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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003, Seite 9

PDS-Programmentwurf

An der Realität vorbei

Das Parteiprogramm, das die PDS auf ihrem Parteitag Ende Oktober in Chemnitz verabschieden will, kann man selbst bei gutem Willen und einer weitherzigen Auslegung des Begriffs nicht mehr antikapitalistisch nennen.
Es bietet nicht einmal eine griffige und in sich schlüssige Argumentation gegen den Neoliberalismus; es fällt damit noch hinter Attac und die globalisierungskritische Bewegung zurück und bietet null Ansatzpunkte für die Bewegung gegen den Sozialraub, die in den letzten Monaten verzweifelt versucht, sich Gehör zu verschaffen. Die EU wird grundsätzlich bejaht, der Stabilitätspakt nicht in Frage gestellt. Der einzige Punkt, an dem es eine durchgängig linke Position bezieht, ist die Militarisierung — und selbst da gibt es einen Pferdefuß.

Liberale Anwandlungen

Die Präambel enthält einen Nebensatz, der alle weiteren Bekenntnisse zum Sozialismus überflüssig macht: »Das Gewinninteresse ist eine wichtige Bedingung für Innovation und betriebswirtschaftliche Effizienz.« Das haben wir im Westen immer dann zu hören bekommen, wenn man linke Kapitalismuskritik mundtot machen wollte mit dem Verweis auf die »marode Wirtschaft« in der DDR. Mit dieser Begründung wurde in Ostdeutschland nach der Wende alles privatisiert und gerade auch gutlaufende Ansätze für eine Solidarwirtschaft zerschlagen. Der Kapitalismus war das Ende der Geschichte.
Nun ist auch die PDS bei diesem Ende angelangt, nachdem sie in den Jahren vorher schon die bürgerliche Sichtweise übernommen hat, dass die DDR deswegen untergegangen sei, weil ihr »die Demokratie« (die bürgerlich- repräsentative, versteht sich) fehlte.
Der Satz ist kein Ausrutscher. Wenn man Gelegenheit bekommt, sich mit den verschiedenen Strömungen in der Partei zu unterhalten, stellt man mit Erschrecken fest, dass die Kritik am Stalinismus für einige — und darunter sind durchaus auch Jüngere — geradewegs in das Lob auf die »Eigenverantwortung«, in Sozialstaatskritik als Kritik an »staatlicher Bevormundung« und in einer individualistischen Kritik am »Bürokratismus« mündet. Das ist schon kein sozialdemokratisches Gedankengut mehr, sondern klassisch liberales.
Es kann daher nicht mehr verwundern, dass eine Abrechnung mit den Grundtheoremen des Neoliberalismus im Programm fehlt. An den Stellen, wo Kritik geübt wird, geschieht das gar noch mit falschen Argumenten, z.B. wenn gesagt wird, der Neoliberalismus habe die Integration sozial Benachteiligter versprochen und jetzt erlebten wir den großen Vertrauensbruch. Versprechen tun die Liberalen gar nichts, höchstens dass sich »Leistung« wieder lohnen muss, womit sie meinen, das die Reichen reicher werden müssen. Und dass es keine Alternative gibt.
Das Programm gibt im Kern keine andere Antwort auf die Krise von Wirtschaft und Gesellschaft, als dies die im Bundestag vertretenen Parteien und die großen Verbände auch tun: das Zauberwort heißt Wirtschaftswachstum. Sicherlich will man das Steueraufkommen daraus etwas anders verwenden — für ökologische Zwecke z.B., wobei die Autogesellschaft als eine Hauptverursacherin der Klimakatastrophe nicht einmal Erwähnung findet. Aber auch der Ökokeynesianismus löst sich nicht von der Prämisse: Soziales können wir uns nur leisten, wenn die Wirtschaft brummt. Da waren die Grünen schon mal weiter — und es lohnt sich, ein paar ihrer früheren Argumente wieder hervorzukramen.

