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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003, Seite 19


Araber sind nun einmal so

Edward Said über die blinde imperiale Arroganz der USA

Die großen modernen Imperien sind niemals nur durch militärische Macht zusammengehalten worden. Großbritannien beherrschte das große Gebiet Indiens mit nur ein paar tausend Offizieren und Soldaten, die meisten davon Inder. Frankreich machte es genauso in Nordafrika und Indochina, die Niederländer in Indonesien, die Portugiesen und Belgier in Afrika. Das Schlüsselelement ist dabei die imperiale Perspektive, die Art auf eine fremde Realität zu blicken, indem man sie seiner Sichtweise unterwirft, ihre Geschichte vom eigenen Standpunkt aus konstruiert, ihre Bevölkerung als Subjekte sieht, deren Schicksal nach dem Gutdünken ferner Regenten entschieden werden kann. Aus solch einer willkürlichen Perspektive entstehen Ideen wie die Theorie, dass Imperialismus eine wohltuende und notwendige Einrichtung ist.
Für eine Weile funktionierte das, da lokale Eliten fälschlicherweise glaubten, dass die Kooperation mit der imperialen Macht die einzige Möglichkeit wäre. Aber weil die Wechselbeziehungen zwischen imperialer und lokaler Perspektive widersprüchlich und unbeständig sind, ist ab einem bestimmten Punkt der Konflikt zwischen Herrschern und Beherrschten nicht mehr begrenzbar und entlädt sich in einem Kolonialkrieg, wie es in Algerien und Indien passierte. Wir sind weit entfernt von diesem Punkt, was die amerikanische Herrschaft über die arabische und muslimische Welt angeht. Während des letzten Jahrhunderts funktionierte die Befriedung durch unpopuläre lokale Regenten.
Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg waren die amerikanischen strategischen Interessen im Nahen Osten erstens die Sicherung der Ölquellen und zweitens die Garantie der Vormachtstellung Israels gegenüber seinen Nachbarn.
Jedes Imperium behauptet von sich, dass es anders ist als alle anderen Imperien, dass es nicht seine Mission ist zu plündern und zu herrschen, sondern zu erziehen und zu befreien. Diese Ideen werden auf keinen Fall von den Menschen geteilt, die dieses Imperium bewohnen, aber das hat den US-Politik- und Propagandaapparat nicht davon abgehalten, den Amerikanern, deren Informationsquellen über Araber und Islam bedauerlich unzureichend sind, seine imperiale Perspektive aufzudrängen.
Mehrere Generationen von Amerikanern sind es gewohnt, die arabische Welt in erster Linie als einen gefährlichen Platz anzusehen, wo Terrorismus und religiöser Fanatismus weit verbreitet sind und wo den Jugendlichen von bösen, antidemokratischen und hasserfüllt antisemitischen Geistlichen, ein unbegründeter Antiamerikanismus eingebläut wird.
In den USA stehen »Arabisten« unter Beschuss. Schon wenn man arabisch spricht oder ein positives Verhältnis zur großen arabischen kulturellen Tradition hat, scheint das eine Bedrohung Israels zu sein. Die Medien verbreiten die übelsten rassistischen Stereotypen über Araber — siehe z.B. ein Beitrag von Cynthia Ozick im Wall Street Journal, wo sie von Palästinensern als Leuten spricht, die »hinterhältige Kinder unähnlich allen anderen Kindern« haben, »entfernt von allen üblichen Normen und Verhaltensregeln«. Von der palästinensischen Kultur spricht sie als etwas, was »die Lebenskraft verleumdet, einem Kult, der zu einem unseligen Spiritualismus entwickelt wurde«.
Amerikaner sind ziemlich blind, sodass, wenn ein nahöstlicher Politiker auftaucht, den unsere Politiker mögen — der Schah des Iran oder Saddat aus Ägypten —, angenommen wird, dass dieser ein Visionär ist, der wie wir denkt, nicht weil er das imperiale Machtspiel verstanden hat (das darin besteht zu überleben, indem man die herrschende Macht bei Laune hält), sondern weil er unsere Prinzipien teilt.
