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Das Parteiprogramm, das die PDS auf ihrem Parteitag Ende Oktober in Chemnitz verabschieden will, kann man selbst bei
gutem Willen und einer weitherzigen Auslegung des Begriffs nicht mehr antikapitalistisch nennen.
Es bietet nicht einmal eine griffige und in sich schlüssige Argumentation gegen den
Neoliberalismus; es fällt damit noch hinter Attac und die globalisierungskritische Bewegung zurück und bietet null Ansatzpunkte für die
Bewegung gegen den Sozialraub, die in den letzten Monaten verzweifelt versucht, sich Gehör zu verschaffen. Die EU wird grundsätzlich bejaht, der
Stabilitätspakt nicht in Frage gestellt. Der einzige Punkt, an dem es eine durchgängig linke Position bezieht, ist die Militarisierung und
selbst da gibt es einen Pferdefuß.
Die Präambel enthält einen Nebensatz, der alle weiteren Bekenntnisse zum Sozialismus überflüssig macht: »Das
Gewinninteresse ist eine wichtige Bedingung für Innovation und betriebswirtschaftliche Effizienz.« Das haben wir im Westen immer dann zu
hören bekommen, wenn man linke Kapitalismuskritik mundtot machen wollte mit dem Verweis auf die »marode Wirtschaft« in der DDR. Mit
dieser Begründung wurde in Ostdeutschland nach der Wende alles privatisiert und gerade auch gutlaufende Ansätze für eine Solidarwirtschaft
zerschlagen. Der Kapitalismus war das Ende der Geschichte.
Nun ist auch die PDS bei diesem Ende angelangt, nachdem sie in den Jahren vorher schon die
bürgerliche Sichtweise übernommen hat, dass die DDR deswegen untergegangen sei, weil ihr »die Demokratie« (die bürgerlich-
repräsentative, versteht sich) fehlte.
Der Satz ist kein Ausrutscher. Wenn man Gelegenheit bekommt, sich mit den verschiedenen
Strömungen in der Partei zu unterhalten, stellt man mit Erschrecken fest, dass die Kritik am Stalinismus für einige und darunter sind
durchaus auch Jüngere geradewegs in das Lob auf die »Eigenverantwortung«, in Sozialstaatskritik als Kritik an »staatlicher
Bevormundung« und in einer individualistischen Kritik am »Bürokratismus« mündet. Das ist schon kein sozialdemokratisches
Gedankengut mehr, sondern klassisch liberales.
Es kann daher nicht mehr verwundern, dass eine Abrechnung mit den Grundtheoremen des
Neoliberalismus im Programm fehlt. An den Stellen, wo Kritik geübt wird, geschieht das gar noch mit falschen Argumenten, z.B. wenn gesagt wird, der
Neoliberalismus habe die Integration sozial Benachteiligter versprochen und jetzt erlebten wir den großen Vertrauensbruch. Versprechen tun die Liberalen
gar nichts, höchstens dass sich »Leistung« wieder lohnen muss, womit sie meinen, das die Reichen reicher werden müssen. Und dass es
keine Alternative gibt.
Das Programm gibt im Kern keine andere Antwort auf die Krise von Wirtschaft und
Gesellschaft, als dies die im Bundestag vertretenen Parteien und die großen Verbände auch tun: das Zauberwort heißt Wirtschaftswachstum.
Sicherlich will man das Steueraufkommen daraus etwas anders verwenden für ökologische Zwecke z.B., wobei die Autogesellschaft als eine
Hauptverursacherin der Klimakatastrophe nicht einmal Erwähnung findet. Aber auch der Ökokeynesianismus löst sich nicht von der
Prämisse: Soziales können wir uns nur leisten, wenn die Wirtschaft brummt. Da waren die Grünen schon mal weiter und es lohnt sich,
ein paar ihrer früheren Argumente wieder hervorzukramen.
Irgendwo im Programm steht: »20% der Weltbevölkerung im Norden produzieren und konsumieren mehr als 70% der Güter und
Dienstleistungen weltweit.« Kommt niemand auf die Idee, dass dies keine Basis für eine ausgewogene, gerechte und deshalb auch friedliche
Entwicklung der Weltwirtschaft sein kann? Die Bevölkerung der DDR hat am eigenen Leib erfahren, wie leicht es für westdeutsche
Supermarktketten nach dem 1.Juli 1990 war, die DDR mit Westwaren zu versorgen. Die Automobilindustrie bereitet sich darauf vor, eine Milliarde Chinesen mit
West-Autos zu versorgen, und eine der ersten Folgen der Osterweiterung der EU wird sein, dass die einheimische Landwirtschaft in Osteuropa unter dem
Ansturm der so viel produktiveren Agarwirtschaft Westeuropas zusammenbricht und nicht nur sie.
