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Das Scheitern der 5.Ministerrunde der 1995 gegründeten Welthandelsorganisation (WTO) stellt ihre Existenz in Frage
und dramatisch die Frage nach der Alternative.
Nichtregierungsorganisationen und die Delegationen der Länder des Südens, die
in Cancún gemeinsam als G23 aufgetreten sind, haben das Scheitern als Erfolg gefeiert. Wem ist er zu verdanken? Darüber gehen die Meinungen in
der globalisierungskritischen Bewegung auseinander.
Es waren die kleineren Länder Afrikas und der Karibik (AKP-Staaten) sowie
Südkorea, die, angeführt von Kenya, aufstanden und den Raum verließen, als ihnen klar wurde, dass die EU, die USA und Japan sich
über die Erklärung von Doha aus der vorhergehenden Ministerrunde hinwegsetzen. Diese hatte festgelegt, dass eine neue Verhandlungsrunde
über die vier Punkte von Singapur Investitionen, Wettbewerbspolitik, Handelserleichterungen und Regierungsvermittlung nur
eröffnet werden kann, wenn alle Mitgliedstaaten der WTO dem zustimmen.
Die neue Verhandlungsrunde sollte den multinationalen Konzernen in den Ländern des
Südens mehr Freiheit für Handel und Investitionen verschaffen. Im Gegenzug hätten die Länder des Nordens die Subventionierung
ihrer Agrarprodukte zurückfahren und ihre Märkte den Ländern des Südens öffnen müssen. Zu diesem Zugeständnis
waren sie nicht bereit.
Walden Bello*, der Leiter des Instituts Focus on the Global South in Bangkok, kommentierte
deshalb treffend: »Nicht die Entwicklungsländer haben die WTO zum Scheitern gebracht, wie der US-Bevollmächtigte für
Handelsfragen, Robert Zoellick, auf der Pressekonferenz behauptete. Die Verantwortung tragen allein die USA und Europa. Als die zweite Überarbeitung
der Ministererklärung am frühen Morgen des 13.September vorgelegt wurde, war klar, dass sie am hohen Niveau ihrer Agrarsubventionen keine
Abstriche machen würden, von den Entwicklungsländern aber weiter forderten, ihre Zölle zu senken.«
Die globalisierungskritische Bewegung spielte in Cancún eine große Rolle. Nach
Seattle hat sich die Zusammenarbeit zwischen ihr und einigen Regierungen des Südens in Handelsfragen verstärkt. NGOs haben diese Regierungen
in politischen wie technischen Fragen bei den Verhandlungen unterstützt. Sie haben die öffentliche Meinung gegen den rückständigen
Standpunkt der reichen Länder aufgebracht. Sie haben in den Ländern des Südens Druck ausgeübt, damit deren Regierungen keine
weiteren Zugeständnisse machen.
»Wenn so viele Entwicklungsländer dem Druck der USA und der EU in
Cancún nicht nachgegeben haben, dann deshalb weil sie politische Sanktionen zu Hause fürchteten«, schreibt Bello in einer Bilanz vom 13.9.
»Basisbewegungen demonstrierten in der Innenstadt, NGOs zogen vom ersten Tag an stündlich vor und in das Kongresszentrum. Cancún
wurde damit zu einem Mikrokosmos der Machtprobe zwischen den Staaten und der Zivilgesellschaft. Der Selbstmord des koreanischen Bauern Lee Kyung Hae
vor den Barrikaden der Polizei war für jeden im Kongresszentrum eine Warnung, dass die Kleinbauern nicht länger stillhalten würden; die
Vertreter der Regierungen sahen sich genötigt, das Signal zur Kenntnis zu nehmen und eine Schweigeminute einzulegen. Das Scheitern von Cancún
war ein weiterer Beweis für die Bemerkung, die die New York Times einmal gemacht hat, die globale Zivilgesellschaft sei die zweite Supermacht der
Welt.«
Das Ansehen der WTO hat nachhaltig gelitten. Für die großen Handelsmächte ist sie nicht länger ein brauchbares Instrument zur
Durchsetzung ihrer Interessen, und so kann es nicht überraschen, dass der Handelskommissar der EU, Pascal Lamy, angekündigt hat, künftig
mehr Gewicht auf bilaterale Verhandlungen legen zu wollen.