Nahezu ein Vierteljahrhundert nach seiner Ermordung ist Saddat ein vergessener und unpopulärer Mann in seinem eigenen Land, weil die meisten Ägypter ihn als jemanden betrachten, der zuerst den USA und nicht Ägypten gedient hat. Das gleiche trifft auf den Schah zu. Dass die Nachfolger Saddats und des Schah weniger angenehm für die USA sind, weist nicht darauf hin, dass die Araber Fanatiker sind, sondern dass die Verzerrungen des Imperialismus weitere Verzerrungen produzieren und extreme Formen des Widerstands und der Selbstbehauptung hervorrufen.
Die Palästinenser haben sich angeblich selbst reformiert, indem sie Mahmud Abbas eher erlaubten, ihr Anführer zu sein als dem schrecklichen Yasser Arafat. Aber »Reform« ist ein Gegenstand imperialer Interpretation. Israel und die USA betrachten Arafat als ein Hindernis für die Regelung, die sie den Palästinensern auferlegen wollen, eine Regelung, die palästinensische Ansprüche auslöschen würde und Israel fälschlicherweise erlauben würde zu behaupten, dass es für seine »ursprünglichen Sünden« gesühnt hat.
Ungeachtet der Tatsache, dass Arafat — den ich seit Jahren in den arabischen und westlichen Medien kritisiere — immer noch weltweit als legitimer palästinensischer Anführer betrachtet wird. Er wurde rechtmäßig gewählt und hat ein Maß an öffentlicher Unterstützung, das kein anderer Palästinenser erreicht, am wenigsten Abbas, ein Bürokrat und langjähriger Untergebener Arafats. Und vergessen wir nicht, dass es eine klar erkennbare, kohärente palästinensische Opposition gibt, die Unabhängige Nationale Initiative, die nicht beachtet wird, weil sich das US- und israelische Establishment einen nachgiebigen Gesprächspartner wünscht, der keinen Ärger machen kann. Ob das Abbas-Arrangement funktioniert, wird die Zukunft zeigen. Das ist tatsächlich Kurzsichtigkeit — die blinde Arroganz der imperialen Sichtweise. Das gleiche finden wir in der offiziellen Sicht der USA auf den Irak, Saudi-Arabien, Ägypten und die anderen arabischen Staaten.
Dieser Perspektive liegt eine lange bestehende Sichtweise zugrunde — die orientalistische Sichtweise —, die Arabern das Recht auf nationale Selbstbestimmung abspricht, weil sie für unfähig gehalten werden, logisch zu denken, die Wahrheit zu sagen und weil sie prinzipiell für grausam gehalten werden.
Seit Napoleons Invasion in Ägypten 1798 gab es eine ununterbrochene imperiale Präsenz in der arabischen Welt, die auf diesen Prämissen beruhte. Das produzierte unsagbares Elend — und in der Tat ein paar Wohltaten. Aber die Amerikaner haben sich so an ihre Ignoranz und die Schmeicheleien von US-Beratern wie Bernard Lewis und Fuad Ajami gewöhnt, die die Araber in jeder Hinsicht negativ darstellen, sodass wir irgendwie denken, dass das, was wir tun, richtig ist, weil »die Araber nun mal so sind«. Dass dies zufällig auch ein israelisches Dogma ist, das von den Neokonservativen unkritisch geteilt wird, die den Kern der Bush-Regierung stellen, gießt zusätzliches Öl ins Feuer.
Wir stehen vor vielen weiteren Jahren der Unruhe und des Elends im Nahen Osten, wo eines der Hauptprobleme, um es so klar wie möglich zu sagen, die US-Vormachtstellung ist. Was die USA sich weigern, klar zu sehen, können sie schwerlich lösen.

Edward Said

Den für das breite US-amerikanische Publikum bestimmten Beitrag veröffentlichte Edward Said am 20.Juli 2003 in der Los Angeles Times. In der SoZ veröffentlichte Beiträge von Said: Inhumanitäres Nichteingreifen • in Osttimor / Edward Said
Die Besetzung ist das Verbrechen • Edward Said über Palästina
Eine neue säkulare Bewegung • Edward Said über den palästinensischen Widerstand
Demokratische Reform • Edward Said für eine Erneuerung der palästinensischen Politik
Ausserdem: Nachrufe und andere Texte von Edward Said.



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