Das kapitalistische Wachstumsmodell, zu dem es angeblich keine Alternative gibt, baut auf
nichts anderem auf, als mehr und mehr Anteile an der Weltmarktproduktion in der Hand immer weniger Konzerne zu konzentrieren. Eine solche Dynamik muss
einmal kollabieren ökologisch wie ökonomisch und sozial. Dieses Wachstum schafft mehr und nicht weniger Arbeitslosigkeit, mehr und
nicht weniger Armut.
Es wäre höchste Zeit, die Wachtumsideologie, die derzeit wieder die gesamte
Debatte über die Agenda 2010 verstopft, frontal anzugreifen und zu demontieren. Eine alternative Wirtschaftsweise müsste auf dem Grundsatz:
Qualität statt Quantität aufbauen, die weltweite Verkürzung der Arbeitszeit als strategischen Angelpunkt erkennen, den Ausbau
personennaher Dienstleistungen sowie die Förderung umweltfreundlicher Techniken und Produktionsmethoden in den Mittelpunkt der
Wirtschaftstätigkeit rücken. Mit der Jagd nach immer mehr Warenausstoß muss es ein Ende haben; die Gesellschaften des Nordens sind
überfüttert und die des Südens müssen radikal entschuldet werden, damit sie ihre eigene Wirtschaft entwickeln können.
Dem Programm fehlt in merkwürdiger Weise das Subjekt. Sozialismus wird definiert als »Bewegung für eine bessere Gesellschaft,
selbstbestimmt und gerecht; ein Prozess, der nur durch gemeinsames Handeln der Beteiligten Gestalt annehmen kann«. Die Definition ist sehr seicht, aber
seis drum: Wer um alles in der Welt sind die Beteiligten? Wen will die PDS bewegen? Man möchte mutmaßen, die Mühseligen und
Beladenen. Die kommen als solche mit ihren Strukturen und Belangen aber gar nicht vor. Bis auf die Gewerkschaften. Und da beugt das Programm gleich vor:
»Solange die PDS Regierungsverantwortung trägt, steht sie in einem Spannungsfeld: gewerkschaftliche Forderungen mit anderen Interessen
abzuwägen.« Zum Beispiel in Berlin, per Ausstieg aus dem Arbeitgeberverband, Stellenkürzungen im öffentlichen Dienst,
Privatisierung der Wasserversorgung u.ä. Eine eigenständige Rolle spielen soziale Bewegungen im PDS-Programm nicht; die Partei selbst taucht
ziemlich durchgängig nur als parlamentarische Kraft auf.
Irgendwo steht auch, man muss ein Kräfteverhältnis aufbauen. Leuchtender
Geistesblitz aber er führt nirgendwo hin. Ein Programm, das ernsthaft diskutierte, wie denn eine Gegenmacht aufgebaut werden kann, würde
heute öffentliche Aufmerksamkeit erregen. Denn das wäre ja weit mehr als nur die Frage: Wie kommen wir wieder in den Bundestag? Sie
würde erfordern, dass Linke der Tendenz der Entsolidarisierung bewusst und systematisch gesellschaftliche Strukturen der Solidarität
entgegensetzen, dass sie Räume des Austauschs und der gemeinsamen Aktion schaffen ein bisschen das, was sich das Sozialforum auf die Fahnen
schreibt. Aber im PDS-Programm ist damit Fehlanzeige.
Fehlanzeige ist auch mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Partei, sozialer
Bewegung und Staat. Das Programm registriert nicht einmal, dass es eine tiefe Krise der repräsentativen Demokratie gibt die sich zuletzt wieder in
der Bayernwahl geäußert hat, wo die CSU als historische Siegerin gefeiert wurde, obwohl sie 200000 Stimmen verloren hat! , die nicht nur
die Parteien, sondern auch die Gewerkschaften trifft. Es ist die Rede von der Krise der kommunistischen Tradition; dass auch die sozialdemokratische Tradition
in einer tiefen Krise steckt so tief, dass Gewerkschaftsspitzen heute sagen, sie fühlen sich von der SPD nicht mehr vertreten wird einfach
nicht zur Kenntnis genommen.
Und somit versteht diese Partei auch die Welt nicht, die um sie herum ist. Dabei gäbe es
mit Konzepten wie dem Beteiligungshaushalt Ansatzpunkte, die weiter tragen als die wiederholte Forderung nach Volksentscheiden.
Es würde zu kurz greifen, konzentrierte man die Auseinandersetzung mit der PDS nur
auf die Frage der Regierungsbeteiligung. Da liegt viel mehr im Argen und lange bevor die Frage nach Reform oder Revolution überhaupt akut werden
kann. Der vorliegende Programmentwurf führt die Partei schlicht ins Nirgendwo. In den Bundestag kommt sie damit nimmer.
Angela Klein
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