SoZ Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003, Seite 17

Totalitarismen aktuell

Rezension

Hartmut Krauss, Faschismus und Fundamentalismus. Varianten totalitärer Bewegung im Spannungsfeld zwischen »prämoderner« Herrschaftsstruktur und kapitalistischer »Moderne«, Osnabrück 2003, 311 S., 12,80 Euro.

Totalitarismustheorien entstanden mit dem italienischen Faschismus. In der Hoch-Zeit des Kalten Krieges nutzten bourgeoise Ideologen sie, um faschistische und stalinistische Herrschaftsformen faktisch einander gleichzusetzen. Hartmut Krauss* sieht das Totalitäre differenziert.
Gemeinsam sei die radikale Vertiefung, Verabsolutierung und Perfektionierung von Herrschaftsverhältnissen, welche die Vernichtung ganzer Menschengruppen einschließt. Das trifft auf Faschismus und islamischen Fundamentalismus ebenso zu wie auf stalinistischen Pseudosozialismus. Die bürgerliche Totalitarismustheorie kritisiert er, weil sie ökonomisch-gesellschaftliche und historische Spezifika ignoriert. Zur kapitalistischen »Moderne« stellt er fest, dass sie nur in Zeiten antifeudaler Opposition und Revolution progressiv war. Die »kulturelle Moderne« sei von ökonomisch-technischer, bürokratisch-rationaler Modernität zu unterscheiden.
Im zweiten Teil belegt der Verfasser dies am Beispiel des »Nationalsozialismus«. Er geht zuvor auf Entwicklungen vom Bauernkrieg bis zur preußisch bewirkten Einheit »von oben« ein, die dazu führten, dass der deutsche Gang in die »Moderne« gebückt verlief. Mit Lukács verweist der Autor auf den Wechsel von Schopenhauer zu Nietzsche. Dessen Herrenmenschenkult gehörte gleich dem Rassenwahn zu jenen Ingredienzien, die der Faschismus fertig vorfand. Das Christentum steuerte den Antijudaismus bei.
Der dritte Teil bringt eine Genesis des Religiösen, das auch heute noch der Herrschaftsstärkung dient. Im USA-Protestantismus bildete sich als Antwort auf die »Moderne« ein Fundamentalismus heraus, der nicht gegen Entfremdung und Unterdrückung, sondern wider das Aufbegehren gegen sie gerichtet ist.
Teil 4 handelt vom muslimischen Fundamentalismus. Krauss warnt vor einem holzschnittartigen »Feindbild Islam« genauso wie vor blinder, Gewalttaten entschuldigender Islamophilie. Mohammeds Wandlung vom Sektenprediger zum Kriegsherrn entsprechend enthalte der Koran Suren mit der Tendenz zu friedlichem Ausgleich ebenso wie solche, die den Jihad (Kampf) zur Durchsetzung des Islam zum Inhalt haben. Vorwärtsweisendes Element im islamischen Denken sei vor allem der humanistische Rationalismus mit seiner Lehre von Willensfreiheit und Verantwortung gewesen. Krauss wendet sich der emanzipationsfeindlichen Bewegung mit ihrer Vorschriftensammlung Scharia zu. Der Islam sei derzeit konservativ dominiert. Der Verfasser untersucht Parallelen zwischen postmodernem westlichem Kulturrelativismus und islamischem Fundamentalismus, zwischen diesem und dem Nazismus. Eliminatorischer Judenhass gelte bei Muslimen unbeliebten »Ungläubigen«, bei Nazis der »feindlichen Rasse«.
Das Nachwort ist mit Blick auf den 11.9.2001 verfasst. Krauss zitiert antijüdische Hasstiraden islamischer Führer und fundamentalistischer Terroristen als Werkzeuge »prämoderner« Reaktionäre. Er hätte solche Zitate durch die rechtsextremer Israelis und der Bush-Administration ergänzen sollen. Zutreffend stellt er fest, der aggressive US-Staat sei kein Mittel, sondern Hindernis auf dem Weg zu einer humanistischen Weltordnung. Er macht sich aber die unbewiesene These vom 11.September als islamischem Terrorakt zu eigen und meint, der Koran sei eine »durchgängige eliminatorische Kampfansage«. Seine Bemerkung, die USA hätten sich beim islamischen Fundamentalismus »einseitig auf die militärische Zerstörung von dessen terroristischer Speerspitze beschränkt«, trifft nicht zu. Völkerrechtswidrige Kriege, Morde an Zivilisten, Gefangenen und Berichterstattern sind kein Mittel gegen den Terror, sondern selbst Terror. Der Verfasser fordert eine radikal-humanistische Antwort auf den Fundamentalismus, anknüpfend an die Aufklärung, das Gebot allgemeiner Gerechtigkeit und Marx‘ herrschaftskritischen Imperativ.

Bruno Mander

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