaltende Kampf um demokratische Beteiligungsrechte der Betroffenen — angeführt von Studierenden aus Skandinavien, für die studentische Mitbestimmung seit jeher eine Selbstverständlichkeit ist — hatte nach zwei Jahren Erfolg und führte dazu, dass der europäische Dachverband der Studierenden (ESIB) neben Hochschulverbänden, Europarat und seit kurzem auch der UNESCO beratend mit am Tisch sitzt — auch bei der Ministerkonferenz.
Kern der studentischen Intervention waren drei Forderungen: demokratische Beteiligungsrechte, ausreichende Berücksichtigung der sozialen Aspekte und Erhaltung von Hochschulbildung als öffentlichem Gut. Schaut man auf die beschlossenen Dokumente, war die studentische Beteiligung deutlich von Erfolg gekrönt.
So heißt es im Berliner Kommuniqué: »Die Ministerinnen und Minister bekräftigen erneut die Bedeutung der sozialen Dimension des Bologna-Prozesses. Die Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, muss mit dem Ziel, der sozialen Dimension des Europäischen Hochschulraums größere Bedeutung zu geben, in Einklang gebracht werden; dabei geht es um die Stärkung des sozialen Zusammenhalts sowie um den Abbau sozialer Ungleichheit und der Benachteiligung von Frauen auf nationaler und europäischer Ebene. In diesem Zusammenhang bekräftigen die Ministerinnen und Minister ihre Auffassung, dass Hochschulbildung ein öffentliches Gut und eine vom Staat wahrzunehmende Verpflichtung ist.« Und ferner: »Studierende sind gleichberechtigte Partner bei Hochschulsteuerungsprozessen« — eine Einsicht, die von der Realität in Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten liegt.

Hehre Erklärungen

Damit wird ein zentrales Problem des Bologna-Prozesses offenbar: Hehre Erklärungen auf europäischer Ebene und ihre Umsetzung der sog. »Bologna-Reformen« auf nationaler Ebene haben oft wenig gemeinsam. Während auf europäischer Ebene unverbindlich weitgehend technische Ziele vereinbart werden, bleibt die Umsetzung vollständig den Mitgliedstaaten überlassen. Unter meist neoliberaler Ägide, New Public Management und Regierungen, die weitgehend von Finanzministern gesteuert werden, kann kaum etwas Gutes heraus kommen.
In Deutschland ist die Umsetzung des Bologna-Prozesses gekennzeichnet von der Verknappung des Zugangs zu weitergehenden wissenschaftlichen Studien, Studienzeitverkürzung um jeden Preis und einer chaotischen Umsetzung systemverändernder Reformen mangels finanzieller und personeller Ressourcen der Hochschulen; an Studienreformprojekte wird in aller Regel rein technokratisch herangegangen. Die fällige Erhöhung der Bundesausbildungsförderung (Bafög) wurde mit Verweis auf die finanzielle Lage von Bund und Ländern ausgesetzt — den schwächsten unter den Studierenden geht es nicht besser als anderen marginalisierten Gruppen.
Die Beschlüsse von Berlin werden deshalb voraussichtlich politisch wenig Wirkung zeigen. Beschlossen wurden für nächsten zwei Jahre folgende Schwerpunkte: Stärkung der — überwiegend technisch betrachteten — Qualitätssicherung, Konzentration auf die Einführung zweistufiger Studiengänge, Erleichterung der Anerkennung von Studienleistungen. Weder soziale Themen noch Fragen der Demokratisierung der Hochschulen stehen im Vordergrund.
Dennoch stellt sich die Frage, wie Studierende mit dem Bologna-Prozess umgehen sollen: Sollen sie sich, in Kenntnis der gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse, an der Ausgestaltung des Europäischen Hochschulraums beteiligen oder nicht?
Ausgestaltbar ist der Umsetzungsprozess, und dies ist politisch auch notwendig, denn die Interessen der beteiligten Ministerien und Verbände sind alles andere homogen, die Zielformulierungen entsprechend abstrakt gehalten. Finnland und Österreich bspw. können sich derzeit unmöglich auf eine gemeinsame inhaltliche Plattform einigen. Die Richtungen, die die Unterzeichnerstaaten bei der Hochschulreform einschlagen, sind höchst unterschiedlich.
Auch der Bund demokratischer WissenschaftlerInnen (BdWi) betont, dass die Deutungsrichtung der Bologna-Dokumente keineswegs festgelegt ist. Auf Grundlage der jüngsten Beschlüsse ließe sich, sieht man von wenigen Formulierungen ab, auch eine sozialistische Bildungspolitik gestalten. Selbst wenn die politischen Kräfteverhältnisse eine solche Richtung derzeit nicht erlauben, stellt sich die Frage, ob grundsätzlich wünschenswerte Reformen deswegen boykottiert werden sollen. Der Raum zur Gestaltung jedenfalls ist, wenn die eigenen Kräfte mobilisiert werden, vorhanden.

Heiner Fechner

Der Autor ist Mitglied im Vorstand des freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs).



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