Etwas Keynes

Irgendwo im Programm steht: »20% der Weltbevölkerung im Norden produzieren und konsumieren mehr als 70% der Güter und Dienstleistungen weltweit.« Kommt niemand auf die Idee, dass dies keine Basis für eine ausgewogene, gerechte und deshalb auch friedliche Entwicklung der Weltwirtschaft sein kann? Die Bevölkerung der DDR hat am eigenen Leib erfahren, wie leicht es für westdeutsche Supermarktketten nach dem 1.Juli 1990 war, die DDR mit Westwaren zu versorgen. Die Automobilindustrie bereitet sich darauf vor, eine Milliarde Chinesen mit West-Autos zu versorgen, und eine der ersten Folgen der Osterweiterung der EU wird sein, dass die einheimische Landwirtschaft in Osteuropa unter dem Ansturm der so viel produktiveren Agarwirtschaft Westeuropas zusammenbricht — und nicht nur sie.
Das kapitalistische Wachstumsmodell, zu dem es angeblich keine Alternative gibt, baut auf nichts anderem auf, als mehr und mehr Anteile an der Weltmarktproduktion in der Hand immer weniger Konzerne zu konzentrieren. Eine solche Dynamik muss einmal kollabieren — ökologisch wie ökonomisch und sozial. Dieses Wachstum schafft mehr und nicht weniger Arbeitslosigkeit, mehr und nicht weniger Armut.
Es wäre höchste Zeit, die Wachtumsideologie, die derzeit wieder die gesamte Debatte über die Agenda 2010 verstopft, frontal anzugreifen und zu demontieren. Eine alternative Wirtschaftsweise müsste auf dem Grundsatz: Qualität statt Quantität aufbauen, die weltweite Verkürzung der Arbeitszeit als strategischen Angelpunkt erkennen, den Ausbau personennaher Dienstleistungen sowie die Förderung umweltfreundlicher Techniken und Produktionsmethoden in den Mittelpunkt der Wirtschaftstätigkeit rücken. Mit der Jagd nach immer mehr Warenausstoß muss es ein Ende haben; die Gesellschaften des Nordens sind überfüttert und die des Südens müssen radikal entschuldet werden, damit sie ihre eigene Wirtschaft entwickeln können.

Wo ist das Subjekt?

Dem Programm fehlt in merkwürdiger Weise das Subjekt. Sozialismus wird definiert als »Bewegung für eine bessere Gesellschaft, selbstbestimmt und gerecht; ein Prozess, der nur durch gemeinsames Handeln der Beteiligten Gestalt annehmen kann«. Die Definition ist sehr seicht, aber sei‘s drum: Wer um alles in der Welt sind die Beteiligten? Wen will die PDS bewegen? Man möchte mutmaßen, die Mühseligen und Beladenen. Die kommen als solche mit ihren Strukturen und Belangen aber gar nicht vor. Bis auf die Gewerkschaften. Und da beugt das Programm gleich vor: »Solange die PDS Regierungsverantwortung trägt, steht sie in einem Spannungsfeld: gewerkschaftliche Forderungen mit anderen Interessen abzuwägen.« Zum Beispiel in Berlin, per Ausstieg aus dem Arbeitgeberverband, Stellenkürzungen im öffentlichen Dienst, Privatisierung der Wasserversorgung u.ä. Eine eigenständige Rolle spielen soziale Bewegungen im PDS-Programm nicht; die Partei selbst taucht ziemlich durchgängig nur als parlamentarische Kraft auf.
Irgendwo steht auch, man muss ein Kräfteverhältnis aufbauen. Leuchtender Geistesblitz — aber er führt nirgendwo hin. Ein Programm, das ernsthaft diskutierte, wie denn eine Gegenmacht aufgebaut werden kann, würde heute öffentliche Aufmerksamkeit erregen. Denn das wäre ja weit mehr als nur die Frage: Wie kommen wir wieder in den Bundestag? Sie würde erfordern, dass Linke der Tendenz der Entsolidarisierung bewusst und systematisch gesellschaftliche Strukturen der Solidarität entgegensetzen, dass sie Räume des Austauschs und der gemeinsamen Aktion schaffen — ein bisschen das, was sich das Sozialforum auf die Fahnen schreibt. Aber im PDS-Programm ist damit Fehlanzeige.
Fehlanzeige ist auch mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Partei, sozialer Bewegung und Staat. Das Programm registriert nicht einmal, dass es eine tiefe Krise der repräsentativen Demokratie gibt — die sich zuletzt wieder in der Bayernwahl geäußert hat, wo die CSU als historische Siegerin gefeiert wurde, obwohl sie 200000 Stimmen verloren hat! —, die nicht nur die Parteien, sondern auch die Gewerkschaften trifft. Es ist die Rede von der Krise der kommunistischen Tradition; dass auch die sozialdemokratische Tradition in einer tiefen Krise steckt — so tief, dass Gewerkschaftsspitzen heute sagen, sie fühlen sich von der SPD nicht mehr vertreten — wird einfach nicht zur Kenntnis genommen.
Und somit versteht diese Partei auch die Welt nicht, die um sie herum ist. Dabei gäbe es mit Konzepten wie dem Beteiligungshaushalt Ansatzpunkte, die weiter tragen als die wiederholte Forderung nach Volksentscheiden.
Es würde zu kurz greifen, konzentrierte man die Auseinandersetzung mit der PDS nur auf die Frage der Regierungsbeteiligung. Da liegt viel mehr im Argen und lange bevor die Frage nach Reform oder Revolution überhaupt akut werden kann. Der vorliegende Programmentwurf führt die Partei schlicht ins Nirgendwo. In den Bundestag kommt sie damit nimmer.

Angela Klein

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