Damit ist die WTO nicht tot. Es wird auch Bemühungen geben, sie wieder ans Laufen zu
bringen. Zoellick hat jedoch zu Recht bezweifelt, dass die Doha-Runde zum Januar 2005 zu Ende gebracht werden kann. Der wachsende Protektionismus der
reichen Länder, eine Weltwirtschaft in anhaltender Stagnation, und eine politisch gespaltene Nordatlantische Allianz bieten keinen guten Nährboden
für eine multilaterale Institution wie die WTO. So kann die WTO dasselbe Schicksal ereilen, das sie der UNCTAD (der UN-Konferenz über Handel
und Entwicklung) beschert hat: sie überlebt, aber sie wird zunehmend unbedeutend.
Was ist die Alternative? Protektionismus kann es nicht sein, das ist das Gesetz des Dschungels.
Welche internationalen Antworten auf das Scheitern der WTO gibt es? Walden Bello sieht in der Gruppe der 23, der Koalition der Länder des
Südens, die von Brasilien, China, Indien und Südafrika angeführt wurde, eine bedeutende neue Entwicklung, »die dazu führen
könnte, das Kräftegleichgewicht zu verändern«. Ihr objektives Potenzial ist beträchtlich: sie repräsentiert die Hälfte
der Weltbevölkerung und über zwei Drittel der Bauern. US-Vertreter sehen darin eine Neuauflage der Bestrebungen des Südens aus den 70er
Jahren, eine neue Weltwirtschaftsordnung durchzusetzen.
Der Vorsitzende des Forums für Biotechnologie und Nahrungsmittelsicherheit aus Neu-
Delhi, Devinder Sharma, hingegen geht besonders mit den Staaten, die die Gruppe anführten, hart ins Gericht vor allem mit Indien selbst.
Für ihn haben Indien, Brasilien und China »nur gebrüllt«. Sie haben den Raum nicht verlassen. Sie haben nur ein Ende der
Exportsubventionen für »strategische Agrarprodukte« gefordert; das blieb weit hinter den Forderung der G23 nach Aufhebung aller
Subventionen zurück.
Die indische Regierung, die von der konservativen BJP geführt wird, hat in den
vergangenen Jahren immer im Sinne der reichen Länder agiert. Das Bürgertum in den Schwellenländern, gerade so
bevölkerungsreichen wie Brasilien oder Indien, hat zu einem großen Teil ein Interesse am Freihandel im Gegensatz zu den indischen
Kleinbauern.
Die G23 haben in Cancún nicht mit einer Stimme gesprochen; ein Teil von ihnen hatte
sich schon auf den Kompromiss eingelassen, als Gegenleistung für die stufenweise Einstellung der Agrarsubventionen das Singapur-Paket
aufzuschnüren, sodass auf mindestens zwei von vier Feldern die Verhandlungen hätten beginnen können. Indien, China, Malaysia und
Indonesien saßen schon in den berüchtigten green rooms und wurden dort in den Schwitzkasten genommen. Der »afrikanische Block«
hat die Situation gerettet.
Es bleibt, dass das Auftreten der G23 weltweit die Öffentlichkeit gegen die
Subventionspolitik der reichen Länder einnehmen konnte und auch die Länder des Nordens zugeben mussten, dass Subventionen den Handel
verzerren. Es wird sich noch weisen, ob die Belange der Klein- und Mittelbauern in den Händen der Regierungen des Südens gut aufgehoben sind.
Die Erfahrung aus den 70er Jahren zeigt, dass auch dies eine Frage ist, welche Gesellschaftsschichten die Politik in diesen Ländern bestimmen.
Angela Klein
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